Bischof Tebartz, Missbrauchsskandal, fehlende Reformen: Was hat der katholischen Kirche mehr geschadet, Herr zu Eltz?
Interview
Bischof Tebartz, Missbrauchsskandal, fehlende Reformen: Was hat der katholischen Kirche mehr geschadet, Herr zu Eltz?
Johannes zu Eltz (66) war von August 2010 bis 1. Mai 2024 katholischer Stadtdekan von Frankfurt. Er bleibt als Dompfarrer der katholischen Kirche in Frankfurt eng verbunden.
Johannes zu Eltz war Frankfurter Stadtdekan, hat sich als Kritiker von Bischof Tebartz-van Elst und Befürworter von Reformen einen Namen gemacht. Er ist gegen den Pflichtzölibat, sagt aber auch, dass ihm die Abschaffung selbst nicht geholfen hätte. Von Peter Hanack
Herr zu Eltz, was hat der Katholischen Kirche im Bistum Limburg mehr geschadet? Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst? Der Missbrauchskandal? Oder das weitgehende Scheitern des Synodalen Wegs?
Alle drei Ereignisse haben miteinander zu tun, sie haben gleiche oder ähnliche systemische Gründe. Was allem gemein ist: Es schadet der Katholischen Kirche erheblich, wenn sie auch unter großem Veränderungsdruck nicht bereit ist, das Undurchsichtige und Nutzlose an ihrer Organisationsstruktur zu öffnen und damit wirklich vertrauenswürdig zu werden.
Bischof Tebartz-van Elst musste zurücktreten, weil der Bau seiner neuen Residenz in Limburg zum finanziellen Fiasko führte und die Öffentlichkeit darüber lange belogen wurde. Das Bistum hat daraus doch offenbar gelernt, geht unter dem heutigen Bischof Georg Bätzing viel transparenter mit seinen Finanzen um. Ihnen genügt das nicht?
Das war notwendig, ist aber nicht ausreichend.
Was müsste noch passieren?
Ich hätte die ganze Residenz abgerissen und einen Exorzismus gebetet und am Ende noch Salz auf die Ruinen gestreut! Aber im Ernst: Als Bischof Georg ins Amt kam, traf er im Bistum schon auf gute Ansätze der Erneuerung, für die nach dem Rücktritt von Bischof Franz-Peter Weihbischof Manfred Grothe aus Paderborn als Apostolischer Administrator die Weichen gestellt hatte. Bischof Georg hat sie aufgegriffen und energisch weitergeführt. Das war gut, daran gibt es nichts auszusetzen. Dennoch läuft da immer ein Grundanliegen mit, vielleicht auch nur halb bewusst, nämlich Kontinuität zu wahren. Es geht darum, unter allen Umständen Brüche zu vermeiden, und die gibt es zwangsläufig, wenn man, was vorher war, für grundfalsch oder böse erklärt. Das steckt uns so in den Knochen, dieses Bedürfnis, dass alles, was es gibt, ununterbrochen weiterlaufen muss. Das ist, glaube ich, unser blinder Fleck.
Im Missbrauchskandal sind das Bistum und Bischof Bätzing Vorreiter darin, Strukturen zu verändern, Prävention zu betreiben, aufzuklären. Ist da genug geschehen oder gibt es da auch blinde Flecke?
Wir haben einen integren Bischof, der mit seiner Person dafür steht, wirklich etwas ändern zu wollen, und der davon auch nicht abweicht, wenn er Gegenwind kriegt. Er identifiziert sich mit der Sache des Synodalen Weges, nicht nur für das eigene Bistum, sondern für die Katholische Kirche in Deutschland. Er steht für die Reformagenda und leitet sie auch. Und doch muss er das, wie er selber sagt, immer in Übereinstimmung mit dem Glauben der Kirche und ihrer rechtlichen Grundordnung machen. Und das sind dann auch die Grenzen der Reform. Ein Bischof kann das gesamtkirchliche System nicht verändern. Er kann Grenzen erreichen, auch mal überschreiten, aber nicht versetzen. Die rechtliche Ordnung der Gesamtkirche von 1983 ist für mich die Mutter unserer Probleme.
Der Synodale Weg zielt auf große Veränderungen, es geht um eine neue Sexualmoral, die Homosexualität nicht verurteilt, um Frauen in kirchlichen Weiheämtern, Gewaltenteilung, die Abschaffung des Pflichtzölibats, also des Heiratsverbots für Priester. Positionen also, für die Sie sich mit anderen zusammen schon 2019 beim damaligen Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Reinhard Marx, in einem offenen Brief eingesetzt haben. Und jetzt hat Rom dem allen eine Absage erteilt. Also sind die Reformen am Ende?
Meine geschichtliche Sicht auf Veränderungsprozesse in der Kirche ist, dass es eigentlich immer so geht wie jetzt beim Synodalen Weg.
Was heißt „wie jetzt“?
Dass Veränderungen aussichtslos erschienen, weil Rom „Basta!“ sagt. Aber schon der letzte Besuch der kleinen Bischofsgruppe um Bischof Georg in Rom hat deutlich gemacht, dass es auf einmal Gesprächsbereitschaft gibt, wo man sie nicht mehr vermutet hätte. Das muss auch so sein. Wenn Rom wirklich so starr wäre, wie es vielen scheint, käme die Kirche nicht durch eine so anspruchsvolle Zeit wie unsere. Sie muss aber aushalten bis zum Jüngsten Gericht! Es gibt immer eine Weiterentwicklung, auch wenn ich die im Moment als extrem hinderlich langsam empfinde. Es wäre ganz klar mehr Tempo nötig und möglich. Es ist so viel katholische Substanz in den Vorschlägen aus Deutschland, dass man in Rom verrückt sein müsste, das alles links liegen zu lassen.
Sie waren von August 2010 bis 1. Mai Stadtdekan. Was ist Ihnen in diesen fast 14 Jahren gelungen?
Neue Kirchenregion Frankfurt
Das Bistum Limburg hat sich eine neue Organisationsstruktur gegeben. Statt wie bisher in elf Bezirke ist das Bistum seit 1. Mai in fünf Regionen aufgeteilt.
Die fünf katholischen Regionen sind Frankfurt Westerwald-Rhein-Lahn An der Lahn Wiesbaden-Rheingau-Taunus Taunus
Geleitet werden diese fünf Regionen nicht mehr von einem Dekan, sondern von einem Team aus jeweils zwei Personen. Diese Doppelspitzen werden von den Regionalsynodalräten gewählt.
Die Region Frankfurt wird geleitet von Christiane Moser-Eggs und Michael Thurn. Der bisherige Stadtdekan Johannes zu Eltz, der sein Amt zum 1. Mai abgegeben hat, bekommt daher keinen direkten Nachfolger.
Die Neustrukturierung soll die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Bereichen und Ebenen im Bistum verbessern und Entscheidungsprozesse einfacher machen. Mit der Wahl der Doppelspitzen zieht zudem ein demokratisches Element ein.
Mehr gibt es unter bistumlimburg.de, Stichwort „Neustrukturierung“. pgh
Ich habe hier eine Stadt vorgefunden, die ausgesprochen weltlich ist, in der viele mit Kirche wenig oder gar nix zu tun haben wollen. Gleichzeitig ermöglicht Frankfurt in seiner Weltlichkeit der katholischen Kirche und überhaupt den Religionen, einen großen Raum zu füllen. Ich glaube, die Kirche kann sich hier freier entwickeln als dort, wo Jahrhunderte von Kirchenherrschaft in den Mauern stecken. Dort ist man in Versuchung, es der Kirche irgendwie heimzuzahlen, dass sie früher so viel zu sagen hatte. Das war noch nie das Problem in Frankfurt. In dieser Bürgerstadt hatten wir immer ein Bein auf dem Boden, aber nicht das Heft in der Hand. Hier darf man also richtig katholisch sein, aber auf eine republikanische und verträgliche Weise, und nicht mit diesem kalten Hochmut der routinierten Machthaber. Ich hoffe, das ist mir gelungen.
Kirche übernimmt in der Stadt wichtige Aufgaben, etwa in der Kinderbetreuung oder dem Krankenhauswesen, in den Sozialstationen. Wird sie das künftig können, wenn sie Mitglieder verliert und damit Kirchensteuereinnahmen?
Die Kirchengemeinden sind unterschiedlich vermögend. Was geht, wird von ihnen selber getragen und ist zumeist auch gesichert. Der große Einsatz der katholischen Kirche ist der Caritasverband, der einen wesentlichen Beitrag zur sozialen Stadt Frankfurt leistet. An vielen Stellen kann und muss seine Arbeit von der öffentlichen Hand refinanziert werden. Das ist ein Riesending, das geht geübt und gut, gerade mit der Sozialdezernentin. Es gibt aber unterschwellig auch etatistische Traditionen in der Stadt, so nach dem Motto: Stand der Kunst ist nur, was wir selber machen und unter Kontrolle haben. Der Umgang mit selbstbewussten Trägern, die aus eigenen Gründen Aufgaben erfüllen, die auch Aufgaben der Stadt sind, war nicht immer so partnerschaftlich, wie ich mir das gewünscht hätte. Klar, wir haben da eine Bringschuld, die Kirche muss vertrauenswürdig sein, wenn sie Vertrauen für ihre Werke einfordert. Aber die Caritas hat Vertrauen und eine auskömmliche Finanzierung verdient, und der Stadt wünsche ich wachsende Freude an den nicht städtischen Trägern, die mithelfen, das zu erledigen, was insgesamt Aufgabe Frankfurts ist.
Das Bistum Limburg hat seine Struktur reformiert. Es gibt seit dem 1. Mai fünf Regionen statt elf Dekanate. Und keinen neuen Stadtdekan. Stattdessen wird die Region Frankfurt von einer Doppelspitze geleitet, die Christiane Moser-Eggs und Michael Thurn bilden.
Das ist schon etwas Besonderes, zumindest in katholischen Augen. Ein Teil der Katholischen Kirche wird durch eine Frau und einen Mann geführt, die keine Priester sind. Und sie sind gewählt, nicht vom Bischof eingesetzt. Wenigstens ein bisschen mehr Demokratie. Von außen nimmt man das vielleicht kaum als Bewegung war, aber für uns ist das eine Mordssache, dass wir uns bei lebendigem Leib aus dem Korsett der hierarchischen Verfassung herauswinden können.
Gleichzeitig hat die Evangelische Kirche gerade erst einen Stadtdekan etabliert. Ist man Ihnen dort in Sachen Sichtbarkeit und möglicherweise auch Einfluss jetzt voraus?
Gerne, wir neiden so einen Vorsprung einander nicht. Im Verein mit vielen anderen möchte ich aber dazu beitragen, dass die neue Doppelspitze so sichtbar und so wirksam und so erfolgreich sein kann, wie das nur irgendwie möglich ist.
Was können die beiden besser als der bisherige Stadtdekan?
Ich habe auch nicht so monarchisch herumregiert, aber ein pyramidaler Aufbau war das schon. Die letzten anderthalb Jahre war ich ja mit Pia Arnold-Rammé zusammen an der Spitze, deshalb weiß ich auch ein bisschen aus eigener Erfahrung, was die beiden besser können: Sie sind schon mal zu zweit, sie haben immer jemanden auf gleicher Höhe neben sich, mit dem sie sich abstimmen wollen und müssen. Und sie wurden gewählt, sie können auch abgewählt werden, müssen dem Synodalrat gegenüber Rechenschaft über ihr Tun ablegen. Das alles halte ich für einen Vorteil.
Man hat Ihnen doch sicher nicht so gerne widersprochen.
Im Laufe meiner Zeit ist die Bereitschaft, mir öffentlich oder im kleineren Kreis zu widersprechen oder mich zu kritisieren, immer größer geworden. Das fand ich nicht angenehm, aber so habe ich gemerkt, dass ich das Vertrauen der Leute in der eigenen Kirche gewonnen habe. Vertrauen von kirchlichen Mitarbeitern zu ihren Oberen ist ein rares Gut. Für mich war das überragend wichtig.
Erlauben Sie zum Schluss noch eine persönliche Frage. Hätten Sie gerne geheiratet?
Vor 40 Jahren habe ich mich entschieden, nicht Jurist, sondern Priester und Pfarrer zu werden. Damals war ich so hin und weg von der Erfahrung, dass Jesus mich persönlich anspricht auf eine wilde Wandlung, ein neues Leben, dass ich richtig opferlustig wurde. Dinge, die ich mit Leidenschaft gemacht hatte, die habe ich mit Aplomb nach links und rechts weggeschmissen. Ich wollte alle Kräfte einschmelzen in diese neue Existenz, dazu gehörte auch das kalkulierte Alleinebleiben, die Selbstverletzung durch den Verzicht auf Partnerschaft. Aber die Dauer trägt die Last, und in Jahrzehnten ist bei mir die Erkenntnis gereift, dass das, was ich für Priesteramt und Pfarrberuf wesentlich finde, auch gut geworden wäre in einer Ehe, womöglich besser, vor allem, wenn ich auch eine Familie hätte mit heranziehen können. Das war mir damals überhaupt nicht klar, deswegen hätte mir in der Zeit meiner Lebenswahl eine Freistellung nichts genutzt. Aber man ist ja nicht davor gefeit, schlauer zu werden. Und so trete ich heute für Wahlfreiheit ein. Ich hoffe, dass es künftigen Generationen von Priestern und Priesterinnen helfen wird. Wahlfreiheit zu gewähren ist der Ausdruck von Vertrauen. Das steht der Kirche gut an.