Erderwärmung und El Niño: Die Hitze trifft Südostasiens Wirtschaft
Etwas Schatten: Regenschirme dienen am Donnerstag in Singapur dem Sonnenschutz.
Er fürchte sich, am Wochenende in den Hafen der Ehe einzulaufen, sagt der Hörer von Mediacorp 987 in dem Singapurer Radiosender. Fehlende Liebe ist nicht sein Problem. Angst macht das Wetter. 33 Grad sollen es am Samstag auf der südostasiatischen Insel werden, was sich bei 80 Prozent Luftfeuchtigkeit laut Voraussage so anfühle wie 38 Grad. „Ich wünschte, wir könnten die Hochzeit absagen.“
Hitze ist in Südostasien nichts Neues. Ob in Singapur bis Ende Dezember die Durchschnittstemperatur aus dem Jahr 1998 erreicht wird, die 28,3 Grad betrug, ist nicht ausgemacht. Doch weil der April wieder mal deutlich heißer war als üblich und auch der Mai quälende Temperaturen verspricht, kennt die Region dieser Tage nur ein Thema: Die Hitzewelle, die wie schon in den Vorjahren die Menschen heimsucht und neben dem Körper auch die Gemüter erhitzt.
So wurde die Singapurer „Straits Times“ Ende vergangener Woche im Internet mit Hasstiraden überschüttet, nachdem die größte und äußerst regierungsnahe Zeitung des Stadtstaats ihren weniger betuchten Lesern „umweltfreundliche“ Alternativen zum teuren Betrieb von Klimaanlagen empfohlen hatte. Die Ideen – „Fenster öffnen, erfrischende Duschgels nutzen, nackt Schlafen“ – empfanden viele Leser nicht nur als Hohn angesichts der täglichen „Hölle“, die es im heißen Singapur täglich aufs Neue zu überleben gelte.
Klassenraum ohne Schülerinnen und Schüler: Auf den Philippinen fiel wegen der Hitze zuletzt Präsenzunterricht aus.
Die Temperaturen steigen doppelt so schnell
Der Artikel sei auch Verrat am Gründer Singapurs Lee Kuan Yew, der einst Klimaanlagen als eine der „wichtigsten, vielleicht wegweisendsten Erfindungen in der Geschichte“ bezeichnet hatte. Nur dank künstlicher Luftkühlung sei es schließlich möglich, in tropischen Klimazonen zu arbeiten, was den Aufstieg des nur 140 Kilometer nördlich des Äquators liegenden Singapurs vom Dschungeleiland zu einer der reichsten Nationen der Erde überhaupt erst ermöglicht habe.
In Singapur steigen die Temperaturen doppelt so schnell wie im Durchschnitt der restlichen Welt. Bereits im vergangenen Jahr wurden in den Monaten April und Mai hier Rekordtemperaturen gemessen. Doch dass der Energieverbrauch im Vergleich zu vorangegangenen Monaten um 8 Prozent stieg, spielt im Stadtstaat trotz hoher Gebührenbescheide vom Elektrizitätswerk vor allem wegen des Klimaschutzes eine Rolle. Sorgen doch die Emissionen, die im Zusammenhang mit dem Stromverbrauch von Klimaanlagen entstehen, laut Weltwirtschaftsforum bis zum Ende des Jahrhunderts für einen globalen Temperaturanstieg von 0,5 Grad.
Für die diesjährige Hitzewelle in Südostasien ist indes nicht allen der Klimawandel verantwortlich. Schuld hat auch das Wetterphänomen El Niño, das in Südostasien für weniger Regenfall sorgt. Doch im Vorjahr, als die Region unter noch höheren Temperaturen gelitten hatte, hatte das World Weather Attribution Project, einer Gruppe von Klimawissenschaftlern, ausgerechnet, dass Hitze und Trockenheit von der menschengemachten Erderwärmung um den Faktor 30 begünstigt würden.
Auf den Philippinen herrschen um die 45 Grad
Wenn die Rekordtemperaturen von einem Jahr zuvor nun nicht überall in der Region erreicht worden sind: Extrem heiß ist es trotzdem wieder. In Vietnam und Kambodscha haben die Temperaturen die 40-Grad-Marke überschritten. In Myanmar gaben die Militärmachthaber die Hitze als Grund dafür an, dass sie die frühere Staatsführerin Aung San Suu Kyi aus dem Gefängnis in Hausarrest verlegt haben. Auf den Philippinen wurden in dieser Woche wegen Temperaturen um die 45 Grad die Schulen für bisher zwei Tage geschlossen.
In Indien wird die niedrige Beteiligung bei der seit Mitte April laufenden Parlamentswahl, die nur alle fünf Jahre stattfindet, auch auf die Hitze zurückgeführt. In Thailand stufte die staatliche Wetterbehörde die Rekordtemperaturen von über 44 Grad als „sehr gefährlich“ ein. Bisher sind laut offiziellen Angaben in dem Land seit Jahresbeginn 30 Menschen an Hitzeschlag gestorben. Über das gesamte Jahr gerechnet hatte 2023 die Zahl der Todesopfer bei 37 gelegen.
Dass Südostasien immer wieder besonders unter extremer Hitze leidet, hängt damit zusammen, dass es hier im Gegensatz zur nördlichen Hemisphäre keine Jahreszeiten gibt. In Singapur war es im vergangenen Jahr im Januar, dem kältesten Monat, mit durchschnittlich 26,5 Grad nur drei Grad kühler als im Mai, dem heißesten Monat.
In der Region ist jeder Tag warm und feucht. Dass die Bevölkerungen in den aufstrebenden Nationen stark wachsen und die Menschen massenhaft in die Städte ziehen, macht sie besonders anfällig für die Folgen der Erwärmung.
Produktivität sinkt deutlich
Für Singapur schätzt die National University in einer neuen Untersuchung, dass die Hitzewellen bis 2035 dafür sorgen würden, dass die Arbeitsproduktivität um 14 Prozent sinkt. Vor allem das Baugewerbe sei betroffen. Das werde die lokale Wirtschaft 2,2 Milliarden Singapur-Dollar (1,5 Milliarden Euro) im Jahr kosten, doppelt so viel wie im Jahr 2018.
In Ländern wie Vietnam und Kambodscha sind auch die Arbeiter innerhalb der Fabriken von den hohen Temperaturen betroffen, weil diese oft schlecht gelüftet werden. Aber auch die Leistungsfähigkeit des Gehirns leide, was sich unter anderem auf die Geschwindigkeit auswirkt, mit der Kinder in der Schule lernen.
Reiche Städte wie Singapur wollen der Hitze mit mehr Parks begegnen. Die Begrünung von Häuserfassaden mit vertikalen Gärten kann den Energieverbrauch um bis zu ein Drittel reduzieren, behaupten Studien. Die Region insgesamt hingegen wird wohl auf eine schnellere Lösung setzen.
Allein in Indonesien dürfte laut einer Studie der Internationalen Energieagentur die Zahl der Klimaanlagen in Wohngebäuden von derzeit geschätzt 23 Millionen bis zum Jahr 2040 auf 129 Millionen steigen. Zu diesem Zeitpunkt verschlängen die Geräte, so die Prognose, in Südostasien ein knappes Drittel des gesamten Stromverbrauchs.