GPS: Wie Russland mit gezielten GPS-Störungen Krieg führt
Im Ostsee-Raum stört das russische Militär immer häufiger gezielt den Satellitenempfang. Die Folgen für Flugzeuge, Schiffe und Menschen sind enorm. Experten warnen vor einer wachsenden Gefahr.
Der britische Verteidigungsminister Grant Shapps war Mitte März auf dem Weg aus Polen zurück nach London, als die Regierungsmaschine für rund 30 Minuten jeden Kontakt zu GPS-Satelliten verlor. Nahe der russischen Exklave Kaliningrad fiel das Internet an Bord aus, im Cockpit mussten sich die Piloten auf ihre übrigen Navigationssysteme verlassen.
Nur Stunden zuvor hatte Shapps in Polen erklärt, Großbritannien müsse angesichts der Bedrohung durch Russland drei Prozent seiner Wirtschaftsleistung für die Verteidigung ausgeben. Ein Sprecher der britischen Regierung bestätigte nach Shapps’ Rückkehr, dass das Flugzeug keinen Satellitenkontakt mehr hatte.
Fälle wie dieser hängen mit zwei Phänomenen zusammen, die Fachleute GPS-Jamming und -Spoofing nennen. Experten vermuten dahinter immer häufiger das russische Militär.
Auch politisch wird das Thema immer heikler. Nachdem zwei Flüge der finnischen Airline wegen GPS-Problemen nicht im estnischen Tartu landen konnten, übten die baltischen Außenminister scharfe Kritik an Russland. Diese hybriden Angriffe dürfen nicht ignoriert oder toleriert werden, schrieb etwa Litauens Außenminister Gabrielius Landsbergis auf X. Finnair erklärte, die Flüge nach Tartu für einen Monat einzustellen.
Doch worum geht es genau? Beim GPS-Jamming stören spezielle Geräte den Empfang von Signalen, die das satellitengestützte Positionssystem GPS aussendet. Beim aufwendigeren – und wesentlich selteneren – GPS-Spoofing übermitteln Täter manipulierte Daten, die dem Empfänger eine falsche Position suggerieren sollen.
Auf Basis von Satellitensignalen funktionieren auf der Erde unzählige Anwendungen: Wer sich mit einer Karten-App wie Google Maps durch die Stadt navigieren will, braucht dafür GPS oder ein anderes Satellitennetzwerk, etwa das europäische Pendant Galileo. Aber auch Flugzeuge und Schiffe nutzen die Satelliten, um Position und Route zu bestimmen. Das Problem: Die Zahl der Ausfälle nimmt rasant zu.
GPS-Jamming: EASA registriert 25.000 Fälle
Private GPS-Nutzer merken das vor allem dann, wenn sie mit ihrem Handy nicht mehr navigieren können. In einigen Ländern funktionieren auch Bezahlsysteme im öffentlichen Nahverkehr nicht mehr, weil diese auf Positionsdaten basieren.
Hauptbetroffene sind Kapitäne von Flugzeugen und Schiffen. Vor allem Fluggesellschaften registrieren immer mehr Störfälle. Inzwischen hat sich die europäische Flugsicherheitsbehörde EASA eingeschaltet und warnt die Luftfahrt offiziell vor den Gefahren der GPS-Störungen.
Cyrille Rosay ist Navigationsexperte bei der EASA und beobachtet, wie sich das Problem seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine Anfang 2022 massiv verschärft. Er zählt auf: Seit 2019 hat die EASA rund 25.000 Störungen über Europa registriert. Zunächst waren es nur einzelne Fälle. Ab Februar 2022 wuchs die Zahl stärker, seit Mitte 2023 ist der Zuwachs noch einmal größer geworden, sagt Rosay.
Seine Behörde ist dafür zuständig, den Piloten, Lotsen und Fluggesellschaften zu sagen, wie sie sich auf Störungen vorbereiten müssen. Ende 2023 gab die EASA eine nachgeschärfte Warnung heraus, weil sich die Zahl der Ausfallmeldungen häufte.
Betroffen sind vor allem der Ostsee-Raum, der Norden Norwegens und der gesamte Bereich entlang der ukrainischen Grenze bis zum Schwarzen Meer. Rosay weiß auch von Störungen außerhalb des EASA-Gebiets zu berichten, etwa am Bosporus und im gesamten Nahen Osten. Israels Armee stört im Krieg gegen die Hamas regelmäßig gezielt Satellitensignale – und schafft damit Chaos in Metropolen wie Tel Aviv, berichten lokale Beobachter.
Die Spur führt nach Kaliningrad
An der Ostsee, vor allem rund um Kaliningrad, war das GPS-Jamming in den vergangenen Wochen besonders intensiv zu beobachten. Experten aus der OSINT-Szene (Open Source Intelligence), die frei zugängliche Daten nutzen, sind sich inzwischen sicher: Russland stört von Kaliningrad aus immer häufiger den GPS-Empfang in der Region.
Die Störsender haben sie „Baltic Jammer“ getauft und messen spätestens seit Anfang 2024 immer längere Störperioden, teilweise über mehrere Tage. Mitunter reicht das Störgebiet sogar bis in den Nordosten Deutschlands, wie Flugzeugdaten zeigen. Auch die Berichte über Spoofing-Vorfälle im betroffenen Gebiet häufen sich.
Die Indizien sind zahlreich. Der renommierte US-Thinktank Institute for the Study of War (ISW) hält es für wahrscheinlich, dass Russland GPS-Signale als Form der elektronischen Kriegsführung stört. Die russische Armee gilt auf diesem Gebiet als besonders fortgeschritten.
Der jüngsten Störung über Estland könnten neuen Erkenntnissen zufolge auch von einem weiteren Störsender in der Region um St. Petersburg ausgehen. Russland äußerte sich bislang nicht zu den Vorwürfen.
Was genau Russland mit den Störungen bezweckt, darüber mutmaßen Experten. Als wahrscheinlich gilt, dass Verwirrung und Behinderungen im Verkehr Ziele Moskaus sein dürften. Militärisch ist der Nutzen eindeutig: In Kriegsgebieten wie der Ukraine und angrenzenden Regionen können GPS-Störungen Angriffe durch Raketen oder Drohnen verhindern, die per Satellit gesteuert werden.
Russland dürfte auch auf die verstärkte Nato-Präsenz in seinen Nachbarstaaten reagieren. In den Nato-Ländern Estland, Litauen, Lettland und Polen halten sich seit Beginn des Ukraine-Kriegs deutlich mehr Soldaten des Verteidigungsbündnisses auf.
Nach übereinstimmenden Berichten soll zudem ein Netz aus stationären GPS-Störern wichtige Gebäude im russischen Inland vor Angriffen schützen. Von Kaliningrad aus könnte Russland darüber hinaus versuchen, Flugzeuge und Schiffe der Nato zu behindern, vermutet etwa die Chefin der schwedischen Marine, Konteradmiral Ewa Skoog Haslum.
Russlands Spezialwaffe Tobol
Erik Kannike, estnischer Experte für das russische Militär, teilte auf X Bilder des russischen Waffensystems „Tobol“, das hinter den GPS-Störungen stecken könnte. Russland verfüge über mehrere dieser Anlagen, eine davon steht in Kaliningrad.
Öffentlich ist nicht viel über „Tobol“ bekannt. Es sei ein System, das vor allem dem Schutz russischer Satelliten diene, schreibt Kannike weiter. Gleichzeitig könne es aber auch gezielt GPS-Signale stören. Darauf deutet auch ein Bericht der US-Stiftung Secure World Foundation hin. Russland könnte „Tobol“ demnach auch dafür genutzt haben, die Verbindungen der ukrainischen Armee zum Satellitennetzwerk Starlink von Tesla-Gründer Elon Musk zu stören.
Daten öffentlich einsehbar
Inzwischen gibt es mehrere Datenportale, auf denen Laien die GPS-Störungen im Flugverkehr nachverfolgen können. Die Betreiber machen sich zunutze, dass Flugzeuge zu jedem Zeitpunkt zahlreiche Daten an Empfänger am Boden senden, die öffentlich einzusehen sind. Weil sie auch Informationen zur Qualität der Satellitenverbindung senden, ist klar zu erkennen, welches Flugzeug aktuell von einem Ausfall betroffen ist.
Neben interessierten Laien schauen auch Fachleute vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) auf diese Websites. Florian David, Leiter des DLR-Instituts für Navigation und Kommunikation, hält jene Daten aktuell für die beste verfügbare Quelle, um Störungen zu erkennen.
Von einer generellen Abkehr von der Navigation per Satellit hält der Experte nichts. Aber: „Bei der Entwicklung dieser Systeme hat man mögliche Angriffe zu wenig in Betracht gezogen“, sagt David. In Europa, China und den USA liefen deshalb bereits Überlegungen, wie Satellitensignale besser geschützt werden könnten. Eine Idee: Wichtige Teile des Systems könnten vom Boden ins All verlegt werden, um sie weniger leicht zugänglich für Angriffe zu machen. Denkbar wären auch neue Satelliten in einer näheren Erdumlaufbahn, die dann stärkere Signale zur Erde senden könnten.
Russland könnte sich allerdings bereits darauf vorbereiten: Nach Informationen der USA arbeitet das Militär an einer Anti-Satellitenwaffe – mit möglicherweise verheerendem Potenzial.