Der sonderbare Kreuzzug des Robert F. Kennedy Jr.
Er war neun, als sein Onkel JFK erschossen wurde. Jetzt geht Robert F. Kennedy Jr. als unabhängiger Kandidat ins Rennen um die Präsidentschaft. Wer ist der Mann? Und: Entscheidet er die Schicksalswahl 2024?
Er steigt als Nächster des mächtigen und tragischen Kennedy-Clans ins Präsidentschaftsrennen: Robert F. Kennedy Jr.
Allein dieser Name. Und dieses Kürzel. Kennedy. RFK Jr. Wer so heisst, der muss sich nicht mehr gross bemühen, um in Amerika berühmt zu werden. Robert F. Kennedy Jr. war neun, als sein Onkel John F. Kennedy erschossen wurde, damals US-Präsident. Mit 14 trug er zwischen lauter Erwachsenen den flaggengeschmückten Sarg seines ebenfalls ermordeten Vaters Robert F. Kennedy, der selbst ins Weisse Haus wollte. Entscheidet dieser Sohn jetzt, mit 70, die Schicksalswahl 2024?
Zuletzt hatte es 1980 Onkel Ted probiert, nun ist er der nächste Präsidentschaftskandidat aus einem der mächtigsten und tragischsten Clans der USA. «Von klein auf hatte ich immer das Gefühl, dass wir alle in einen grossen Kreuzzug verwickelt sind, dass die Welt ein Schlachtfeld von Gut und Böse ist», schrieb dieser Kennedy in seinen Memoiren, die 2018 erschienen sind. «Es wäre mein Glück, wenn ich eine wichtige oder heldenhafte Rolle spielen könnte.» Sein sonderbarer Kreuzzug ist in vollem Gang.
Kennedy wäre gern für die Demokraten angetreten, an Biden aber kam niemand vorbei
Erst wollte er für die Demokraten antreten, in guter Familientradition. Aber da ist nun mal Joe Biden, der Amtsinhaber, den bei den öden Vorwahlen niemand so richtig herausfordern mochte. Ausserdem löst die sehr spezielle Weltanschauung des Kreuzritters Kennedy auch in seiner vormaligen Partei sowie im Familienkreis Gruseln aus. Selbst eine Schwester von RFK Jr. und weitere Verwandte unterstützen lieber den gegenwärtigen Präsidenten – vor kurzem stellten sich nahezu alle Kennedys sehr demonstrativ zum Gruppenfoto mit Biden auf, und am Donnerstag begleiteten sie ihn zum Wahlkampf nach Philadelphia. RFK Jr. dagegen, der Querdenker aus ihren Reihen, macht sich als sogenannter Unabhängiger selbstständig.
Gewinnen wird er nicht. In Umfragen liegt Robert F. Kennedy zwischen 6 und 15 Prozent. Aber allein solche Werte, obwohl mit Vorsicht zu geniessen, sind bemerkenswert. RFK Jr. hat deutlich mehr Fans als etwa der progressive Philosoph Cornel West, der für eine Partei namens «Justice for All» ins Rennen geht.
Die Option Kennedy erscheint einem Teil der Wählerschaft offenbar interessant genug zu sein, um mindestens einen der zwei Favoriten zu ärgern. Viele Amerikanerinnen und Amerikaner wollen weder den 81-jährigen Demokraten Biden noch den 77-jährigen Republikaner Trump als Präsidenten – Kennedys Kandidatur jenseits des Duells kommt in diesen Kreisen an, so skurril sie auch sein mag. Fragt sich nur, wem das Engagement des dritten Mannes am Ende nützen wird.
Mittlerweile gibt er mit seiner kehligen Stimme Dinge von sich, die eher an Donald Trump erinnern. Beide Männer verkaufen sich als Aussenseiter im Kampf gegen das System, dabei wurde auch RFK Jr. mit goldenem Löffel geboren. Schon in seiner Jugend liess er gern mit dickem Handschuh Falken fliegen. Die Falknerei gehörte für ihn zur Sage von König Artus und dessen Hof Camelot, nach dem in mythischer Verklärung auch die Regierung JFK bezeichnet worden war.
«Bobby Junior» hatte sich einen Ruf als Kämpfer für Umweltprojekte erworben
Im Büro seines Anwesens in Los Angeles, das er mit seiner dritten Frau, der Schauspielerin Cheryl Hines, bewohnt, finden sich laut Zeugen ein ausgestopfter Tiger und eine ausgestopfte Fledermaus. Den Tiger hatte einst Indonesiens Präsident Sukarno geschossen und seinem Vater geschenkt, damals Justizminister. Den Tod von RFK und von JFK hält RFK Jr. bis heute für ein Komplott unter Beteiligung eines Leibwächters. Kennedy hat offensichtlich ein Faible für geheimnisvolle Theorien.
Präsident Kennedy mit seinem Neffen Robert F. Kennedy Jr. im Oval Office.
Vielleicht kommt jemand besonders leicht auf seltsame Ideen, wenn seine engsten Angehörigen in einer ganzen Serie von Attentaten, Unfällen und Krankheiten sterben. Zum Final der Superbowl 2024, eine der besten und teuersten Fernsehzeiten der Welt, warb Kennedy mit einer leicht veränderten Version eines Spots von JFK aus dem Jahr 1960 für sich. Das Manöver kam in der traditionsbewussten Verwandtschaft so schlecht an, dass sich der Neffe für den Missbrauch des Toten entschuldigen musste.
Der junge Kennedy hatte Drogenprobleme und Bewährungsstrafen überstanden, als fürstlich bezahlter Anwalt war er dann zunächst als Kämpfer für Umweltprojekte wie einen sauberen Hudson River aufgefallen. Bobby Junior gründete eine Kanzlei, die sich auf Ökothemen spezialisierte, setzte sich für erneuerbare Energie ein und legte sich mit Konzernen wie General Electric an. Wegen Militärübungen auf einem Eiland vor Puerto Rico verklagte er sogar die US Navy.
Ein «Holocaust» durch Impfungen, schräge Vergleiche mit «Hitlers Deutschland»
Die amerikanischen Kriegseinsätze seit 1945 hält er für falsch, und er ist auch kein Freund der Waffenhilfe für die Ukraine, wo sein Sohn Conor jedoch als Freiwilliger gekämpft haben soll. In den vergangenen Jahren wurden seine Ansichten dann auf anderen Feldern immer schräger. So behauptete Robert F. Kennedy Jr., Impfungen würden massenweise Autismus auslösen – für ihn ein «Holocaust». Teile der Politik und die Mainstreammedien sah er als Verbündete der Pharmaindustrie, erst recht während der Pandemie.
Er forderte 2020 bei einer Demo in Paris das Ende der Beschränkungen zum Schutz vor Covid-19. Auf der National Mall in Washington sprach er 2022 diesen Satz: Man habe selbst in Hitlers Deutschland die Alpen in Richtung Schweiz überqueren und sich «auf dem Dachboden verstecken können, wie Anne Frank es tat. Heute werden Mechanismen in Gang gesetzt, die dafür sorgen, dass niemand von uns weglaufen oder sich verstecken kann.» Für den Vergleich entschuldigte er sich später.
Die Gates-Stiftung oder der vormalige US-Epidemiologe Anthony Fauci würden von den Impfstoffen profitieren, verkündete der Impfgegner. Er veröffentlichte ein Buch mit dem Titel «The Real Anthony Fauci: Bill Gates, Big Pharma and the War on Democracy and Public Health». In dem Pamphlet bestreitet der Autor obendrein die Tatsache, dass Aids allein von HIV ausgelöst wird. Und dieser Verschwörungserzähler aus bestem Haus bewirbt sich auf eine Weise um das höchste Amt der USA, dass die Waage womöglich zugunsten von Trump kippen könnte?
Ein Kennedy und eine Multimillionärin treten an als «We the People»
Etliche Wissenschaftler und Aktivisten fordern ihn wegen seiner wirren Thesen zum Rückzug auf. «Ehren Sie Ihren Planeten, steigen Sie aus», fordern sie. Er sei ein «gefährlicher Wissenschaftsleugner» und vertrete «giftige Überzeugungen». Kennedy will es trotzdem auf die Wahlzettel mehrerer Bundesstaaten schaffen, wozu jeweils eine Menge Unterschriften potenzieller Wählerinnen und Wähler nötig sind. Kürzlich hat er sich mit seiner Bewegung «We the People» unter anderem in Iowa platziert, als Vizepräsidentin wünscht er sich die Multimillionärin Nicole Shanahan (38). Die Tochter einer chinesischstämmigen Amerikanerin hatte bereits als Patentanwältin und Unternehmerin ordentlich Geld verdient, dank ihrer Ehe mit Google-Mitgründer Sergey Brin wurde sie richtig reich.
Demokratische und republikanische Strategen machen sich derweil Gedanken über mögliche Wahlschäden. Die Demokraten erinnern auf Billboards daran, dass Kennedy und Trump einen Mäzen teilen. Die Republikaner treibt die Sorge um, dass RFK Jr. mit seinem Unsinn Trump Stimmen wegnehmen könnte.
Trump hat Kennedy angeblich das Amt des Vizepräsidenten angeboten
Er sei ein Spielverderber für Biden und Trump, meint Kennedy, «für die Kriegsmaschinerie, für Wallstreet, Big Ag (grosse Agrarbetriebe), Big Tech, Big Telecom, Big Pharma, die von Konzernen beherrschten Medien und all die korrupten Politiker und Konzerne».
Unterdessen wildert er mit seinen Sprüchen im klassischen Maga-Revier, also in Trumps Reich von «Make America Great Again». Er sprach von einer «offenen» US-Südgrenze, die er im Falle seines Wahlsieges zum Schutz vor «illegaler Immigration versiegeln» lassen werde. Was den Überfall von Trump-Anhängern auf das Capitol am 6. Januar 2021 betrifft, so will er einen Sonderermittler benennen und untersuchen lassen, ob bei den folgenden Strafprozessen alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Trump nennt die verurteilten Angreifer «Geiseln».
Kennedys New Yorker Managerin Rita Palma gab bekannt, der gemeinsame Feind sei Joe Biden. «Egal, ob Sie Bobby oder Trump unterstützen, wir alle lehnen Biden ab», sagte sie, wurde danach allerdings gefeuert. Robert F. Kennedy Jr. schrieb am Montag auf X: «Präsident Trump nennt mich einen Ultralinksradikalen», habe ihm aber dennoch angeboten, sein Vizepräsident zu werden. «Ich habe das Angebot respektvoll abgelehnt.»
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