Europas Ölstaat wandelt sich: Deutschland soll davon am meisten profitieren
Norwegen im Wandel: Mit der Produktion von Batterien kann das skandinavische Land einen wichtigen Beitrag zur Energiewende liefern.
In der südnorwegischen Küstenstadt Arendal tummeln sich derzeit Hunderte von Fachkräften aus Südkorea. Zur Mittagszeit gibt es koreanisches Essen in der Kantine, die in einem Container im Industriegebiet „Eyde Energipark“ untergebracht ist. Nach Kimchi, Reis und Hühnchen setzen die Mitarbeiter wieder ihre Schutzhelme auf, ziehen ihre Westen an und trotten hinüber in die Fabrikhalle.
Im Eiltempo bauen die Fachleute die Batteriefabrik für Morrow. Denn das 2020 gegründete Start-up will im Herbst mit der Produktion seiner Batteriesysteme beginnen – und hat die Fabrik in Rekordzeit hochgezogen, in nur zwei Jahren von der Genehmigung bis zur Fertigstellung. Ein Tempo, das man in Deutschland kaum kennt. Doch die norwegische Regierung steht hinter dem Projekt – und hat ein enormes Interesse daran, dass Morrow die Gigafabrik für Batterien so schnell wie möglich in Betrieb nimmt.
Europas Ölstaat will Neuausrichtung und setzt unter anderem auf Batterien
Denn Norwegen braucht die Giga-Batteriefabrik von Morrow. Das skandinavische Land ist zwar mit Öl und Gas reich geworden (und baut auch weitere Gas- und Ölfelder aus), versucht aber dennoch einen Imagewandel. Denn das fossile Zeitalter geht zu Ende, das weiß auch die Regierung in Oslo. Norwegen will seine Wirtschaft klimafreundlich machen, die für die Energiewende nötigen Zukunftsmärkte erobern und mit Wertschöpfungsketten im eigenen Land Geld verdienen. Ob CO2-Entsorgung in der Nordsee, Wasserstoffproduktion oder Batterieherstellung – Norwegen will liefern, was auch Länder wie Deutschland für die Klima-Transformation brauchen.
„Deutschland ist unser engster Verbündeter, unser engster strategischer Partner bei der grünen Transformation. Wir arbeiten sehr eng mit unseren Freunden in Berlin zusammen“, betonte Jan Christian Vestre Mitte April vor deutschen Journalistinnen und Journalisten in Oslo. Damals war er noch Wirtschaftsminister der norwegischen Regierung, bis er im Zuge einer Kabinettsumbildung zum Gesundheitsminister ernannt wurde.
Norwegischer Ministerpräsident: “Deutschland ist engster Verbündeter!”
Wichtiger Baustein der deutsch-norwegischen Freundschaft: Ein Abkommen über die Lieferung von Wasserstoff aus Norwegen nach Deutschland, das Habeck vor wenigen Monaten in Oslo unterzeichnete. Außerdem plant der deutsche Wirtschafts- und Klimaminister, unvermeidbare CO2-Emissionen der deutschen Industrie künftig in der Nordsee zu speichern. Der Clou: Norwegen nutzt die CCS-Technologie bereits seit Jahrzehnten und speichert die Emissionen in ausgepumpten Ölfeldern unter der Nordsee, die ersten deutschen Emissionen könnten also nach Norwegen gehen.
Auch die künftige Batterieproduktion in Norwegen könnte für Deutschland interessant werden: Denn die bald in Arendal produzierten Batterien können für E-Autos, E-Lastwagen und E-Schiffe und später auch als Speicher für die Energiewende genutzt werden. Dass der norwegische Markt für Deutschland attraktiv ist, zeigt nicht nur die Zusammenarbeit von Morrow und Siemens, sondern auch der Wunsch der Bundesregierung, Norwegen zum Partnerland der Industriemesse in Hannover zu machen.
Morrow-Chef als Verkörperung des Landes
Was Deutschland braucht, will Norwegen liefern. „Wir bauen auch eigene Wertschöpfungsketten für kritische Rohstoffe und Batterien auf“, versichert Vestre und nennt die Gigafabrik in Morrow exemplarisch, vier Autostunden von Oslo entfernt. Doch Morrow passt nicht nur in Norwegens neue Strategie, auch der Chef des Start-ups ist eine Verkörperung des Landes. Lars Christian Bacher leitet die Batteriefabrik seit Ende 2022 – und war zuvor jahrzehntelang in der Öl- und Gasindustrie tätig.
Bei einem Rundgang über das Firmengelände schildert Bacher, dass er mit Morrow Teil der Transformation sein und außerdem auch für sichere Arbeitsplätze sorgen will. Etwa sieben LFP-Batterien pro Minute sollen in den großen Hallen mit Hilfe der Siemens-Automation produziert werden, also rund drei Millionen Stück der klassischen Lithium-Eisenphosphat-Batterie pro Jahr. Zu Beginn soll jährlich rund eine Gigawattstunde produziert, bis 2028 die Produktion auf 43 GWh pro Jahr gesteigert werden, um durch die Größe Kostenvorteile zu gewinnen.
Unternehmen nicht auf Subventionen angewiesen
Bis 2026 will Morrow schwarze Zahlen schreiben. Investitionen vom Staat brauche das Start-up nicht, das Geld der Investoren reiche dafür. Wie teuer eine LFP-Batterie von Morrow letztlich sein wird, wollen weder Klippenberg noch Bacher verraten. Es wird grob den Branchenpreisen von rund 80 Euro entsprechen, deutet eine Siemens-Kollegin an. Ein weiterer Vorteil: Morrow will mit der Siemens-Automatisierung die Produktion weiterentwickeln und könne die Batterien auch künftig recyclen.
Doch damit nicht genug. Rund 30 Minuten entfernt forscht das Unternehmen in gemeinsamen Labors mit der Universität Grimstad, bekannt für ihren Batterieforschungscluster, an der nächsten Batterie-Generation: Die Lithium-Nickel-Mangan-Oxid-Batterie, kurz LNMO, will Morrow weltweit im großen Stil entwickeln. Das Besondere daran: Die LNMO-Batterie soll schneller aufladbar, sicherer und leistungsfähiger sein. Perfekt für Autos, Lastwagen und Schiffe
Siemens-Boss Klippenberg: “Keine Zukunft ohne Batterien”
Bis die neue Batterie-Generation serienreif ist und Morrow das beste Batterie-Rezept gefunden hat, werden allerdings noch einige Jahre vergehen. Die Morrow-Forscher konzentrieren sich dennoch auf die LNMO-Batterie. Sie wollen den Marktvorteil, da China zwar bei der LFP-Batterieforschung zehn Jahre Vorsprung hat, aber bei der LNMO-Batterie noch keiner den großen Durchbruch hatte.
Eine Zukunft ohne Batterien gibt es nicht, ist sich Nils Klippenberg, Chef der norwegischen Siemens-Gesellschaft, beim Blick in die noch unfertige Fabrikhalle sicher. Der Markt sei groß genug, auch aus geopolitischen Gründen glaubt Klippenberg an die Batterieproduktion in Europa. Bacher stimmt ihm zu. Zwar sei der Batteriemarkt hart umkämpft, China habe die Nase vorn, aber die Nachfrage durch die weltweite Energiewende sei enorm. Wenn Ende nächsten Quartals die meterlangen Maschinen angeworfen werden, geht es los. Dann werden die ersten Batterien von der norwegischen Küste verschifft. Vielleicht auch zu den Freunden in Deutschland.