Bundesbank-Präsident Joachim Nagel: »Dürfen Europa nicht antidemokratischen Fliehkräften überlassen«
Der Finanzplatz Frankfurt ist so international wie kaum eine andere Stadt in Deutschland. Mit einem Appell gegen einen Rechtsruck wollen Vertreter von Banken, Sparkassen und anderen Institutionen nun ein Zeichen setzen.
Mit einem Aufruf zum Europatag am 9. Mai hat sich ein breites Bündnis aus Banken, Sparkassen und Finanzinstitutionen gegen einen Rechtsruck in der Gesellschaft gewandt. »Ein demokratisches, freiheitliches und tolerantes Europa ist die Grundlage für ein friedliches Zusammenleben. Es ist auch die Basis für wirtschaftliches Wachstum, Wohlstand und Gemeinwohl«, heißt es in dem Appell, der an diesem Donnerstag im Rahmen des Europa-Fests in Frankfurt am Main unterzeichnet werden soll und dem SPIEGEL vorab vorlag.
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Initiatoren des Aufrufs sind die Deutsche Bundesbank und die Finanzplatzinitiative Frankfurt Main Finance. Zu den Unterstützern gehören unter anderem der Bankenverband Hessen/Rheinland-Pfalz/Saarland, der Deutsche Sparkassen- und Giroverband, der Verband der Auslandsbanken sowie die staatliche Förderbank KfW.
Das breite Bündnis, das weite Teile des Finanzstandorts Frankfurt repräsentiert, dürfte mit seinem Appell gerade jetzt für Aufmerksamkeit sorgen. In den vergangenen Tagen waren mehrere Angriffe auf Politiker bekannt geworden, besonders die Attacke gegen den sächsischen SPD-Europapolitiker Matthias Ecke hatte Empörung ausgelöst. Ecke war am vergangenen Freitag in Dresden beim Aufhängen von Wahlplakaten angegriffen und schwer verletzt worden. Laut sächsischem Innenministerium deuten die Umstände auf einen rechtsextremen Hintergrund hin.
Das Bankenbündnis will mit seinem Aufruf ein anderes Zeichen setzen: Der Finanzstandort mit 280 Banken und Kreditinstituten und mehr als 70.000 Beschäftigten könne »nur gedeihen, wenn wir offen sind für Menschen und Ideen«, heißt es in dem Aufruf, der an diesem Mittwoch auch in der »Börsenzeitung« veröffentlicht wird. Toleranz und Menschenwürde ebenso wie Offenheit für den Austausch über Grenzen hinweg bildeten die Basis Europas und der Finanzbranche. »Diese Werte sind daher Leitlinien unseres Handelns. Ausgrenzung und Fremdenfeindlichkeit schaden Europa, Deutschland, dem Finanzplatz und unser aller Zusammenleben«, heißt es in dem Appell, dessen Unterstützer zur Beteiligung an der Europawahl am 9. Juni aufrufen.
Bundesbank-Präsident äußert sich zu Angriffen auf Politiker
Bundesbank-Präsident Joachim Nagel sagte dem SPIEGEL, der Appell habe »eine sehr breite Zustimmung am Finanzplatz Frankfurt und darüber hinaus gefunden«. Immer mehr Organisationen und Unternehmen wollten offenbar ein Zeichen für Toleranz, Menschenrechte und Weltoffenheit setzen. Das sei »umso wichtiger in einer Zeit, in der Menschen angegriffen werden, die sich friedlich für die Europawahl engagieren«, so Nagel. »Wir dürfen Europa nicht antidemokratischen Fliehkräften überlassen«, sagte Nagel. »Fremdenfeindlichkeit und Ausgrenzung sind eine Bedrohung und keine Lösung.«
Nagel war zu Jahresbeginn einer der ersten Vertreter der Finanzwelt, der vor einem Rechtsruck in Deutschland gewarnt hatte. Der Bundesbank-Präsident, selbst SPD-Mitglied, hatte sich damals auch an einer Großdemonstration beteiligt. Mittlerweile haben zahlreiche Wirtschaftsvertreter Stellung bezogen – vor allem die in rechten Kreisen zirkulierende Idee einer sogenannten »Remigration« ausländischer oder ausländischstämmiger Mitbürger hat viele Unternehmer und Topmanager aufgeschreckt. Schließlich ist die deutsche Wirtschaft in erheblichem Maße auf Zuwanderung von Arbeitskräften angewiesen.
Konkret gegen die AfD wenden sich allerdings bisher nur wenige Wirtschaftsvertreter. Der Chef der größten deutschen Unternehmensberatung Roland Berger, Stefan Schaible, hatte dem SPIEGEL kürzlich gesagt, es schade dem Standort Deutschland, wenn die AfD bei den anstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg gewinne. Es werde wirtschaftlich nicht gut gehen »mit politischen Parteien, die zulassen, dass in ihrem Umfeld über Dinge wie ›Remigration‹ gesprochen wird – in einer Situation, in der wir mehr Zuwanderung nach Deutschland brauchen, um den Wohlstand unserer Gesellschaft zu sichern«.