EU stellt Rechtsstaatsverfahren gegen Polen an
Nach dem Regierungswechsel in Polen will das EU-Land wieder die Unabhängigkeit seiner Justiz stärken. Außerdem sollen Urteile des EuGH umgesetzt werden. Dies führt dazu, dass die EU-Kommission des Rechtsstaatlichkeitsverfahrens einstellen wird.
Der neue Ministerpräsident Donald Tusk, der selbst jahrelang Präsident des Europäischen Rates war, hatte versprochen, Polen wieder auf einen EU-freundlichen Pfad zurückzuführen dpa/Christoph Soeder
Die EU-Kommission hat die Einstellung eines seit sechs Jahren laufenden Rechtsstaatlichkeitsverfahrens gegen Polen angekündigt. Damit werde für das EU-Mitglied ein neues Kapitel aufgeschlagen, schrieb Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Montag auf dem Kurznachrichtendienst X.
Polen habe eine Reihe von Maßnahmen erlassen, um auf die Bedenken hinsichtlich der Unabhängigkeit der Justiz einzugehen, begründete die Europäische Union den Schritt. So erkenne das Land nun den Vorrang von EU-Recht an und habe zugesagt, Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte umzusetzen.
Der Kursschwenk wurde durch den Regierungswechsel in Warschau im vergangenen Jahr möglich. Der neue Ministerpräsident Donald Tusk, der selbst jahrelang Präsident des Europäischen Rates in Brüssel war, hatte versprochen, Polen wieder auf einen EU-freundlichen Pfad zurückzuführen und die Unabhängigkeit der Justiz wiederherzustellen. Die Vorgängerregierung unter der nationalkonservativen PiS-Partei hatte einen tief greifenden Umbau des Justizwesens in die Wege geleitet. Kritiker sahen darin eine Beschädigung der Demokratie und warnten vor einer politischen Einflussnahme auf Gerichte. Die EU-Kommission leitete das Verfahren ein, das nun eingestellt werden soll. Unabhängig von dem Artikel-7-Verfahren wurden jüngst auch schon EU-Fördergelder in Höhe von 6,3 Milliarden Euro freigegeben, die lange wegen der Rechtsstaatlichkeitsbedenken zurückgehalten worden waren.
Der polnische Justizminister Adam Bodnar begrüßte die Entscheidung in Brüssel. Er bedankte sich bei von der Leyen für die Zusammenarbeit und die Unterstützung. Polen fühle sich den gemeinsamen europäischen Werten verpflichtet und werde die Rechtsstaatlichkeit konsequent wiederherstellen.
Eine entsprechende formale Entscheidung soll demnach getroffen werden, wenn die anderen Mitgliedstaaten bei einem Ministertreffen am 21. Mai keine Einwände erheben. Das sogenannte Artikel-7-Verfahren gegen Polen war 2017 eingeleitet worden, nachdem die damalige nationalkonservative PiS-Regierung begonnen hatte, das Justizwesen umzubauen. Es hätte theoretisch sogar zu einem Entzug der Stimmrechte bei EU-Entscheidungen führen können.
Sollte das Vorgehen gegen Polen wie geplant gestoppt werden, wäre künftig nur noch Ungarn von einem Artikel-7-Verfahren betroffen. Dort steht Ministerpräsident Viktor Orbán unter dem Verdacht, die Unabhängigkeit der Justiz und die Meinungsfreiheit einzuschränken und Korruption zu fördern.
Langwierig, die Reformen zurückzudrehen
Die Eingriffe in das polnische Justizsystem, die die PiS mit ihren umstrittenen Reformen vorgenommen hatte, waren schwerwiegend. Entsprechend langwierig und zäh ist es für Tusks Mannschaft, die Justizreformen wieder zurückzudrehen.
Beispielsweise hatte Justizminister Bodnar bereits im Januar angekündigt, dass man die Nominierung von Richtern wieder von der Politik entkoppeln wolle. Ein entsprechender Gesetzentwurf, der die Besetzung des Landesjustizrates neu regelt, wurde vor zwei Wochen vom Sejm, der ersten Kammer des Parlaments, verabschiedet.
Der Landesjustizrat ist das Gremium, das Richter für frei werdende Stellen nominiert. Im Jahr 2018 führte die PiS-Regierung eine Reform ein, nach der 15 der insgesamt 25 Mitglieder des Landesjustizrates durch das Parlament ernannt wurden – zuvor hatten Richter die Mehrheit der Mitglieder bestimmt. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) kritisierte, der Landesjustizrat sei ein Organ, das „von der polnischen Exekutive und Legislative wesentlich umgebildet wurde“, an seiner Unabhängigkeit gebe es berechtigte Zweifel.
Künftig sollen wieder allein Richter unterschiedlicher Gerichte über die 15 Sitze im Landesjustizrat bestimmen. Das Gesetz muss von Präsident Andrzej Duda unterzeichnet werden. Dieser letzte Schritt könnte jedoch zu einer Hürde für das Projekt werden: Duda stammt aus den Reihen der PiS und hat immer wieder deutlich gemacht, dass er deren Politik stützt. Er könnte das nach Gesetz also torpedieren.