Besetzung der Uni Lausanne: Was passiert, wenn das Rektorat die unrealistischen Forderungen der Aktivisten nicht erfüllt?
Propalästinensische Aktivisten rufen an der Uni Lausanne zum Boykott der israelischen Wissenschaft auf. ; Noemi Cinelli / Keystone
Es ist eine Mischung aus Kundgebung, Proseminar und Pfadilager: Knapp hundert Aktivisten besetzen zurzeit einen Gebäudeteil der Universität Lausanne. An den Wänden hängen Palästina-Flaggen, viele tragen die typischen schwarz-weissen Kufiyas. In kleinen Gruppen diskutieren sie über das weitere Vorgehen. Da und dort liegt ein Schlafsack, einige haben auf mitgebrachten Isoliermatten die Nacht hier verbracht.
Die Aktion hat am Donnerstagabend begonnen und richtet sich gegen «das Schweigen und die Passivität» der Uni-Leitung zum Gaza-Krieg. Wer dahintersteckt, bleibt schleierhaft – keine Organisation tritt offiziell auf. Eine Kerngruppe habe sich spontan gebildet, den Rest habe Mundpropaganda erledigt, sagen zwei Studenten im Gespräch. Obwohl sie der «Gruppe Medien» angehören, wollen sie ihre Namen nicht verraten. Ohnehin ist einige Skepsis gegenüber der Presse spürbar – als sich die Demonstranten zum basisdemokratisch organisierten Informationsaustausch treffen, werden Journalisten zum Gehen aufgefordert.
Das Rektorat duldet die Aktivisten für den Moment. Sofern die Lage ruhig bleibe, es keine Sachbeschädigungen gebe und der Unterricht ordnungsgemäss durchgeführt werden könne, werde man zumindest bis zu Beginn der kommenden Woche keine Anzeige erstatten, heisst es. Man wolle den Dialog aufrechterhalten und gebe sich nun ein paar Tage Zeit, um sich zu den Forderungen der Studenten zu positionieren, sagte Rektor Frédéric Herman gegenüber RTS.
Vergleich mit dem Ukraine-Überfall
Von den vier Punkten sticht vor allem einer ins Auge: Die Uni Lausanne müsse unverzüglich sämtliche Zusammenarbeit mit israelischen Institutionen beenden – und zwar so lange, bis Israel in einen langfristigen Waffenstillstand einwillige, das «Völkerrecht respektiere» und die «Apartheid beende», heisst es in einem anonym gehaltenen Flugblatt. Die Studenten verweisen darauf, dass sich die Universität schliesslich auch von Russland distanziert habe nach dem Überfall auf die Ukraine.
Dass das Rektorat die Forderungen der Aktivisten erfüllt – unabhängig davon, dass die beiden Konflikte völlig unterschiedlich gelagert sind –, ist nicht vorstellbar. Doch was passiert danach? Spielen sich dann auch in der Schweiz Szenen wie in den USA ab?
Frédéric Herman, Rektor der Universität Lausanne, will sich bis Anfang Woche zu den Forderungen der Aktivisten positionieren. ; Noemi Cinelli / Keystone
Die Uni-Leitung will sich nicht zu derartigen Eventualitäten äussern. Und auch die Aktivisten behalten sich alle Optionen offen: Man wolle zuerst die Antworten abwarten und entscheide dann im Kollektiv, sagen zwei von ihnen.
Sie betonen, dass ihre Bewegung nicht politisch, sondern rein humanitär motiviert sei. Fragen zu den Ereignissen vom 7. Oktober und zur Terrororganisation Hamas wollen die Aktivisten nicht beantworten – lassen ihre Gesinnung dann aber doch durchblicken. Sie reden von der «Kolonialmacht Israel», vom «Genozid» an der palästinensischen Bevölkerung und sprechen Israel gar das Existenzrecht ab.
Professor wird angefeindet
Einer, gegen den sich der Furor richtet, ist Jacques Ehrenfreund, Professor des Lehrstuhls für die Geschichte der Juden und des Judentums an der Uni Lausanne. Seit er sich «erfrecht» hat, neben dem Wunsch nach einem Waffenstillstand auch an das Schicksal der israelischen Geiseln zu erinnern, wird er offen angefeindet. Vereinzelte Aktivisten haben gar die Uni-Leitung unter Druck gesetzt, damit diese eine öffentliche Konferenz absagt, bei der Ehrenfreund zusammen mit dem Lehrstuhlinhaber für Islamwissenschaften auftreten sollte.
So weit kam es nicht, die Veranstaltung konnte am Donnerstag ohne Zwischenfall durchgeführt werden. Zu den Forderungen der Besetzer will sich Ehrenfreund nicht äussern. Er sagt aber: «Wenn nicht nur die Politik des Staates Israel kritisiert wird, sondern dessen Existenzrecht infrage gestellt wird, muss man von Antisemitismus sprechen.»
Ähnlich äussert sich die Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus: Bei Aktionen wie nun in Lausanne werde die «Meinungsäusserungs- und Versammlungsfreiheit genutzt, um antisemitische Narrative zu verbreiten», heisst es in einem Communiqué.
Feminismus und Gaza
Dass die Anspannung rund um den akademischen Umgang mit dem Nahost-Konflikt gross ist, zeigt auch ein Vorfall an der ETH Lausanne (EPFL) – nur einen Kilometer von der Uni entfernt. Eine Organisation namens Polyquity hat dort am Dienstag eine Diskussionsrunde zum Thema «Femonationalismus, Kolonialismus und Feminismus» durchgeführt. Das Rektorat bekam im Vorfeld Wind davon, dass der Gaza-Konflikt auf einseitige Weise thematisiert werden könnte, und ermahnte die Veranstalter, dass – gemäss den Statuten der Hochschule – auch andere Meinungen vorkommen müssten.
Polyquity sagt, dass man die Regeln eingehalten habe und es keine bedrohlichen oder hasserfüllten Wortmeldungen gegeben habe. Für die EPFL-Leitung war die Veranstaltung hingegen, wie befürchtet, klar «politisch orientiert», wie sie in einer Rundmail an alle Studentenvereinigungen schreibt. Sie hat Polyquity am Freitag zitiert und verbietet der Organisation nun – Rekurs vorbehalten – während sechs Monaten, Veranstaltungen auf dem Hochschul-Campus durchzuführen.