Debatten über "Muslim Interaktiv"-Verbot in Deutschland
Teilnehmer einer Islamistendemonstration am Samstag in Hamburg halten ein Plakat in die Höhe.
“Deutschland = Wertediktatur”. “Kalifat ist die Lösung”. Die Parolen, die am Wochenende auf Plakaten in Hamburg zu lesen waren, hatten es in sich. Im Stadtteil St. Georg marschierten über tausend Menschen auf, um für die Errichtung eines Kalifats in Deutschland zu demonstrieren.
Die Demo war professionell organisiert, hunderte Plakate standen bereit, die Reden wurden zudem über die sozialen Netzwerke direkt übertragen. Sogar X-Chef Elon Musk kommentierte das Geschehen.
Der umstrittene Aufmarsch löste eine Welle der Empörung in Deutschland aus, die auch am Montag nicht abebbte. Von FDP und CDU kamen Aufrufe zur Ausweisung der betroffenen Personen. Vor allem aber stellt sich die Frage des möglichen Verbots des Vereins, der hinter der Veranstaltung steht, nämlich “Muslim Interaktiv”. Diese Vereinigung wird als “gesichert extremistische Bestrebung” vom deutschen Staatsschutz beobachtet.
Denn diese steht wiederum der islamistischen “Hizb ut-Tahrir” nahe, die in Deutschland bereits seit 2003 verboten ist. Mitunter wird Muslim Interaktiv auch als Nachfolger von Hizb ut-Tahrir gehandelt. In ihren aktuellen Berichten erwähnen sowohl der Hamburger Verfassungsschutz als auch das Bundesamt für Verfassungsschutz die Gruppierung, berichtet die Welt, und zwar neben ähnlichen Gruppen wie “Realität Islam” oder “Generation Islam”. Diese werfen dem Staat unter anderem “Assimilationsterror” und eine generelle Diskriminierung von Muslimen vor.
“Islamisten-Popstar”
Bekannt wurde Muslim Interaktiv einer größeren Öffentlichkeit, als die Gruppe hinter einer 3500-Personen-Demo gegen Koranverbrennungen in Schweden stand. Im Herbst hatte die Gruppe bereits einmal eine Kundgebung in St. Georg veranstaltet. Laut Deutschlandfunk wurde Muslim Interaktiv 2020 in Hamburg gegründet und ist vor allem in den sozialen Medien aktiv, etwa mit Postings zum Gazakrieg, homophoben Inhalten oder allgemeiner Kritik am “Westen” – wobei viele der Videos auch harmlosen Inhalts seien. Über einzelne Mitglieder ist wenig bekannt, mit Ausnahme des 25-jährigen Raheem Boateng, der für die Gruppe in den sozialen Netzwerken unterwegs ist. Eine Hamburger Lokalzeitung stellte den modern auftretenden, eloquenten Mann als “Islamisten-Popstar” vor.
So tritt die Gruppierung laut Islamismusexperten gewaltfrei auf, heißt es in der NZZ. Sich selbst bezeichnet sie als “Zusammenschluss von Muslimen”, die sich zum Ziel gesetzt habe, “den in Deutschland lebenden Muslimen den Islam als eine umfassende Lebensweise vorzustellen und sie zur Praktizierung des Islam in allen Lebensbereichen zu ermutigen”.
Doch hinter der unauffälligen Beschreibung steckt eine gut organisierte Strategie, islamistische Ideologien zu verbreiten. Mitte April etwa instrumentalisierte Muslim Interaktiv Veranstaltungen zum Ramadan-Fastenbrechen für seine Zwecke, wie damals schon der Hamburger Verfassungsschutz warnte. Es gebe laut Deutschlandfunk außerdem personelle Überschneidungen mit Hizb ut-Tahrir.
Einschreiten bei Straftaten
So fordern nun viele ein Verbot. Die Fraktionen sehen Innenministerin Nancy Faeser in der Pflicht zu handeln. Diese hatte bereits am Sonntag angegeben, dass sie, wenn es zu solchen Veranstaltungen komme, ein “hartes Einschreiten” des Staates sehen wolle. Im Herbst seien bereits die Terrororganisation Hamas und der Verein Samidoun verboten worden, gab sie gegenüber deutschen Medien an.
Gegenüber der Welt sagte ein Sprecher des Innenministeriums am Montag, dass die Sicherheitsbehörden die “islamistische Szene weiter im Visier” hätten. Allgemein sei es so, dass die Polizei dann “entschieden” einschreite, wenn es zu Straftaten wie Terrorpropaganda, antisemitischen Straftaten oder Gewaltdelikten komme.
Versammlungsrecht verhindert Verbot
Der Chef der Hamburger Polizei, Falk Schnabel, gab gegenüber dem NDR an, dass ein Verbot der Veranstaltung selbst aufgrund des Versammlungsrechts nicht infrage gekommen sei – auch wenn das intensiv geprüft worden sei. Nun würde die Staatsanwaltschaft nachträglich prüfen, ob es zu Taten mit strafrechtlicher Relevanz gekommen sei. Im ZDF gab er an, dass “das Grundgesetz mit dem Blick auf die Versammlungs- und auch Meinungsfreiheit auch extremistische Meinungskundgebungen” zulasse. “Der Bund ist gefordert, deutlich zu machen, ob diese Organisation, die hinter dieser Versammlung gestanden hat, nicht verboten werden kann”, sagte Schnabel zum NDR. (red, 29.4.2024)