Die Inflation der Schweiz steigt stärker als erwartet. Warum das Land dennoch besser dasteht als die USA
Weniger Waren für gleich viel Bares. Die Inflation hat im April negativ überrascht. Christian Beutler / Keystone
Wohin man auch blickt: Die Inflation ist derzeit schwierig kalkulierbar. Allmonatlich erscheinen Daten, die mit hoher Regelmässigkeit deutlich abweichen von den Prognosen – oder Hoffnungen – der Ökonomen. Das gilt ganz besonders für die USA, wo die Notenbank seit geraumer Zeit darüber rätselt, warum der Trend sinkender Teuerung im ersten Quartal plötzlich zum Stillstand gekommen ist. Aber auch hierzulande lag die Schweizerische Nationalbank (SNB) mit ihren Inflationsprognosen in jüngerer Vergangenheit oft weit daneben.
Volatile Preise
Die Schweizer Teuerung bleibt ihrer Unberechenbarkeit treu. Nachdem sie zwischen Dezember und März noch unerwartet rasch von 1,7 auf 1,0 Prozent gesunken war, sind die Preise im April wieder unerwartet stark gestiegen, und zwar um 1,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr und um 0,3 Prozent gegenüber dem Vormonat. Mit einem leichten Aufbäumen war zwar gerechnet worden. Die vom Bundesamt für Statistik publizierte Erhöhung der Konsumentenpreise fiel aber deutlich stärker aus als prognostiziert.
Die negative Überraschung erklärt sich unter anderem mit höheren Preisen für Pauschalreisen ins Ausland und Flugtickets. Gestiegen sind auch die Preise für Möbel und Benzin. Tiefer in die Taschen greifen musste man ausserdem für Wohnungsmieten, die im April um 2,8 Prozent höher lagen als im Vorjahr. Der Trend steigender Mietkosten dürfte dabei anhalten. So ist im Dezember der hypothekarische Referenzzins zum zweiten Mal erhöht worden; dessen Effekt auf die Mietpreise wird erst ab den Mai-Daten sichtbar werden.
Zwar liegt die Teuerung weiterhin in jenem Zielband zwischen 0 und 2 Prozent, das die SNB anstrebt. Die jüngsten Daten verdeutlichen aber, dass die Entwicklung volatil bleibt und der Kampf gegen die Inflation noch nicht zu Ende ist. Vorsicht ist auch deshalb angebracht, weil ein Teil des bisherigen Teuerungsrückgangs auf statistische Basiseffekte zurückzuführen ist, diese Effekte nun aber auslaufen. Entsprechend rasch könnte es wieder zu einer Gegenbewegung kommen, etwa mit Blick auf die jüngst gestiegenen Rohstoffpreise.
Ob es angesichts dieser anhaltend hohen Unsicherheit ein kluger Entscheid der SNB war, im März als erste grosse Notenbank bereits die Zinswende einzuläuten und den Leitzins um einen Viertelprozentpunkt auf 1,5 Prozent zu senken, bleibt offen. Jedenfalls liefern die jüngsten Daten wenig Argumente, dass die SNB bei der nächsten Lagebeurteilung von Mitte Juni eine zweite Zinssenkung beschliessen wird. Dessen ungeachtet rechnen diverse Ökonomen mit einem solchen Nachdoppeln, etwa jene der liechtensteinischen VP Bank.
Wechselkurs wichtiger als Leitzinsen
In den USA schwindet derweil die Hoffnung auf eine baldige Zinswende. Zwar liegt dort der Leitzins weit höher als in der Schweiz, nämlich bei über 5 Prozent. Irritierenderweise zeigen sich die boomende Wirtschaft und der starke Arbeitsmarkt aber wenig beeindruckt von Leitzinsen, die so hoch sind wie noch nie seit über 20 Jahren. Entsprechend gross bleibt der Inflationsdruck, und entsprechend schwer fällt es dem Fed, die Inflation von derzeit 3,5 Prozent auf das angepeilte Niveau von 2 Prozent zu drücken.
Der Vergleich legt die Frage nahe: Warum hat die SNB die Inflation mit eher niedrigen Leitzinsen in den Zielbereich drücken können, während dies dem Fed mit drei Mal höheren Zinsen nicht gelingt? Wohl deshalb, weil der Inflationsrückgang in der Schweiz relativ wenig zu tun hat mit den Leitzinsen. Die monetäre Straffung seit 2023 ist vielmehr vor allem auf den erstarkten Franken zurückzuführen, wie jüngst an einem SNB-Anlass gezeigt wurde. Demnach hat der Wechselkurs in keinem anderen Land eine derart grosse Bedeutung für die monetäre Straffung.
Zugespitzt formuliert: Der Leitzins ist im kleinen Exportland Schweiz, anders als in den USA mit ihrem grossen Heimmarkt, ein Nebendarsteller. In der Hauptrolle steht der Franken. Er sorgt für günstigere Importe und dämpft die Einfuhr ausländischer Teuerung. Das zeigte sich auch im April. So haben sich die Importe gegenüber dem Vorjahr um 0,4 Prozent verbilligt. Inlandgüter haben sich demgegenüber um 2 Prozent verteuert, wie dies seit über einem Jahr fast unverändert der Fall ist. Bei Gütern, die nicht aus dem Ausland stammen, kann von stabilen Preisen denn auch weiterhin keine Rede sein.