Chinesische Spionage: Und plötzlich sind sie überall in Europa
In mehreren Ländern Europas gibt es Verdachtsfälle chinesischer Spionage. Was genau wann und wo vorgefallen ist – und ob die Fälle miteinander zusammenhängen.
Einzelfälle oder großangelegter Spionageangriff auf Europa? Manche der nun bekannt gewordenen Fälle reichen bis in das EU-Parlament in Straßburg.
Der Zeitpunkt könnte ungünstiger kaum sein: Fünf Wochen vor der Wahl des neuen Europäischen Parlaments enttarnen Ermittler in mehreren europäischen Mitgliedsstaaten sechs Fälle mutmaßlich chinesischer Spionage. Sie reichen von Datendiebstahl über Betriebsspionage bis hin zu Korruption im EU-Parlament. Sie reihen sich ein in eine Vielzahl von Spionagefällen – und offenbaren damit eine von Europas Schwachstellen.
Prominentester Fall in Deutschland: Jian G., ein Mitarbeiter und enger Vertrauter des AfD-Politikers und Spitzenkandidaten für die Europawahl, Maximilian Krah. Der 43-jährige gebürtige Chinese war in Dresden festgenommen worden, ihm wird Agententätigkeit für einen ausländischen Geheimdienst in einem besonders schweren Fall vorgeworfen. G. soll seit Jahren für den chinesischen Staat spioniert haben.
Der Fall ist besonders brisant, weil G. als Mitarbeiter des AfD-Politikers und Europaabgeordneten Krah direkten Zugang zum Europäischen Parlament – und damit der höchsten demokratischen Institution Europas hatte. Er hatte also zumindest theoretisch Einsicht in Berichte aus Ausschüssen, in denen AfD-Politiker Krah sitzt. Der will von der vermeintlichen Spionage nichts gewusst haben.
Drei weitere Festnahmen diese Woche in Deutschland zeigen, dass nicht nur demokratische Institutionen Ziel chinesischer Spionage sein könnten, sondern auch die Wirtschaft.
Anfang der Woche nahm das Bundeskriminalamt einen Mann und ein Ehepaar in Düsseldorf und Bad Homburg fest, die für den chinesischen Geheimdienst Militärtechnologie ausspioniert haben sollen. Zwei Jahre lang könnten sich die drei deutschen Staatsangehörigen über die Firma des Ehepaares Zugang zu Forschungsprojekten an deutschen Universitäten verschafft und Wissen abgeschöpft haben, teilte die Bundesanwaltschaft mit. Es geht vor allem um Maschinenteile, die für den Antrieb von leistungsstarken Kampfschiffen geeignet wären, sowie einen Hochleistungslaser. Diesen soll das Ehepaar ohne Genehmigung nach China ausgeführt haben, obwohl er unter die Dual-Use-Verordnung der EU fällt – theoretisch also auch militärischen Zwecken dienen könnte.
Großbritannien: Informationen aus dem Parlament und Hackerangriffe
Ähnliche Fälle gibt es auch in Großbritannien. Vergangenen Freitag startete ein Gerichtsprozess in London, die Vorwürfe sind schwerwiegend: Zwei Männer, 29 und 32 Jahre alt, sollen von Ende 2021 bis Februar 2023 offizielle Dokumente und Informationen beschafft und an China weitergegeben haben. Einer der Männer war wissenschaftlicher Mitarbeiter im Parlament und hatte dadurch Kontakt zu Abgeordneten der regierenden Konservativen Partei – darunter offenbar auch zur Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses und zum Sicherheitsminister Tom Tugendhat.
Nur wenige Wochen zuvor hatte Großbritannien der chinesischen Regierung bereits einen anderen Fall von Spionage vorgeworfen: Demnach sollen chinesische Hacker versucht haben, E-Mail-Konten chinakritischer Abgeordneter zu knacken. Zudem soll eine chinesische Firma zwischen 2021 und 2022 für Hackerangriffe auf die britische Wahlkommission verantwortlich gewesen sein. Damals waren millionenfach Daten von Wählerinnen und Wählern abgegriffen worden.
Das zeigt, dass offenbar auch in Großbritannien Institutionen der Demokratie nicht ausreichend vor Spionage geschützt sind. Und dass China dafür immer wieder private Firmen nutzt.
Auch in anderen europäischen Staaten wurden immer wieder Fälle chinesischer Spionage bekannt. In den Niederlanden warnte der Geheimdienst kürzlich davor, dass chinesische Spione vermehrt die Halbleiterindustrie sowie die Luft- und Seefahrt ausspionierten. “China möchte unabhängig von westlichem Wissen und westlicher Technologie sein und ein Militär aufbauen, das mit allen anderen mithalten kann”, teilte der Geheimdienst mit. Dafür spähe es Industrieprozesse aus. Zudem beschuldigten die Niederlande China im Februar, Hacker hätten sich vergangenes Jahr Zugang zum Militärnetzwerk des Landes verschafft.
In Belgien hat der chinesische Geheimdienst offenbar über drei Jahre lang einen Parlamentarier der Rechtsaußen-Partei Vlaams Belang bezahlt, um Einfluss auf die europäische Rechte zu gewinnen. Das machten Spiegel, Financial Times und Le Monde im Dezember bekannt. Der belgische Premierminister Alexander De Croo äußerte sich daraufhin besorgt, “dass einige Leute unseren Wohlstand, unsere Sicherheit und unsere Demokratie von innen sabotieren, als Teil einer Partei, die in unserem Parlament sitzt”.
Schweden hat Anfang des Monats eine Journalistin ausgewiesen, die für China spioniert haben soll. Die 57-Jährige saß bereits seit Oktober in Polizeigewahrsam, weil sie eine “ernsthafte Bedrohung” für die Sicherheit des Landes darstelle. Die Journalistin war vor zwei Jahren aus China nach Schweden eingewandert und soll über zehn Jahre lang in Schweden und seinen Nachbarländern gearbeitet und für Artikel auf ihrer Website Geld von China erhalten haben.
Eine zufällige Häufung von Fällen
Es gibt keinen Hinweis darauf, dass die Fälle miteinander zusammenhängen und dahinter eine groß angelegte chinesische Spionageattacke auf Europa steckt. Stattdessen häufen sich gerade offenbar zufällig Gerichtsverfahren und Erkenntnisse, teilweise zu länger zurückliegenden Fällen. Das Bundesamt für Verfassungsschutz geht jedoch davon aus, dass Spionage aus China vorrangig zentral gesteuert wird. Demnach hätte die chinesische Führung zumindest theoretisch die Möglichkeit, Spionageaktivitäten in Europa zu bündeln und gezielt zu steuern, auf bestimmte Gesellschaftsbereiche zum Beispiel.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser von der SPD nannte die mutmaßliche chinesische Spionage im Zusammenhang mit dem Europaabgeordneten Maximilian Krah einen “Angriff von innen auf die europäische Demokratie”, der Verdacht gegenüber China sei “äußerst schwerwiegend”.
China weist die Vorwürfe aus Europa bislang zurück: “Wir fordern die deutsche Seite auf, damit aufzuhören, den Spionagevorwurf auszunutzen, um das Bild von China politisch zu manipulieren und China zu diffamieren”, teilte die chinesische Botschaft in Berlin gegenüber der Nachrichtenagentur Xinhua mit. Und die Vorwürfe aus Großbritannien zu Hackerangriffen seien “komplett fabriziert”, es handle sich um “böswillige Verleumdungen”.
China spioniert nicht allein
Ob sich der Verdacht am Ende bestätigt oder nicht – schon jetzt haben die Fälle eine Diskussion darüber ausgelöst, wie anfällig Europa gegenüber Spionage ist. Der Vizepräsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Sinan Selen, sagte Ende vergangener Woche: “Wir sehen zunehmend Versuche der Einflussnahme mit illegitimen Mitteln auf Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, aber auch klassische Spionage.” Er warnte vor einem naiven Umgang mit China.
Und dabei könnte das Land beim Thema Spionage sogar Europas kleinere Bedrohung sein: Wenn es in den vergangenen zehn Jahren in EU-Mitgliedsstaaten zu Gerichtsprozessen wegen Spionage gekommen ist, sollen die Angeklagten mehrheitlich für Russland spioniert haben, wie eine Untersuchung der schwedischen Behörde für Verteidigungsforschung zeigt (PDF). Und nach Angaben des britischen Inlandsgeheimdienstes wurden allein im Jahr 2022 über 400 russische Spione in EU-Mitgliedsstaaten enttarnt.
Man könnte die Befunde jedoch auch auf andere Art interpretieren: China hat sich bei der Spionage einfach seltener erwischen lassen.