Erinnerungspolitik: Gedenkstätten stellen sich gegen Claudia Roths Pläne

Mit neuen Leitlinien proben Deutschlands Gedenkstätten weiter den Aufstand gegen die Pläne von Kulturstaatsministerin Claudia Roth. Aufgeworfen wird auch die heikle Frage, wie und wo man der Kolonialverbrechen gedenken soll.

erinnerungspolitik: gedenkstätten stellen sich gegen claudia roths pläne

Es ist eine der brisantesten Debatten in der deutschen Kulturpolitik. Sie geht alle im Land etwas an, ist aber für die meisten schwer greifbar, weil zwei maßgebliche Papiere dazu nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind: weder die von Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) verfasste Vision zur deutschen Erinnerungskultur. Noch die historisch scharfe Stellungnahme der Gedenkstätten, in der Roth immerhin eine »Verharmlosung der NS-Verbrechen« vorgeworfen wurde.

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Gerade aber jene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die Gedenkstätten unter anderem in ehemaligen KZs oder Stasi-Gefängnissen leiten, wissen um die Bedeutung von Transparenz. Schließlich ist es eines ihrer zentralen Anliegen, dass sich jede und jeder für die Aufarbeitung schlimmster Verbrechen mitverantwortlich fühlt – und auch dafür, dass diese nicht in Vergessenheit geraten.

In den vergangenen Tagen haben die zuständigen Verbände und Arbeitsgemeinschaften nun ein Papier verfasst, das im Gegensatz zu der Stellungnahme von Anfang April weniger vertraulich ist. Die darin enthaltenen Leitlinien werden die weitere Debatte maßgeblich bestimmen. Denn obwohl die Vertreter der Gedenkstättennetzwerke laut eigenen Angaben auf eine konstruktive Zusammenarbeit mit Roths Behörde hoffen, ist weitere Aufregung schon jetzt absehbar.

In der Einleitung betonen die Verfasser – zwei renommierte Historiker – vorsichtshalber noch einmal, dass sie Roths ursprüngliche Vorstellungen nicht mittragen konnten. Was die Fachleute störte? Die Kulturstaatsministerin wollte in ihrem Entwurf das erinnerungspolitische Sortiment diversifizieren.

Das heißt: In der Konzeption für die Gedenkstätten sollten zum Beispiel die Morde der NSU einen Platz finden – und Verbrechen, die im Namen des Kolonialismus verübt würden.

Polarisierendes Großthema

Für die Aufnahmen der kolonialen Verbrechen plädieren zwar auch die Gedenkstätten, sie fürchten aber wohl eine falsche Gewichtung und Umsetzung. Auch jenseits der Gedenkorte ist man sich schließlich uneinig, ob und wie man Kolonialverbrechen und NS-Diktatur in ein Verhältnis zueinander setzen darf. Es ist eines der polarisierenden Großthemen der Geschichtswissenschaft.

Laut dem Leitlinienpapier der Gedenkstätten trägt die Bundesrepublik für eine kritische Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus »eine besondere Verantwortung«. Die Herausforderung liege darin, die damaligen Verbrechen »mit denen der nachfolgenden Epochen in Beziehung zu setzen und wo nötig auch voneinander abzugrenzen«.

Eine Gleichsetzung, so liest man es aus den Leitlinien heraus, wäre nicht zulässig. Einer der Unterschiede wird direkt genannt: So sei das Deutsche Kaiserreich im Gegensatz zu Nationalsozialismus und DDR keine Diktatur gewesen.

Dass das Unrecht in der Ferne geschah, ist ebenfalls problematisch. Für die Gedenkfachleute ist ihre Form der Vergangenheitsvermittlung an konkrete Orte des Verbrechens geknüpft. »Zahlreiche Tatorte« des Kolonialismus, so schreiben sie aber, lägen »außerhalb des Gebiets der Bundesrepublik«.

Sicher lassen sich angemessene historische Orte in Deutschland finden, die wie in ihrem Papier gefordert »einen Bezug zum deutschen Kolonialismus haben«, immerhin profitierten viele im Kaiserreich von der Tyrannei in den sogenannten Schutzgebieten: Unternehmen etwa, Universitäten oder die eigens dafür geschaffenen »Völkerkundemuseen«. In Deutschland wurden für vermeintlich wissenschaftliche und in Wahrheit obskure Zwecke massenhaft Schädel gesammelt (von denen viele noch nicht zurückgegeben wurden). Die Blutspur reicht bis dort. Dass die Tatortfrage dennoch polarisieren wird, ist aber vorhersehbar.

Sorge um Relativierung

Strittig ist vor allem die Forderung nach einer Hierarchie der Taten. So nennen die Leitlinien eine Bedingung: Die Anerkennung der kolonialen Verbrechen solle »unter der Voraussetzung geschehen, dass die NS-Verbrechen damit nicht relativiert werden und das SED-Unrecht nicht bagatellisiert wird«. Mehr noch: Die Auseinandersetzung mit den nationalsozialistischen Regimeverbrechen müsse eine »gegenüber anderen Epochen und Verbrechenskomplexen eine herausgehobene Stellung einnehmen«.

Für viele Historiker ist diese Sicht eine Selbstverständlichkeit, aber nicht für alle. Wie werden jene kontern, die finden, dass koloniale Verbrechen mit Verweis auf den Holocaust heruntergespielt werden? Die denken, dass im weiteren Zusammenhang auch der heutige Nahostkonflikt mit Naziverbrechen gleichgesetzt oder zumindest verglichen werden sollte?

Man dürfe nicht alle historischen Verbrechen auf den Nenner »Ja, das war auch nicht gut« bringen, so warnte Raphael Gross, der Direktor des Deutschen Historischen Museums in Berlin, vor einiger Zeit im SPIEGEL-Interview. Denn das sei eine Form der Relativierung.

So sollte der Blick besser geschärft werden, für das, was die Deutschen als koloniale Machthaber und in ihren beiden Diktaturen vor Ort anrichteten. Erstaunlich vieles ist noch unbekannt. Ignoriert oder übersieht man die Details, würde man blind werden für das, was noch da ist oder was zurückkommen könnte.

Natürlich ist das Leitlinienmanifest auch eine Provokation, es liest sich wie eine Nachhilfestunde und Hausaufgabe für Roth. Der Ärger ist verständlich: In ihrem ersten, sehr weit greifenden Entwurf, hatte sie die Gedenkstätten kaum einbezogen, auch nicht die enorme wissenschaftliche Kompetenz, die dort versammelt ist. Und nun drängt die Zeit: Bereits ab Herbst soll eine endgültige Fassung vorliegen. Die wird dann den Rahmen für die kommenden Jahre oder Jahrzehnte setzen.

Roth will die Vertreter der Gedenkstätten demnächst an einem runden Tisch begrüßen. Man muss hoffen, dass sie ihre Argumentationslinien bis dahin ein wenig nachschärft.

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