Die Innenstadt ist nicht nur zum Shoppen da
Die Menschen gehen nicht nur zum Shoppen in die City.
Frank Rehme erzählt gerne diesen Witz: Verabreden sich zwei Freunde für den nächsten Tag „um 11 Uhr bei Starbucks neben Kaufhof“. Als es so weit ist, warten beide vergeblich aufeinander, weil sie die Café-Filialen in zwei verschiedenen Städten angesteuert haben. Besser lässt sich die viel kritisierte Vergleichbarkeit der Fußgängerzonen, die der Einzelhandelsfachmann aus Düsseldorf damit umschreibt, nicht auf den Punkt bringen.
Bereits Anfang 2021, als die Corona-Krise noch im vollen Gange war und Geschäfte geschlossen bleiben mussten, hatte Rehme im Gespräch mit der F.A.Z. neue Geschäftsideen abseits vom Handel gefordert. „Warum nicht Schulen in der Innenstadt?“, fragte er damals.
Drei Jahre später ist das Thema aktueller denn je. Der Einzelhandel hat sich von Corona nicht so erholt wie erhofft. Zwar kommen Kunden wieder in die Stadt, aber das Geld sitzt nicht mehr so locker. Das spüren nicht nur die Ladengeschäfte, auch die Umsätze der Onlineshops gingen zuletzt zurück. Inflation und Kriege drücken auf die Kauflaune. Viele geben das Geld lieber für Reisen aus. Oder sie verzichten bewusst, weil der Kleiderschrank voll ist und sie ohnehin weniger konsumieren oder nur noch gebraucht kaufen, um die Umwelt zu schonen – ein Trend vor allem in der jüngeren Generation.
Die vielen Pop-ups können nur eine Zwischenlösung sein
Pop-up-Stores, wie hier in Frankfurt, sind nur kurzfristige Lösungen.
Mit den jüngsten beiden Galeria-Insolvenzen ist die Krise so richtig in den Innenstädten angekommen. Große Häuser wurden geschlossen, und wie viele im Zuge der aktuellen Mietverhandlungen unter den neuen Eigentümern überleben werden, muss sich erst noch herausstellen. Schon jetzt stehen Häuser mit Tausenden Quadratmetern leer, oft in bester Lage – und ziehen die Nachbargeschäfte mit in die Abwärtsspirale. Man muss sich nur die Tristesse rund um das ehemalige Karstadt-Haus an der Frankfurter Zeil anschauen – ein Riesenklotz mit 38.000 Quadratmetern. Die Zara-Tochter Bershka, die hier als Zwischenmieter einzieht, wird nur einen Bruchteil der Fläche belegen.
Das Peek & Cloppenburg in Frankfurt soll zu einem Multi-Use-Haus umgebaut werden.
Doch auch bei vielen anderen Immobilien, die leer stehen oder inzwischen zu groß dimensioniert sind, weil Kunden lieber im Onlineshop einkaufen, stellt sich die Frage: Was soll man damit machen? Und: Wie lassen sich die Quartiere als Ganzes wieder beleben?
Die Corona-Zeit, als Geschäfte monatelang geschlossen und Fußgängerzonen regelrecht verwaist waren, hat deutlich gemacht: Die Aufteilung – Einkaufen in der Innenstadt, Wohnen im Wohngebiet und Arbeiten im Gewerbegebiet –, die seit den Sechzigerjahren von der Stadtplanung vorgeschrieben ist, ist zu starr und begünstigt negative Entwicklungen: Fußgängerzonen verdrecken, Obdachlose suchen Schlafplätze vor den Eingangstüren leerer Geschäfte.
Alle Rufe nach mehr Ordnung und Sauberkeit werden, so berechtigt sie sind, die Innenstadt nicht retten, ebenso wenig wie der Appell, Autofahrern die Einfahrt in die Stadt nicht durch noch mehr Fahrradstreifen zu vermiesen. Die Innenstadt braucht vielmehr eine kleine Revolution. Stadtplanern und Eigentümern bietet sich jetzt die Chance, das Ruder herumzureißen. Die vielen Pop-ups, die zurzeit als Lückenfüller bejubelt werden, können nur eine Zwischenlösung sein. Wirtschaftlich funktionieren sie ohnehin nur, weil die Betreiber keine oder nur wenig Miete zahlen. Damit die Innenstadt wieder interessant und attraktiv wird, muss man Platz für andere Nutzungen schaffen: für Wohnen, Freizeit und Kultur.
Am Schaufenster eines geschlossenen Geschäfts auf der Zeil wurde der Schriftzug „Nie wieder Zeil“ gesprüht.
Oftmals kennt man nicht einmal die Ansprechpartner
Das wird am Ende auch die Konsumenten wieder in die Innenstadt zurückholen, die in den vergangenen Jahren – das Homeoffice hat daran einen großen Anteil – der Innenstadt den Rücken gekehrt haben: junge, gut ausgebildete Menschen, die gerne Geld für Essen, Ausgehen und Reisen ausgeben.
Andere Städte bürsten bereits gegen den Strich. Die Stadt Hanau hat das ehemalige Galeria-Haus in bester Citylage für 25 Millionen Euro gekauft und will darüber hinaus 40 Millionen Euro in dessen Entwicklung stecken. Wie klug oder riskant dieses Investment ist, muss sich noch herausstellen.
Jedenfalls soll die Kultur mit Platz für Vorlesungen, Aufführungen von Künstlern und Musikschulen neben anderen Angeboten, die sich an ein junges Publikum richten, eine Rolle spielen. Stefan Müller-Schleipen, Mitgründer der Initiative „Die Stadtretter“, die von Hanau aus ein Netzwerk für Verbände und Unternehmen in ganz Deutschland aufgebaut hat, sieht darin vor allem eine klare Agenda der Stadt. „Die Politik hat sich ein Ziel gesetzt, alle ziehen an einem Strang.“
Die Hansestadt Lübeck geht einen ähnlichen Weg. Sie hat im vergangenen Jahr ein ehemaliges Galeria-Gebäude mit 9000 Quadratmetern gekauft, das zum gemeinsamen Bildungshaus für Schulen, Teile der Universität und andere Institutionen umgebaut werden soll. 37 Millionen Euro will die Stadt für das Projekt ausgeben, das auch einen Schulhof auf dem Dach vorsieht.
Sicher, auf Städte wie Frankfurt lassen sich solche Beispiele schon allein wegen der hohen Mieten und Grundstückspreise nicht einfach übertragen. Oftmals kennt man hier nicht einmal die Ansprechpartner der Immobilienfonds, in deren Besitz die Warenhäuser sind. Doch eine Vorlage für interessante Mischnutzungen und resolutes Durchgreifen bieten sie gleichwohl.
Begrünung von Fassaden und Plätzen
In Frankfurt ist davon bisher wenig zu spüren. Immerhin gibt es jetzt auch an der Zeil Pläne, die in die richtige Richtung gehen. So hat Peek & Cloppenburg (P&C) kürzlich für seine knapp 17.000 Quadratmeter große Filiale Umbaupläne vorgestellt, die neben Einzelhandel, der hier weiterhin die Hauptrolle spielen soll, Räume für Apartments, ein Hotel und eine Turnhalle vorsehen. Geprüft werden soll zudem die Integration einer zweizügigen Grundschule mit einem Schulhof auf dem Dach, für die die Stadt dringend Räume sucht. Sie war auf das Modeunternehmen zugegangen.
Falls es dazu kommen sollte, hätte P&C auf viele Jahre einen sicheren Mieter. Man sei bereit, einen Mietpreis zu finden, der für eine Schule Sinn ergebe, heißt es vonseiten des Investors. In einem Teil der Immobilie sei das machbar, eine Schule in jedem Fall eine sinnvolle Beimischung. Am Ende wird es vermutlich auf einen Deal hinauslaufen, in dem die Stadt Zugeständnisse bei der Planung macht. Doch ist alles gut, was die Zeil endlich aus der Schockstarre löst.
Von neuen Konzepten aus dem Handel wie Reparaturwerkstätten für Fahrräder, E-Bike-Ladestationen, Flächen für Handwerkerdienstleistungen oder kleinen City-Baumärkten, die Handelsfachleute gerne in die Innenstadt sähen, ist bisher allerdings kaum die Rede. Deutlich mehr gesprochen werden müsste auch über Klimaschutz, über die Begrünung von Fassaden und Plätzen und Verschattung. Selbst das schönste Café und die coolste Dachterrasse in der Stadt wird niemand aufsuchen, wenn man es dort vor Hitze nicht aushalten kann.