ESC-Sänger Isaak Guderian: Berlin wäre für ihn Überforderung, Zusammenbruch, Psychiatrie
Isaak, hier auf dem blauen Teppich kurz vor der offiziellen ESC-Eröffnung im schwedischen Malmö
Wie drückte es einst der gute Peter Fox aus, 2008, auf seiner Platte „Stadtaffe“ und ganz konkret dem „Schwarz zu Blau“-Track? „Guten Morgen, Berlin / Du kannst so hässlich sein / So dreckig und grau / Du kannst so schön schrecklich sein / Deine Nächte fressen mich auf.“
Auch in der jüngsten Popmusik hat gepflegte Berlin-Hassliebe wieder Hochkonjuntur. Paula Hartmann etwa erzählt von Depri-Drogenrausch rund um den Kudamm. „Die Straße stinkt nach Pisse und Benzin“, verlautbaren die beiden Wahlberliner Newcomer Sam James und Tom Blanc über ihre neue Heimat in ihrer „Berlin“-Single. „Diese Stadt ist voller Hass, so viele Demons hier“ – so sieht es der dämonengeplagte Schöneberger Rapper Monk der Rap-Crew BHZ, auf seiner jüngsten Solo-Single „Berlin08“. Berlin im Bann der Dämonen. Da kann nur noch Buffy helfen.
Berlin-Bashing hat Tradition. Oft ist das ja nicht mal bös gemeint – sondern einfach in Sorge um die eigene mentale Gesundheit. Denn eines ist auch klar: Vieles an unserem fantastischen Berlin ist eine Zumutung.
Das sieht offenbar auch der 29-jährige Isaak Gudrian so, unser Mann für Malmö. „Always On The Run“ heißt das Lied, das Isaak (wie er sich knackig auf der Bühne nennt) am Sonnabend, dem 11. Mai, beim Eurovision Song Contest (ESC) im Namen Deutschlands singen wird. Bei einem, der always on the run, also immer auf dem Sprung ist, kann man freilich fragen: Wo würde er gern leben? Genau das hat die Deutsche Presse-Agentur (dpa) soeben getan. Wäre Berlin was für Isaak Gudrian?
Nein, Isaak winkt ab, er will lieber in der Provinz bleiben – wenn auch nicht zwangsweise in seiner Heimat Ostwestfalen. Aber: Er (übrigens Vater von zwei Söhnen) braucht das Nachhausekommen und er hat ein „Fokusproblem“, wie er sagt. Qual der Wahl, das ist so gar nicht seins. „Mich überfordert das allein schon, wenn ich beispielsweise in den Supermarkt gehe und mir einen Käse kaufen will und ich da 50 verschiedene Käsesorten habe, dann drehe ich am Rad.“ So gesehen sind das KaDeWe oder Berliner Gourmet-Markthallen freilich nicht das Richtige für Isaak.
Dann wird Isaak drastischer in seiner Einschätzung zu einem Leben in Berlin: Wenn er nach Berlin ziehen würde, so Isaak gegenüber der dpa, müsste er sich wohl nach einem Jahr selbst in die geschlossene Psychiatrie einweisen. Wobei Isaak durchaus auch gewisse Vorzüge der vielen Berliner Möglichkeiten anerkennt: „Du könntest auf irgendwelche Partys gehen, auf irgendwelche Konzerte. Du könntest jeden Tag mit irgendwem Musik machen und das macht ja auch Spaß“, so der ESC-Teilnehmer. Aber dann würde der komplette Zusammenbruch wegen absoluter Überforderung folgen. Er würde keine Ahnung mehr haben, wo vorn und hinten ist – so schätzt es Isaak ein.
Sowieso, erzählt Isaak, sei das für ihn die Challenge, Grenzen zu stecken. Zumal die Musik für ihn sowohl Passion als auch Profession ist. Die Menschen um ihn herum auf dem Lande hätten, anders als in Berlin, kaum etwas mit Musik zu tun. „Da schaffe ich es einfach, mir Pausen einzuräumen. Und so komme ich auch überhaupt mal zur Ruhe.“
Zur Ruhe kommt Isaak in den nächsten Tagen allerdings vermutlich erst mal nicht: Am 7. und 9. Mai finden die beiden Halbfinale statt, am 11. Mai das Finale. Beim ersten Halbfinale hat auch Isaak einen Auftritt, jedoch außerhalb des Wettbewerbs. Denn Deutschland ist als eines der Big-Five-Länder schon für das Finale qualifiziert. Weil wir soviel Geld bezahlen für den ESC. (Nebenbei: Warum geht das bei der Fußball-EM eigentlich nicht?) Trotzdem gilt es Sympathie-Punkte zu ergattern. Und am 11. Mai muss auch Isaak dann volle Leistung geben, um echte ESC-Punkte abzusahnen.
Vielleicht gut für Isaak, dass die nun womöglich in ihrem Stolz gekränkten Berliner ohnehin nicht für Deutschland voten dürfen, außer sie befinden sich im Ausland. Andererseits hat Isaak vermutlich vielen auch aus der Seele gesprochen. Partys und Konzerte, schön und gut. Aber 50 Käsesorten, wer soll da nicht gaga werden?