Dortmund Bilder für die Ewigkeit
Champions League
Dortmund Bilder für die Ewigkeit
Alle Dortmunder Wege führen nach Wembley.
An einem epischen Abend in Paris erreicht der BVB das Champions-League- Finale, das er jetzt auch gewinnen will – „sonst“, sagt Marco Reus, „wäre es echt scheiße“ / Von Benedikt Ophaus
Selbstverständlich hatte Jude Bellingham das Champions-League-Endspiel am 1. Juni in Wembley, nur zwei Autostunden von seiner englischen Heimat Birmingham entfernt, schon seit Monaten im Blick. Der 20-Jährige spielt für Real Madrid, Stammgast im Finale der Königsklasse. In den vergangenen zehn Jahren erreichte Real fünfmal das letzte Spiel der Saison – und ging stets als Sieger hervor.
Was aber selbst dieser überaus smarte Ausnahmefußballer nicht erhofft haben dürfte: Ausgerechnet in der wichtigsten Partie des europäischen Klubfußballs kommt es nur ein Jahr nach Bellinghams Abschied aus dem Ruhrgebiet zum Wiedersehen mit seinem Ex-Klub. Borussia Dortmunds Finaleinzug ist eine der unwahrscheinlichsten Geschichten der jüngeren Vergangenheit. „Ich kann es nicht glauben. Mein erstes Finale, in England, gegen Dortmund“, sagte Bellingham nach Reals Halbfinal-Drama gegen die Bayern.
Sebastian Kehl und Julian Brandt hatten noch am Dienstagabend auf eine Wiederholung des deutschen Endspiels von 2013 gehofft. Womöglich schwang da ein Stück weit Fußballpatriotismus mit, womöglich aber auch eine gehörige Portion Respekt vor dieser Titelmaschine Real Madrid, die immer und immer wieder aus verloren geglaubten Duellen als Last-Minute-Sieger hervorgeht. „Wir haben in diesem Wettbewerb schon große Mannschaften geschlagen. Warum sollte uns dieses Wunder nicht auch in Wembley gelingen?“, sagte Kehl, nachdem er sich das Spiel der Bayern „in aller Ruhe“ auf der heimischen Couch angeschaut hatte.
Der entspannte TV-Abend in den heimischen vier Wänden wird jedem Dortmunder gut getan haben. Am Dienstag hatten sie zunächst den Prinzenpark zur Partyzone verwandelt, später ging es noch bis 4.30 Uhr im Hotel weiter. „Wenn du heute nicht feierst, feierst du nie wieder“, sagte Mittelfeldspieler Marcel Sabitzer. Ersatztorwart Alex Meyer, intern als Feierbiest bekannt, flitschte über den biergetränkten Tisch in der Kabine. Nico Schlotterbeck flog bei der Party vor den Fans von einer rutschigen Empore und blieb dabei irgendwie unverletzt. Jadon Sancho grölte mit Boom-Box auf der Schulter „Someone Like You“ von Adele. Und Vereinsikone Marco Reus gab in der Kurve auf den Schultern des eigentlichen Vorsängers mit Megafon den Takt an, als hätte er nie etwas anderes gemacht.
Es waren Bilder für die Dortmunder Ewigkeit. „In der Kabine war die Hölle los“, sagte Kehl. „Laute Musik, Alkohol, alles.“ Auch BVB-Boss Hans-Joachim Watzke genehmigte sich „mit großer Freude zwei Gläser Rotwein“.
Mit Fortuna im Bunde
Zu Recht, schließlich hatte dieser nicht für möglich gehaltene Lauf der Mannschaft in der Königsklasse den vorläufigen Höhepunkt erreicht. Dieses Team ohne großen Star, ein Stück weit ein Gegenentwurf des PSG-Milliarden-Konstrukts, entwickelte in der Champions League – und zwar ausschließlich dort und nicht in der Bundesliga – eine Leidenschaft, die es bis nach Wembley führt. Die Lust am Verteidigen, die Schlotterbeck, Mats Hummels und Julian Ryerson Runde für Runde auf ein neues Level hoben, wog mehr als die Ballfertigkeiten der Pariser Künstler. „Wir sind mit jedem Spiel gewachsen“, sagte Trainer Edin Terzic, der mit seinen Spielern schon die vermeintliche „Todesgruppe“ überstanden hatte, der sich nun nach reichlich Kritik und einer für ihn überaus heiklen Phase rund um Weihnachten als einer der Gewinner fühlen darf.
Genau wie Torschütze Hummels, bei dem immer noch nicht klar ist, ob er nicht genau wie Reus in Wembley sein letztes BVB-Spiel bestreiten wird, und an dem für die Heim-EM in dieser Form kein Weg vorbeiführen sollte. Der 35-Jährige stellte klar, es gebe „gar keinen Grund, nicht dran zu glauben, das Finale zu gewinnen“. Zumal die ersten Fans, die es am späten Dienstag schon in Scharen zur BVB-Geburtsstätte Borsigplatz zog, längst an höhere Mächte glauben. Sechsmal traf PSG in den Halbfinalduellen Aluminium, nicht ein Ball fand den Weg ins Netz, vier Pfosten- oder Lattentreffer verzeichnete Paris allein in den letzten 45 Minuten. Über das Dortmunder Glückstor sagte Kehl: „Wir sollten es vielleicht abbauen und mitnehmen. Vielleicht brauchen wir es in Wembley noch mal.“
Gut möglich, denn auch gegen Real Madrid wird der BVB natürlich als Außenseiter ins Spiel gehen. Doch mit Blick auf den Henkelpott stellte Reus klar: „Jetzt müssen wir ihn auch holen. Sonst wäre es echt scheiße.“