Denkmalsturz in Kiew: Putins Spiel mit dem Sowjeterbe
Das Ufo von Kiew, erbaut von Florian Yuriev, auf einem Foto von 1977.
Das Stadtbild Kiews wandelt sich nicht nur durch Zerstörung infolge russischer Luftangriffe, sondern auch durch die Demontage sowjetischer Denkmäler im Namen der „Dekommunisierung“, die seit 2015 gesetzlich festgeschrieben ist. Ukrainische Künstler und Aktivisten wehren sich dagegen.
Derzeit ist der Denkmalkomplex „Freiheitsbogen des ukrainischen Volkes“ im Zentrum betroffen. Der 35 Meter hohe Bogen aus Titan, 1982 errichtet, wurde mehrfach umgewidmet. Er hieß zunächst „Denkmal zu Ehren der Wiedervereinigung von Russland und Ukraine“ und wurde, nachdem die Ukraine 1991 unabhängig geworden war, in „Bogen der Völkerfreundschaft“ umbenannt – gemeint war die zwischen der Ukraine und Russland, das sich freilich 2014 mit der Annexion der Krim und der Installation der ostukrainischen Volksrepubliken kriegerisch-feindlich gegen das „Brudervolk“ stellte. Daher beklebte der Künstler Volodymyr Kuznetsov 2018 in Kooperation mit Menschenrechtlern den Bogen mit dem Bild eines schwarzen Risses, der die Krise der Beziehung zwischen der Ukraine und Russland vergegenwärtigt. Nach Beginn der russischen Großinvasion wurde das Monument im Mai 2022 abermals umbenannt, in „Freiheitsbogen des ukrainischen Volkes“.
Der Kiewer Freiheitsbogen des ukrainischen Volkes hatte schon viele Namen. Jetzt soll er möglicherweise verschwinden.
Der Mythos von den Brudervölkern
Nun könnte er ganz verschwinden. Am 17. April wurde der Bogen aus dem staatlichen Register schützenswerter Denkmäler entfernt. Das ukrainische Kulturministerium teilt mit, der Metallbogen sei ein Symbol russischer imperialer Politik, weshalb er abgerissen werden solle. Das Ministerium beruft sich dabei auf ein Expertengutachten des Ukrainischen Instituts für Nationale Erinnerung, wonach der „Mythos von der ‚Wiedervereinigung‘ zweier ‚brüderlicher‘ Völker“ der Rechtfertigung von Putins Territorialansprüchen diene.
Der Hass auf Russland, den der Krieg, die Tausenden Toten und der tägliche Beschuss erzeugen, richtet sich verständlicherweise auch gegen Denkmäler aus der Sowjetepoche. Dennoch regt sich in der ukrainischen Zivilgesellschaft Widerstand gegen die Tilgung dieses Erbes. Kulturschaffende und Aktivisten möchten es dokumentieren und erhalten. Der Aktivist Dmytro Soloviov, setzt sich mit seinem Instagram-Profil „ukrainianmodernism“ für den Erhalt dieser Denkmäler ein. Es sei verheerend, alles Sowjetische mit Russischem gleichzusetzen, sagt Soloviov der F.A.Z. Die Denkmäler seien von ukrainischen Künstlern errichtet worden. „Wir Ukrainer helfen Putin dabei, der ukrainischen Kultur den Garaus zu machen“, so Soloviov.
Ideologie wichtiger genommen als Kunst
Auch die Kunsthistorikerin Zhenya Moliar, ein Mitglied der Künstlergruppe DE NE DE, ist entsetzt. Ein Jurist, der zur Gruppe gehört, prüfe derzeit, ob die Aufhebung des Schutzstatus des Titanbogens rechtmäßig war, sagt sie. Das Ukrainische Institut für Nationale Erinnerung habe leider stets nur die ideologische Bedeutung im Auge, mit der Propagandisten die Denkmäler belegten. Dass es sich in erster Linie um Kunst handelt, werde, so Moliar, ignoriert.
Unter dem Bogen wurden schon im Frühjahr 2022 die zwei Arbeiterstandbilder aus Bronze, die einen ukrainischen und einen russischen Proletarier darstellten, abgebaut, wobei symbolischerweise der Kopf des Russen abbrach. In diesen Tagen wurde die zweite Figurengruppe unter dem Bogen entfernt, das granitene Perejaslaw-Denkmal, das mit Kosaken und dem russischen Gesandten an den Vertrag erinnert, durch den sich 1654 Erstere unter den Schutz der russischen Monarchie stellten. Dieser Vertrag wurde von der sowjetischen Geschichtsschreibung als „Wiedervereinigung“ des russischen und des ukrainischen Volkes gedeutet. Putin will — wie auch seine historischen Aufsätze und Reden zeigen — die Nichtidentität beider nicht anerkennen und die Ukraine dem russischen Imperialstaat unterwerfen. Es ist nachvollziehbar, dass das Denkmal nach mehr als zwei Jahren Großinvasion in ein Museum kommen soll.
Dekommunisierung nützt Investoren
Der Wille zur Dekommunisierung wird aber auch von Investoren genutzt. Gewerbliche Bauträger verweisen auf die Dekommunisierung, wenn sie ein Gebäude aus sowjetischer Zeit abreißen möchten, auch wenn es nichts mit Sowjetideologie zu tun habe, sagt Moliar.
Ein solches Beispiel ist der klotzig-elegante Pavillon „Blumen der Ukraine“ (Kvity Ukrainy), den der Architekt Mykola Levchuk 1985 errichtete. Das als größtes Blumengeschäft der Stadt, Ausstellungsraum und Forschungszentrum zugleich konzipierte Bauwerk ließ er mit Travertin verkleiden und mit einer stufigen Glasfront für Gewächshäuser versehen, eine markante Weinrebe wuchs im Laufe der Jahre über die Fassade. Anschließend beherbergte das einzigartige Gebäude einen Supermarkt.
Die fliegende Untertasse von Kiew
Als die beiden Immobilienentwickler Oleksiy Pyshnyi und Andriy Skalozub, die das Gebäude erwarben und in einen Bürokomplex umrwandeln wollten, im Sommer 2021 anordneten, die Weinrebe zu beschneiden und die Innenräume des Blumen-Gebäudes zu demolieren, wurde es von Aktivisten besetzt, die seinen Umbau vorerst aufhalten konnten. Ein Zwischenerfolg war, dass das ukrainische Kulturministerium auf den öffentlichen Druck reagierte und das Gebäude unter Denkmalschutz stellte. Die Bürgerinitiative „Save Kvity Ukrainy“ kämpft seither mit Vorträgen, Konzerten, aber auch vor Gericht um den Erhalt des Gebäudes und seine schonende Renovierung, doch der Krieg erschwert diese Arbeit. Das Investigativportal slidstvo.info fand heraus, dass einer der Developer, Pyshnyi, die russische Staatsbürgerschaft und Geschäftsinteressen in Russland hat, mutmaßlich zudem an der Finanzierung prorussischer Politiker in der Ukraine beteiligt war.
Das Schicksal des als „fliegende Untertasse“ bekannten Gebäudes des 2021 verstorbenen Künstlers und Architekten Florian Yuriev von 1971 scheint indes besiegelt. Am 30. April erhielt der Developer mit aserbaidschanischen Wurzeln Vagif Aliyev vom ukrainischen Ministerium für kommunale Entwicklung und Infrastruktur die Genehmigung, Yurievs einst als Konzerthalle konzipierten und als Konferenzsaal genutzten futuristischen Aufsatz durch ein neues Einkaufszentrum zu überbauen.
Der Entscheidung war ein jahrelanger Kampf des betagten Architekten und einer Gruppe Aktivisten gegen die Pläne des Immobilienmagnaten vorausgegangen. Neben diesem Einkaufszentrum entwickelt Aliyev derzeit drei weitere Objekte in Kiew und besitzt etwa ein Fünftel der Einzelhandelsflächen in Kiew. Symptomatisch, dass er den amerikanischen Ex-Präsidenten und Immobilienentwickler Trump als sein Vorbild bezeichnet. Aliyev ist mit Bürgermeister Klitschko befreundet.
Die Kunsttheoretikerin Asia Bazdyrieva sagt, die Verteidigung des sowjetischen Architekturerbes erfordere im Grunde eine Gesellschaft, die nicht existenziell bedroht ist. Es sei paradox: Die Initiativen für diesen Denkmalschutz seien eigentlich erst nach dem Euromaidan 2014 entstanden, würden jedoch vom Krieg hinweggefegt.