Deutscher Filmpreis 2024 in Berlin: Austreibung des Teufels Antisemitismus
Margot Friedländer (Mitte) mit Düzen Tekkal und Wim Wenders bei der Verleihung des Deutschen Filmpreises
Am Freitagabend wurde im Theater am Potsdamer Platz in Berlin der Deutsche Filmpreis verliehen, und man konnte nicht anders, als an eine andere Preisverleihung zu denken, die hier in diesem rot bestuhlten Saal zwei Monate vorher stattgefunden hat.
Die Preisverleihung der Berlinale, bei der ausgezeichnete Filmemacher mit Palästinensertüchern auf der Bühne standen, in den Dankesreden von einem Genozid in Gaza die Rede war, von Apartheid in Bezug auf Israel und die Antisemitismusvorwürfe, die dies nach sich zog. Die Veranstaltung am Freitag, bei der die Lolas verliehen wurden, war eine Art Teufelsaustreibung, ein Exorzismus, bei dem diesem Ort der böse Geist des Antisemitismus ausgetrieben wurde und die deutsche Kulturwelt sich endlich auf eine Art und Weise präsentierte, die der deutschen Staatsräson entspricht.
Die Kulturstaatsministerin Claudia Roth konnte sprechen, ohne dass es dabei böse Überraschungen gab. Ihre Aufzählung der Krisen, die diese Welt schütteln, war so ausgewogen wie politisch korrekt. Sie nannte den Krieg in der Ukraine, den Überfall der Hamas auf Israel, die Geiseln, rief „Bring them home“. Sie sprach von der vergessenen Krise im Sudan, dem erschütternden Elend der Zivilbevölkerung in Gaza, den iranischen Künstlern, denen die Hinrichtung droht. Und dann hatten sie auch noch Margot Friedländer eingeladen, die in Berlin geborene Holocaustüberlebende, die nach dem Krieg in die USA gegangen war und mit 88 Jahren in ihre Heimatstadt zurückkehrte. Seit dem 7. Oktober ist sie bei so vielen Veranstaltungen aufgetreten, auch weil es wohl kein stärkeres Symbol dafür gibt, dass Deutschland nicht antisemitisch ist.
Margot Friedländer ist 102 Jahre alt, und man kann sich ihrer Wirkung nicht entziehen, nicht ihren Worten, wenn sie davon spricht, dass in unseren Adern kein christliches, arabisches oder jüdisches Blut fließt, sondern einfach menschliches und dann, wie am Freitagabend, ihr Gesicht überlebensgroß auf einen Bildschirm projiziert wird. „Ich bitte euch, seid Menschen“, sagt sie, der Saal jubelt, es gibt Standing Ovations. Und doch konnte man das Gefühl haben, sie wird benutzt.
Es war ein Abend der Selbstvergewisserung. Claudia Roth richtete ihrer Rede an die „lieben Demokratinnen und Demokraten“. Die Präsidentin der Deutschen Filmakademie Alexandra Maria Lara sagte: „Wir lernen, dass wir für Vielfalt und Weltoffenheit kämpfen müssen.“ Sie erinnerte an die Hunderttausende, die auf die Straße gegangen sind.
Neben Margot Friedländer saß Hanna Schygulla, die die Ehrenlola bekam. Die Laudatio hielt der Dieter Kosslick, der 18 Jahre lang Berlinale-Leiter war und die auf die Leinwand projizierten Filmausschnitte aus Lili Marleen, machten einem klar, dass es eine deutsche Schauspielerin wie Hanna Schygulla nicht noch einmal gibt. Sie brachte dann mit ihrer Dankesrede, die eher eine Performance war, alle zum Lachen. „Ehre“, sagte sie. „Früher konnte ich dieses Wort überhaupt nicht leiden, aber jetzt fühle ich, dass es mir guttut.“ Sie zitierte Rainer Werner Fassbinder, mit dem sie viele Filme gemacht hat, mit dem Satz, Glück sei nicht immer lustig. Und sie nannte es besorgniserregend, was da auf deutschem Boden nachwachse. Im Radio habe sie gehört, dass viele Junge die AfD auf den Wahlzettel setzen würden. „Da muss man fragen, warum.“ Sie habe keine Antwort, aber diese Frage dürfe man nicht aus den Augen verlieren
Der neunfach nominierte Film „Sterben“ von Matthias Glaser über eine dysfunktionale Familie erhielt vier Preise, vor allem wurde er als bester Film mit der Goldenen Lola ausgezeichnet. Matthias Glaser dankte all denen, die zu ihm gehalten hätten, als er unten gewesen sei. Seine Hauptdarstellerin Corinna Harfouch erhielt den Preis als beste Hauptdarstellerin für ihre Darstellung einer kalten und harten Mutter, die ihrem Sohn (Lars Eidinger) am Kaffeetisch ganz trocken sagt, sie habe ihn auch nie gemocht. Sie nahm die Lola unter Tränen entgegen. „Ich liebe dich so sehr“, rief sie Sandra Hüller zu, die den Umschlag mit ihrem Namen geöffnet hatte. Hans-Uwe Bauer, er ihren an Alzheimer leidenden Ehemann spielt, wurde als bester Nebendarsteller ausgezeichnet und Lorenz Dangel für die beste Filmmusik.
Corinna Harfouch wurde beim Deutschen Filmpreis als beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet.
Die Regisseurin Ayşe Polat durfte zu ihrer eigenen Überraschung drei Mal auf die Bühne. Für ihren Film „Im toten Winkel“, mit dem sie an die Traumata der kurdischen Bevölkerung in der Türkei erinnert, erhielt sie den Preis für das beste Drehbuch, den Regie-Preis und die bronzene Lola. Diversität bereichert das deutsche Kino”, sagte sie. Die silberne Lola ging an den Film „Der Fuchs“ von Adrian Goiginger, der aus dem Leben seines Urgroßvaters erzählt, der als junger österreichischer Soldat in die Wehrmacht eingezogen wird und eine enge Beziehung zu einem Fuchs aufbaut. Sein Schauspieler Simon Morzé erhielt den Preis für die beste männliche Hauptrolle. Als bester Dokumentarfilm wurde „Sieben Winter in Teheran“ von Steffi Niederzoll ausgezeichnet, ein Film über eine Iranerin, die um das Leben ihrer Tochter kämpft, die hingerichtet werden soll. Es war der emotionale Höhepunkt des Abends.
Nachher gibt es vegane Häppchen, und viererlei Mülleimer für die korrekte Mülltrennung. Deutschland wie es sein möchte und nicht mehr ist. Die Wirklichkeit mit ihren Spaltungen und Kämpfen blieb ein paar Stunden draußen, oder war nur in Andeutungen präsent.