Eine unzumutbare Belastung für Menschen und Wirtschaft
Panzergrenadiere der Bundeswehr bei einer Übung in Nordhessen.
Rein praktisch fehlt es für eine Wehrpflicht an den Voraussetzungen, diese überhaupt umzusetzen. Jahrzehnte des Kaputtsparens haben in der Infrastruktur der Bundeswehr sichtbare Spuren hinterlassen. Die Truppenübungsplätze, Kasernen und Betten reichen nicht aus, um zusätzlich Zehntausende Wehrpflichtige unterzubringen. Außerdem müsste die Zahl der Ausbilder deutlich erhöht werden. Neben dem anspruchsvollen regulären Ausbildungsbetrieb bringen weitere Herausforderungen – wie die Ausbildung ukrainischer Soldaten oder die Entsendung einer Brigade nach Litauen – die Bundeswehr an die Grenzen ihrer Kapazität.
Eine Wehrpflicht bedeutet nicht nur eine zusätzliche finanzielle Strapaze für die Bundeswehr, sondern ebenso für unsere Wirtschaft. In Zeiten, in denen wir so dringend eine Wirtschaftswende brauchen und Unternehmen mit dem Fachkräftemangel kämpfen, können wir uns das nicht leisten. Eine Wehrpflicht würde zusätzliche Investitionen erfordern, die unser Haushalt nicht hergibt und die an anderer Stelle dadurch fehlen. Auch für den Arbeitsmarkt bedeutet das einen dauerhaften Verlust eines ganzen Jahrgangs. Es gehen Milliarden an Steuergeldern verloren, da junge Menschen nach dem Schulabschluss ein Jahr lang nicht in das Berufsleben eintreten.
Nils Gründer ist FDP-Bundestagsabgeordneter und Mitglied des Verteidigungsausschusses
Das Modell Schweden taugt nicht
Eine Wehrpflicht greift massiv in die Freiheiten zukünftiger Generationen ein, ohne dabei das eigentliche Ziel einer langfristig personell starken Bundeswehr zu erreichen, wie das Beispiel Schweden zeigt. Auf den ersten Blick wirkt es attraktiv, denn Frauen und Männer werden gleichermaßen erfasst und ein Überblick bezüglich der Tauglichkeit zum Dienst wird geschaffen. Über einen Onlinefragebogen wird ein ganzer Jahrgang nach Motivation und Fähigkeiten befragt, ein Teil zur Musterung aufgefordert und davon anschließend ein Teil verpflichtet. Die Pflicht greift unabhängig davon, ob sich genügend Freiwillige melden.
Seit der Wiedereinführung der Wehrpflicht in Schweden 2017 sinkt der Anteil von Verpflichtungen nach der Grundausbildung von Jahr zu Jahr. Das Modell sei lediglich eine Auslese junger Menschen, die Lust auf ein herausforderndes Jahr haben, nicht aber auf eine sechsjährige Karriere als Maschinengewehrschütze, sagt der Verteidigungsattaché der schwedischen Botschaft in Berlin. Die Bundeswehr braucht keine Wehrpflichtigen für neun bis zwölf Monate, sondern echte Profis – Spezialisten, die sich aus eigener Überzeugung für die fordernde, langfristige Laufbahn in den Streitkräften entscheiden.
Es gibt nicht genug Dienstposten
Ein bisher zu wenig ausgeschöpftes Potential liegt in unserer Reserve. Sie ist das Rückgrat einer wehrhaften Bundeswehr und für deren Schlagkraft im Ernstfall essenziell. Im vergangenen Jahr sprach der Präsident des Verbands der Reservisten von rund 230.000 Reservisten, die sich bereiterklärt haben, aktive Posten anzutreten. Trotz ihrer Bereitschaft erhalten viele eine Absage, weil es nicht genügend Dienstposten gibt – eine Voraussetzung für eine aktive Reservetätigkeit. Diese vorhandene Motivation müssen wir nutzen, entsprechende Stellen schaffen und den Bewerbungsprozess entschlacken.
Neben einer schlankeren Bürokratie zeigt sich auch ein weiteres Manko. Das Bewerberinteresse verteilt sich ungleich auf die offenen Dienstposten. Entweder ist die Besetzung zu starr, werden Alternativen nicht ausreichend kommuniziert oder die Möglichkeiten des Reservedienstes sind den Menschen gänzlich unbekannt. Dabei sind die Tätigkeiten in der Reserve vielfältig und reichen vom Unterstützungseinsatz im Ausland über die Cyberkräfte bis hin zum Heimatschutz. Es ist wichtig, dass wir das, was die Reserve bietet, stärker betonen und sie in das Bewusstsein unserer Gesellschaft rücken.
Anreize für Arbeitgeber schaffen
Dazu gehört auch sicherzustellen, dass jeder, der einen Beitrag leisten möchte, die Möglichkeiten dazu hat. Bürokratische Hürden erschweren es Bürgern, sich in der Reserve zu engagieren, und verursachen bei Reservisten oft Konflikte zwischen Arbeitsleben und Reservedienst. Die Vereinbarkeit dieser beiden Bereiche ist herausfordernd und erfordert eine erhebliche Flexibilität und Verständnis füreinander.
Neben dem Dienst an der Gesellschaft sind die Fähigkeiten, die Reservisten während ihres Dienstes erwerben, für Arbeitgeber ebenso wertvoll, diese Fähigkeiten werden jedoch häufig unterschätzt. Umso wichtiger ist es, Hindernisse abzubauen und Anreize zu schaffen – wie durch die Verleihung des Abzeichens „Partner der Reserve“ an unterstützende Unternehmen – oder weitere finanzielle Anreize für kleine Unternehmen, die es Reservisten ermöglichen, regelmäßig an Übungen teilzunehmen.