Europäische Union: EU-Kommission belohnt Polen für den neuen Kurs
Donald Tusk begrüßt Ursula von der Leyen bei deren Besuch in Warschau im Februar.
Premier Tusk will die politische Unabhängigkeit der Justiz wiederherstellen – und Brüssel das Verfahren wegen Rechtsstaatsverstößen beenden. Für Polen geht es dabei um viele Milliarden Euro.
EU-Kommission belohnt Polen für den neuen Kurs
Die EU belohnt die neue polnische Regierung für deren europafreundlichen Kurs. Wie EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Montag bekannt gab, will Brüssel das Verfahren einstellen, das seit Jahren gegen Warschau wegen Verstößen gegen Rechtsstaatsprinzipien läuft.
Der neue polnische Premierminister Donald Tusk und seine Regierung hätten wichtige Maßnahmen angestoßen, um die Unabhängigkeit der Justiz von der Politik in Polen wiederherzustellen, so von der Leyen. Die EU-Kommission halte die Gefahr, dass in dem Land gegen rechtsstaatliche Standards verstoßen werde, deswegen für gebannt. “Für Polen beginnt heute ein neues Kapitel”, lobte von der Leyen.
Seit der Wahlniederlage der PiS-Regierung nähern sich Brüssel und Warschau rapide an
Die Kommission wird nun den EU-Mitgliedsländern mitteilen, dass sie das 2017 begonnene Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen beenden will. Brüssel hatte dieses Verfahren begonnen, weil die damals in Warschau regierende rechtspopulistische PiS-Partei die Unabhängigkeit von Richtern und Staatsanwälten bis hinauf zum Verfassungsgericht eingeschränkt hatte. Waschau brach dadurch mit einem fundamentalen Prinzip der EU – der Rechtsstaatlichkeit. In solchen Fällen kann ein EU-Staat nach Artikel 7 des Vertrags bestraft werden, schlimmstenfalls durch den Entzug des Stimmrechts.
Zudem kann die Kommission einem EU-Staat, der gegen das Rechtsstaatsprinzip verstößt, Zuschüsse sperren, etwa aus dem sogenannten Kohäsionsfond, aus dem die EU in ärmeren Mitgliedsländern Infrastrukturprojekte bezahlt, oder aus dem Etat, der eingerichtet wurde, um die wirtschaftlichen Schäden der Covid-Pandemie abzufedern. Bei Polen summierten sich die Gelder aus diesen Töpfen, die Brüssel wegen der Rechtsstaatsverstöße auf Eis gelegt hatte, am Ende auf 137 Milliarden Euro.
Seit der Wahlniederlage der PiS-Regierung und dem Sieg des europafreundlichen Tusk im vergangenen Oktober nähern sich Brüssel und Warschau allerdings wieder rapide an. Die neue polnische Regierung kündigte einen “Aktionsplan” an, um umstrittene Entscheidungen und Richterberufungen der PiS rückgängig zu machen und die Unabhängigkeit der Justiz von politischen Einflüssen künftig zu garantieren.
In Brüssel lobte von der Leyen die Wende ausdrücklich und begann damit, die gesperrten Mittel in Tranchen freizugeben. Durch die Entscheidung vom Montag könnte nun der wichtigste Teil der Drohkulisse gegenüber Warschau endgültig abgebaut werden – das Artikel-7-Verfahren.
Anders als in Polen ist in Ungarn derzeit kein Regierungswechsel absehbar
Sollten die EU-Regierungen der Einstellung des Verfahrens gegen Polen zustimmen, bliebe Ungarn als einziges Land übrig, gegen das ein solcher Prozess läuft. Auch die rechtspopulistische Regierung in Budapest verstößt immer wieder gegen die Regeln der EU, was die Unabhängigkeit der Justiz und den Kampf gegen Korruption angeht. Auch Ungarn hat die Kommission Zuschüsse in Milliardenhöhe gesperrt, auch über Ungarn schwebt die Drohung, dass die anderen EU-Staaten dem Land das Stimmrecht entziehen. Bis zur Niederlage der PiS-Partei hatte der ungarische Premier Viktor Orbán allerdings einen Verbündeten in Warschau, der ihn vor allzu harten Strafen beschützen konnte.
Anders als in Polen ist in Ungarn derzeit kein Regierungswechsel absehbar, der zu einer Kurskorrektur führen könnte. Das erklärt wohl auch, warum die EU-Kommission mit der neuen polnischen Regierung deutlich laxer umgeht als mit der ungarischen: Brüssel will den Polen zeigen, dass sich ein Votum für eine europafreundliche Regierung im Wortsinn auszahlt, politisch und finanziell.
Polen freut sich über einen “ganzen Berg an Geld”
Deswegen gibt von der Leyen eingefrorene Mittel frei – einen “ganzen Berg an Geld”, wie Tusk völlig zu Recht und höchst erfreut feststellte -, obwohl einige der Gesetze, durch welche die Rechtsstaatlichkeit in Polen in der Zukunft garantiert werden soll, noch gar nicht vom Parlament verabschiedet wurden. Dass die Entscheidung, das Artikel-7-Verfahren offiziell zu beenden, in Brüssel nur wenige Wochen vor der Europawahl bekannt gegeben wurde, dürfte wohl auch kaum Zufall sein.
Gegenüber Warschau beharrt Brüssel hingegen darauf, dass alle geforderten Reformen nicht nur angekündigt, sondern tatsächlich legislativ festgezurrt und in der Praxis auch umgesetzt werden. In Ungarn wird diese Ungleichbehandlung kritisiert und als Beleg dafür gewertet, dass die EU-Kommission die rechte Regierung aus politischen Gründen gängelt.
In jedem Fall lässt sich an den Beispielen Polen und Ungarn ablesen, wie begrenzt der Einfluss der Brüsseler Behörde im Zweifelsfall tatsächlich ist: Es waren nicht die gesperrten Gelder und der drohende Stimmrechtsentzug, sondern die Wählerinnen und Wähler, die in Warschau den Richtungswechsel erzwungen haben – und in Budapest bisher nicht.