Die meisten islamistischen Gefährder sind deutsche Staatsbürger
Die Landespolizeien stufen 984 Islamisten als „Gefährder“ und „Relevante Personen“ ein. Über zwei Drittel davon haben die deutsche Staatsangehörigkeit, zeigen aktuelle Zahlen der Bundesregierung. Islamismus finde laut Innenministerium „in vulnerablen Teilen aller Bevölkerungsgruppen Anklang“.
Die meisten islamistischen Gefährder sind deutsche Staatsbürger
Islamisten, die von den Sicherheitsbehörden als gefährlich eingestuft wurden, sind mehrheitlich deutsche Staatsbürger. Dies geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der AfD-Bundestagsfraktion hervor, die WELT vorliegt.
Laut Bundesregierung waren mit Stand 3. April 2024 im Phänomenbereich „religiöse Ideologie“ der politisch motivierten Kriminalität 480 Personen von den Landespolizeien als Gefährder und 504 Personen als Relevante Personen eingestuft. Die Polizeien trauen diesen Personen Straftaten von erheblicher Bedeutung zu.
Davon besitzen 342 Gefährder und 334 Relevante Personen die deutsche oder eine doppelte Staatsangehörigkeit. Es folgen Syrer (65 Gefährder und 44 Relevante Personen), Türken (vier Gefährder und 32 Relevante Personen), Iraker (14 Gefährder und sechs Relevante Personen) sowie Tadschiken (elf Gefährder und sieben Relevante Personen).
Dass die meisten gefährlichen Islamisten Deutsche sind, trifft auch auf das von den Verfassungsschutzbehörden definierte „islamistisch-terroristische Personenpotenzial“ zu. Dieses umfasst derzeit rund 1680 Personen. Von diesen besitzen etwa 860 die deutsche Staatsangehörigkeit oder die deutsche und eine weitere Staatsangehörigkeit, etwa 820 besitzen sie nicht.
Zwölf islamistische Gefährder oder Relevante Personen wurden laut Bundesregierung im Jahr 2023 abgeschoben, davon vier in den Irak und drei nach Tadschikistan. In diesem Jahr wurden bis zum 11. April bislang vier Personen aus diesem Spektrum abgeschoben, in den Irak, nach Tadschikistan, Marokko und Serbien.
94 Gefährder (davon 39 Deutsche) und 22 Relevante Personen (davon 15 Deutsche) aus dem Phänomenbereich „religiöse Ideologie“ sind derzeit in Deutschland inhaftiert.
In der Antwort der Bundesregierung ist außerdem die Anzahl der offenen Haftbefehle politisch motivierter Straftäter erfasst – zum Stichtag 30. September 2023, da die Erhebung zum Stichtag 31. März 2024 bislang nicht abgeschlossen sei. Demnach gab es zu 124 Straftätern aus dem Bereich „religiöse Ideologie“ insgesamt 138 offene, also noch nicht vollstreckte Haftbefehle. Alle beziehen sich laut Regierung auf Personen, „die sich nach dem Kenntnisstand der Bundessicherheitsbehörden im Ausland aufhalten“, heißt es. „Es liegen keine offenen Haftbefehle gegen Gefährder oder Relevante Personen vor, die sich im Inland aufhalten.“
AfD forderte Entzug der Staatsbürgerschaft
Aus früheren Antworten der Bundesregierung auf parlamentarische Anfragen der Linken-Gruppe sowie der AfD-Fraktion im Bundestag geht hervor, dass zum 30. September 2023 776 Haftbefehle gegen 597 Straftäter aus dem Phänomenbereich „politisch motivierte Kriminalität rechts“ sowie zum Stichtag 31. März 2023 137 Haftbefehle gegen 104 Straftäter aus dem linken Spektrum offen waren.
45 deutsche Staatsangehörige „mit Bezügen zum islamistischen Terrorismus“ befinden sich derzeit in Syrien, im Irak und in der Türkei in Gewahrsam.
WELT befragte den AfD-Bundestagsabgeordneten Martin Hess und das von Nancy Faeser (SPD) geleitete Bundesinnenministerium nach einer Einschätzung dazu, dass die Mehrheit der eingestuften Islamisten deutsche Staatsangehörige sind. Hess will darin einen Beleg dafür erkennen, „dass die bisherige Migrationspolitik und diesbezügliche Integrationsmaßnahmen – nicht erst seit 2015 – sowie das zögerliche Vorgehen gegen den islamistischen Extremismus ehemaliger Regierungen und der Ampel-Koalition offensichtlich gescheitert sind“.
Es stehe zu befürchten, „dass durch die von der Ampel forcierte leichtfertige Vergabe der deutschen Staatsangehörigkeit die Zahl deutscher Islamisten weiter steigt“. Um „gezielte Gegenmaßnahmen ergreifen zu können“, müsse erhoben werden, wie viele der Islamisten noch eine weitere Staatsangehörigkeit besitzen, sagte Hess weiter.
Der AfD-Bundesverband hatte im Januar angekündigt, „Kriminellen, Gefährdern, Terroristen und Vergewaltigern den Pass entziehen“ zu wollen. „Der Automatismus, Straftäter deshalb nicht abzuschieben, weil sie eben auch die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, ist aufzuheben“, sagte AfD-Chefin Alice Weidel damals der „Jungen Freiheit“.
Eine Sprecherin des Innenministeriums sagte: „Bei Islamismus und islamistischen Terrorismus handelt es sich bereits seit Jahrzehnten um transnationale Erscheinungsformen, die leider auch in vulnerablen Teilen aller Bevölkerungsgruppen in Deutschland Anklang finden.“ Demnach sei es nicht überraschend, „dass die Gruppe der deutschen Staatsangehörigen für den Bezugsraum Deutschland unter den islamistischen Gefährdern die größte Anzahl aufweist“.
Mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben aus Artikel 16 des Grundgesetzes sei es „unvereinbar, wenn allein der Verstoß gegen zumutbare Handlungspflichten – etwa die Beachtung strafrechtlicher Verbote – zum Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit führen würde“, sagte die Ministeriumssprecherin weiter. „Vorwerfbares Fehlverhalten allein, so schwer es auch wiegen mag, kann daher keinen Staatsangehörigkeitsverlust rechtfertigen; dieses ist primär mit den allgemeinen Mitteln des Strafrechts und Gefahrenabwehrrechts zu bekämpfen.“