FDP-Parteitag: Zum Sommer soll die Wende stehen
Umsteuern nötig: FDP-Chef Christian Lindner am Wochenende auf dem Bundesparteitag
Die FDP hat über zwei Tage ihre Punkte für eine Wirtschaftswende verbreiten können. Priorität für Wachstum, heißt das im Leitantrag des Vorstands, den die Delegierten auf dem Parteitag am Wochenende mit großer Mehrheit annahmen. Und nun? Wie sollen die Beschlüsse und Forderungen in die Regierungsarbeit einmünden? Was ist realistisch? Und was bleibt vermutlich unerfüllt und damit Stoff für den nächsten Wahlkampf?
Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner lässt während seiner Rede zwei Grafiken einblenden, mit denen er die Notwendigkeit des Umsteuerns illustriert. Die erste rote Linie verdeutlicht, wie Deutschland innerhalb weniger Jahre sein Wachstumspotential verspielt hat: von 1,5 Prozent auf 0,5 Prozent. Die zweite Grafik zeigt den Verlust im internationalen Standortranking: von Rang sechs im Jahr 2014 auf Platz 22. „Während der längsten Zeit von 2014 an haben CDU, CSU und SPD regiert“, betont Lindner. Der aktuelle und der potentielle Koalitionspartner bekommen gleichermaßen ihr Fett weg.
Ruf nach einer Wirtschaftswende
Seine ganze Rede ist ein einziger Ruf nach einer Wirtschaftswende. Der FDP-Politiker verweist eingangs auf den Motorsägenhersteller Stihl, der nicht in Deutschland, sondern in der Schweiz seine Produktion ausweiten wolle – weil es dort günstiger sei. „Nicht, weil die Löhne niedriger sind, sondern weil in der Schweiz die Beschäftigten im Jahr 375 Stunden mehr arbeiten als in Baden-Württemberg.“ Der Arbeitsmarkt bremse das Wachstum, konstatiert Lindner.
Mit weniger Steuern und härteren Sanktionen will er Lust auf Leistung machen. Das Bürgergeld sei kein bedingungsloses Grundeinkommen. „Die Gegenleistung für Solidarität ist, sie nur so lange und so weit wie nötig in Anspruch zu nehmen.“ Lindner kritisiert die Rente mit 63. Mit ihr könnten gesunde Menschen mit den höchsten Renten ohne Abschläge in den Ruhestand treten. Vorsichtig bringt er eine Steuerfreiheit für Überstunden ins Spiel. Er will diskutieren, unter welchen Bedingungen bezahlte Überstunden „möglicherweise“ steuerlich befreit werden können.
Den Solidaritätszuschlag nutzte der FDP-Politiker für eine Spitze gegen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD): Bevor die Bundesregierung von Karlsruhe gezwungen werde, komplett und sofort auf den Soli zu verzichten, sollte man lieber Schritt für Schritt auf ihn verzichten – „denn mit der verfassungsrechtlichen Expertise der SPD habe ich als Finanzminister schon Erfahrung gemacht“, sagte er mit Blick auf den im Herbst von den höchsten Richtern einkassierten Nachtragshaushalt, den Scholz als sein Vorgänger im Amt vorbereitet hatte.
Hinter den Kulissen verhandeln die üblichen Verdächtigen, also in erster Linie Wolfgang Schmidt (Kanzleramt, SPD), Anja Hajduk (Wirtschaftsministerium, Grüne) und Steffen Saebisch (Finanzministerium, FDP) längst über ein Maßnahmebündel, um bessere Wachstumsperspektiven zu schaffen. Die notwendigen Reformen werden im besten Fall mit dem Haushalt 2025 auf den Weg gebracht. Einiges könnte direkt Teil der Gesetzgebung sein, sich also im Haushaltsbegleitgesetz niederschlagen. Anderes könnte der Bundestag separat beschließen.
Am Donnerstag läuft die Frist ab
In seiner Funktion als Bundesfinanzminister hat Lindner seinen Kabinettskollegen mehr Zeit gegeben, ihre Planung für den Etat 2025 vorzulegen. Am Donnerstag läuft die Frist nun ab. Die große Preisfrage lautet: Werden sich die Minister an die Vorgabe halten, nicht mehr Ausgaben anzumelden, als in der Finanzplanung der Regierung vom vergangenen Sommer vorgesehen ist? Oder wagen Spitzenpolitiker der Grünen den Aufstand, indem sie sich an den Ausgaben dieses Jahres orientieren? Über alle Ressorts wären das 25 Milliarden Euro mehr, als der FDP-Spitzenmann für finanzierbar hält.
An Konfliktpotential mangelt es der Ampelkoalition nicht. Bundeskanzler Scholz hat von Hamburg aus klargemacht, dass er über die „Rente mit 63“ nicht mit sich reden lassen wird. „Das wird mit uns nicht geändert“, erklärte er. Auch das Festschreiben des Rentenniveaus verteidigte er. Und er warnte davor, die Bedeutung des Sozialstaates zu unterschätzen. Entsprechend schwer dürfte es für die FDP-Unterhändler werden, sozialpolitische Korrekturen gegen den Koalitionspartner durchzusetzen.
Auch mit den Grünen sind neue Auseinandersetzungen zu erwarten. Bei der Kindergrundsicherung befürchtet Lindner absurde Folgen: „Wir stellen 5000 neue Staatsdiener ein, die 2 Milliarden Euro verteilen, damit danach die gesamte Stadt Aschaffenburg sich aus der Arbeit abmeldet.“ Ein solches Modell erfordere dringend eine Wende. „Wir bestehen auf sie.“ Auch die erneuerbaren Energien spießt er auf. Man müsse in diesem Jahr von 19 Milliarden Euro für Solar und Wind ausgehen. Das deutet auf unerquickliche Gespräche mit Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Denn der Klimafonds dürfte Ende des Jahresweitgehend leer geräumt sein.