Gewalt gegen Politiker: Grüne und SPD am stärksten betroffen? Auf Platz eins steht die AfD
Ein beschädigtes Wahlplakat der AfD in Bayern
Dresden, Freitagabend: Vier junge Männer schlagen den SPD-Politiker Matthias Ecke krankenhausreif. Er kandidiert fürs Europaparlament und plakatiert in der Stadt. Die Polizei ermittelt die Hintergründe der Tat, ein Zeuge vermutet ein rechtsextremes Motiv. Noch am Samstag meldet das Bündnis Zusammen gegen rechts eine Demonstration direkt am Brandenburger Tor an. Mehrere Politiker von SPD, Grünen und CDU schließen sich am Sonntag der Kundgebung an. Bei der Demonstration werden Angriffe auf „demokratische Politiker“ verurteilt – nicht aber auf Politiker der AfD, der manche sogar eine Mitschuld an der Attacke vorwerfen.
Dabei war die AfD am stärksten von Gewaltdelikten betroffen: Allein im vergangenen Jahr wurden deren Vertreter 86-mal physisch angegriffen. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der AfD-Fraktion vom Januar dieses Jahres hervor. In die Kategorie Gewaltdelikte fallen schwere Straftaten wie zum Beispiel Mord, Körperverletzung, Brandstiftung, Freiheitsberaubung und Landfriedensbruch. Grünen-Mitglieder waren 62-mal von Gewaltdelikten betroffen, Vertreter der SPD 35-mal. Dabei handelt es sich um vorläufige Zahlen.
In der Statistik werden aber auch die Jahre 2019 bis 2022 aufgeführt. Bis auf das Jahr 2022 lag die AfD stets vorne. Die Polizei ordnete die Gewaltdelikte verschiedenen Phänomenbereichen der politisch motivierten Kriminalität zu. Bei den Gewalttaten gegen die AfD dominiert das linke Spektrum deutlich – es verübte im vergangenen Jahr 61 Angriffe auf AfD-Vertreter.
Umgekehrt lässt sich das nicht behaupten: 2023 waren bei den Grünen und der SPD acht Angriffe dem rechten Spektrum zuzuordnen. Der häufigste Phänomenbereich ist bei beiden die „sonstige Zuordnung“. Dabei handelt es sich um Straftaten, die sich nach Ansicht der Polizisten keiner der Unterkategorien zuordnen lassen. Von diesen Zahlen her zu urteilen ist das linke Spektrum insgesamt gewalttätiger als das rechte, wenn es um die Bekämpfung politischer Gegner geht.
Dabei sorgen in den sozialen Medien auch Zahlen aus der Statistik für Aufregung, die auf den ersten Blick ein anderes Bild nahelegen. Sie fassen zusammen, wie vielen Attacken Vertreter der von 2017 bis 2021 im Bundestag vertretenen Parteien insgesamt ausgesetzt waren. Mit 1219 verzeichneten Angriffen führten die Grünen 2o23 die Statistik an, danach kamen die AfD mit 478 Fällen und die SPD mit 420. Für die Zahlen wurden verschiedene Delikte – nicht nur Gewalttaten, sondern etwa auch Sachbeschädigungen oder Beleidigungen – zusammengerechnet.
Indes zeigt ein genauerer Blick: War bis 2021 noch vor allem die AfD Opfer von Angriffen auf Parteieinrichtungen, sind die Grünen seit 2022 deutlich häufiger davon betroffen. Das zeigt sich auch bei Sachbeschädigungen: Im vergangenen Jahr wurden die Grünen 186-mal Opfer derartiger Delikte, die AfD 98-mal. Bis 2021 war die AfD weitaus öfter Zielscheibe von Angriffen auf Parteieinrichtungen sowie von Sachbeschädigung als die Grünen.
Dieser Trend ist auch bei Äußerungsdelikten erkennbar, also zum Beispiel Beleidigungen. 2023 waren Grüne 947-mal von Äußerungsdelikten betroffen, gefolgt von der SPD (293) und der AfD (236). Von 2019 bis 2021 führte die AfD die Statistik an.
Unter Äußerungsdelikte fallen auch üble Nachrede und Verleumdung. Das sind sogenannte Antragsdelikte, bei denen die Staatsanwaltschaft nur tätig werden kann, wenn der Betroffene die Tat selbst anzeigt. Doch auch schwerere Straftaten, zu denen eine Staatsanwaltschaft selbsttätig ermitteln kann, gehören zu den Äußerungsdelikten – etwa Nötigung, Bedrohung oder Volksverhetzung.
Es bleibt vorerst offen, wie hoch der Anteil der vergleichsweise schweren Straftaten an den jeweiligen Äußerungsdelikten ist. Denkbar ist aber, dass Grünen- oder SPD-Politiker allgemein öfter Beleidigungen im Netz, teils auch anonyme, zur Anzeige bringen.
In Dresden kommen derweil nach der Attacke auf den SPD-Politiker Ecke die polizeilichen Ermittlungen voran. Inzwischen sind vier Tatverdächtige identifiziert, von denen sich einer, Quentin J., freiwillig der Polizei gestellt hatte. Bei ihnen handelt es sich Berichten zufolge um Männer zwischen 17 und 20 Jahren. Dieselbe Gruppe soll zuvor auch einen Grünen-Wahlkampfhelfer angegriffen und verletzt haben.
Seit dem Wochenende mehren sich die Rufe nach einem besseren Schutz für Kommunalpolitiker. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) plant daher eine Sondersitzung der Innenministerkonferenz von Bund und Ländern. Sie kündigte zudem weitere „Schutzmaßnahmen für die demokratischen Kräfte in unserem Land“ an. Aber meint sie mit den „demokratischen Kräften“ auch Politiker der AfD? Immerhin sind mit dieser Formulierung sonst immer ausschließlich Politiker aller anderen im Bundestag vertretenen Parteien gemeint.
Zuletzt ist der niedersächsische AfD-Landtagsabgeordnete Holger Kühnlenz in Nordhorn angegriffen und leicht verletzt worden. Ein Mann soll ihn am Samstag an seinem Infostand zuerst mit Eiern beworfen und dann ins Gesicht geschlagen haben. Niedersachsens AfD-Fraktionsvorsitzender Klaus Wichmann sagte dem NDR, Gewalt gegen Andersdenkende dürfe niemals ein Mittel der politischen Auseinandersetzung sein, „auch wenn die Stimmung noch so aufgeheizt erscheint“.