Er will nach Paris – trotz 144 Absagen
Mit dem 1.-Mai-Meeting auf der Schützenmatte beginnt am Mittwoch eine Leichtathletik-Saison, die für den Baselbieter mit dem Schritt ins ganz grosse Scheinwerferlicht enden soll. Dafür hat er den Frühling mit dem Olympiasieger verbracht.
Beim Meeting in Götzis 2023 noch Konkurrenten, in den vergangenen Wochen Trainingspartner: Olympiasieger Damian Warner (links) und der Baselbieter Finley Gaio.
Es ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit, die Finley Gaio kurz vor dem Start in die neue Leichtathletik-Saison verkünden kann: «Ich bin fit, fühle mich super», sagt der 25-jährige Zehnkämpfer. 2020 ein Horrorunfall beim Stabhochsprung mit gebrochenem Ober- und Unterkiefer, zuletzt eine Knieverletzung, die ihn zum Verzicht auf die komplette Hallensaison zwang.
Dazwischen aber sorgte der Athlet des SC Liestal im Mehrkampf und im Hürdenlauf für Ausrufezeichen, die ihn neben den Schweizer Rekordhaltern Jason Joseph (Hürden) und Salome Lang (Hochsprung) zu einem Aushängeschild der regionalen Leichtathletik machten. Und ihm in diesem Frühling eine ganz besondere Einladung bescherten.
«Das war in einem Podcast», erzählt Gaio. Mit dem Trainer von Olympiasieger Damian Warner habe er dort über den Zehnkampf gesprochen, als dieser ihm plötzlich anbot, für einen Monat in die USA zu einem Trainingslager zu reisen. So verbrachte Gaio die vergangenen Wochen gemeinsam mit einigen der weltbesten Mehrkämpfer in einem Airbnb in Santa Barbara.
«Es war eine grossartige Erfahrung», schwärmt Gaio. Begonnen habe der Tag jeweils mit einem spielerischen Einwärmen, eine Stunde Football zum Beispiel. Darauf folgte das disziplinenspezifische Warm-up, ehe dann drei bis vier Stunden lang zwei oder drei verschiedene Disziplinen trainiert wurden. Ein knallhartes Programm? Mehrkämpfer sind sich nichts anderes gewöhnt. Am Abend reichte es meist noch, um ein bisschen Karten zu spielen.
«Ich konnte eine ausgezeichnete Basis für die kommende Saison legen», ist sich Gaio sicher und ergänzt: «Mit Damian zu trainieren ist schon sehr speziell, er ist ein Weltklasse-Athlet.» Vor allem von seiner Lockerheit habe er versucht zu profitieren. Wie gelingt es, sich in einem Wettkampf nicht zu verkrampfen? Damit habe er sich viel beschäftigt. Konnte er Warner auch fordern? «Bei den Läufen habe ich Druck gemacht», erzählt Gaio und lacht.
Die schwierige Sponsorensuche
Bezahlen musste der Baselbieter für diese optimale Saisonvorbereitung einzig die Flüge, alles andere wurde vom Team rund um Warner übernommen. Das kommt Gaio nicht ungelegen, schliesslich wird man als Schweizer Leichtathlet meist nicht reich. «Wenn man nicht gerade Kambundji heisst, ist die Sponsorensuche schwierig.» Das erfuhr im vergangenen Jahr auch das Umfeld von Finley Gaio bei der Suche nach finanzieller Unterstützung: 145 Anfragen, 144 Absagen.
Ein, zwei kleinere Sponsoren hat er inzwischen gefunden, ein Kleiderausrüster aber fehlt ihm noch immer. «Da bin ich als Mehrkämpfer sicher im Nachteil», sagt Gaio, der neben der Leichtathletik Sportmanagement studiert. Wer eine Einzeldisziplin betreibt, erhält – vor allem durch die Diamond-League-Meetings – eine deutlich grössere Bühne, um sich zu präsentieren. «Es gibt sicher schwächere Athleten in der Schweiz als mich, die einen Ausrüster haben – nur weil sie in einer Einzeldisziplin starten», sagt Gaio. Trotzdem schliesst er es aus, sich deshalb ganz auf den Hürdenlauf zu konzentrieren, in dem er zu den besten des Landes zählt. «Im Mehrkampf sehe ich bei mir mehr Potenzial.»
Dort wolle er in diesem Jahr den Schweizer Rekord (8468 Punkte) angreifen. Ein ambitioniertes Unterfangen, schliesslich müsste er dazu Simon Ehammer überflügeln, eines der grössten Leichtathletik-Talente, das die Schweiz je hervorgebracht hat. Gaios Bestwert liegt bei 8022 Punkten. Doch er sagt: «Im Stabhochsprung und bei den Würfen habe ich mich verbessert. Ich traue mir sicher 8200 und mehr Punkte zu.» So viele braucht er, um sich für die EM im Juni zu qualifizieren, sein erstes Ziel diese Saison.
Das zweite soll dann im Sommer in Paris erreicht werden. Dort will er bei Olympia starten – ein Kindheitstraum. «Aber schon realistisch», sagt Gaio. Um sich zu qualifizieren, muss er sich Ende Juni in der Weltrangliste unter den besten 24 befinden. Derzeit steht er auf Platz 55.
Der Weg nach Paris beginnt am Mittwoch auf der Schützenmatte, wo er am 1.-Mai-Meeting mit Stab, Kugel und Speer startet. Enden soll er im Stade de France. Ein Schweizer Zehnkämpfer bei Olympia, das hat es seit 24 Jahren nicht mehr gegeben. Die Qualifikation wäre für Gaio der Schritt ins ganz grosse Scheinwerferlicht. Und sie würde die Anzahl Absagen bei zukünftigen Sponsorenanfragen wohl deutlich senken.
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