Fencheltee könnte für die Gesundheit schädlich sein
Kinder unter vier Jahren und Schwangere sollten «vorläufig» auf Fenchel-Arzneien verzichten, empfiehlt Swissmedic. Der Grund sind neue Studienergebnisse.
Je nachdem wie heiss das Wasser ist, kann mehr oder weniger Estragol vom Fenchel in den Tee gelangen.
Generationen von Babys, Kindern und Erwachsenen mit Magen-Darm-Problemen haben Fencheltee getrunken, um den Bauch zu beruhigen.
Das sieht Swissmedic inzwischen kritisch. Im März hat die Schweizer Arzneimittelbehörde informiert, dass Fencheltee und andere Arzneimittel mit Fenchel für Schwangere, Säuglinge und Kinder unter vier Jahren nun «vorläufig» nicht mehr empfohlen seien.
Estragol, der problematische Stoff im Fencheltee
Der Grund: Es gebe neue Studien, die darauf hinwiesen, dass Estragol in hohen Mengen möglicherweise schädlich für die Gesundheit sein könne. Estragol ist ein natürlicher pflanzlicher Inhaltsstoff, der in höheren Mengen im ätherischen Öl der Fenchelfrüchte enthalten ist.
Seit fast 20 Jahren gibt es Hinweise darauf, dass Estragol in hohen Mengen zu Krebs und Leberschäden führen kann. Das ist zumindest in Laborversuchen mit Mäusen und Ratten gezeigt worden. In menschlichen Leberzellen wurde zudem beobachtet, dass Estragol Veränderungen im Erbgut auslösen kann. Seitdem wird darüber in der Fachwelt diskutiert, ob das auch bei Menschen zutrifft. Im letzten Jahr hat der Ausschuss für pflanzliche Arzneimittel (HMPC) der Europäischen Arzneimittelagentur in einem Bericht die toxikologischen Daten zu Estragol aktualisiert.
Leberschäden und Krebs bei Versuchstieren
Auch die im Bericht berücksichtigten Studienergebnisse können nicht abschliessend klären, ob Menschen durch grosse Mengen von Estragol zu Schaden kommen können. Das betont auch Swissmedic. Die Expertinnen und Experten des HMPC nehmen aber nun an, dass die Stoffwechselwege, die bei den Tierversuchen zu Krebs und Leberschäden führen, auch beim Menschen ähnlich ablaufen könnten.
Noch ist einiges unklar. So wissen die Fachleute nicht, welche Mengen an Estragol in Fenchelfrüchten für Babys, Kinder oder Erwachsene schädlich sein könnten. Eine andere Frage ist ebenfalls schwierig zu beantworten: wie viel Wirkstoff Teetrinker überhaupt aufnehmen. Eine «exakte Dosierung des Wirkstoffes» sei mit Tees nicht möglich, schreibt Swissmedic. Je nachdem, wie heiss das Wasser ist, in wie viel Wasser der Teebeutel schwimmt oder wie lange er zieht, können ganz unterschiedliche Mengen an Inhaltsstoffen in den Tee übergehen. Wenn zudem der Teebeutel ausgedrückt wird oder im Beutel zerriebene statt ganze Fenchelfrüchte enthalten sind, gelangt mehr Estragol in den Tee, wie ein Forschungsteam aus Österreich herausgefunden hat.
Beatrix Falch von der Fachgruppe Naturstoffchemie und Phytopharmazie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Wädenswil ordnet die Empfehlungen von Swissmedic ein: «Ich kann zwar verstehen, dass die Behörden auf mögliche Risiken hinweisen müssen.» Die Pharmazeutin hält die Vorsicht der Behörde jedoch für übertrieben. Mütter, die Stilltee aus Fenchelfrüchten getrunken haben oder deren Kinder Fencheltee bekommen haben, sollten sich keine Sorgen machen.
«Wenn Fencheltee schwerwiegende gesundheitliche Auswirkungen hätte, so hätten wir das längst in epidemiologischen Studien gesehen», sagt Falch. In den meisten Studien, die in den letzten Jahren ausgewertet wurden, wurde der Stoff Estragol isoliert in hohen Mengen eingesetzt. «Estragol sollte aber nicht als Einzelsubstanz beurteilt werden», sagt Falch, «sondern als ein Bestandteil eines Vielstoffgemischs aus Fenchelfrüchten.»
Estragol ist auch in Basilikum, Avocado oder Melisse
Die «vorläufige Empfehlung» von Swissmedic beschränkt sich lediglich auf acht Tees, die Fenchelfrüchte enthalten und hierzulande als Arzneimittel zugelassen sind. Dabei geht es zum Beispiel darum, die Packungsbeilage entsprechend anzupassen.
Lebensmittel, die Fenchelfrüchte enthalten, zu denen herkömmliche Tees gehören, sind jedoch von der Empfehlung nicht betroffen. «Es gibt zahlreiche weitere Pflanzen, die ebenfalls Estragol enthalten.» Dazu gehören Avocado, Basilikum, Melisse, Estragon, Kerbel oder Anis. «Solche Lebensmittel nehmen wir in viel grösserer Menge und über längere Zeit zu uns als Arzneimittel, die Fenchelfrüchte enthalten», sagt Falch.
Und wie sollen sich nun Konsumentinnen und Konsumenten verhalten? «Generell ist es ratsam, sich abwechslungsreich zu ernähren», sagt Falch. So sei es unsinnig, literweise Fencheltee zu trinken. Wenn aber ein Kind oder ein Erwachsener Bauchschmerzen habe, könne man weiterhin Fencheltee in den üblichen Dosierungen trinken – über einen kurzen Zeitraum. Denjenigen, die nun lieber auf Fencheltee verzichten möchten, rät Falch, stattdessen Kamillentee zu probieren. Babys mit Bauchkrämpfen könne man zudem sanft massieren.
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