Bedrohung der Demokratie: Wie Autokratie und Armut zusammenhängen

Warum verfangen Versprechen von Autokraten gerade bei der ärmeren Bevölkerung? Scham spielt dabei eine zentrale Rolle, sagt der Psychologe Jasper Neerdaels. Und erklärt, wie sich Demokratien schützen können.

bedrohung der demokratie: wie autokratie und armut zusammenhängen

Bedrohung der Demokratie: Wie Autokratie und Armut zusammenhängen

SPIEGEL: Herr Neerdaels, Sie untersuchen, warum arme Menschen dazu tendieren, autoritäre Politiker zu unterstützen. Was haben Sie herausgefunden?

Neerdaels: Es wird oft gesagt, diese Leute fühlen sich abgehängt, nicht ernst genommen von der Gesellschaft, und verlieren so das Vertrauen in die Demokratie. Aber es gibt, gerade in der Psychologie, sehr wenig Forschung dazu, warum dieser Zusammenhang zwischen Armut und Autoritarismus besteht. Vorneweg: Die Unterstützung von Autoritarismus wird in der Psychologie generell gesehen als Sehnsucht nach Einheit, Gleichheit, starkem Gruppenzusammenhalt. Und zugleich als eine Ablehnung von allem, was als fremd und anders wahrgenommen wird. Studien zeigen nun, dass diese Sehnsucht nach Einheit durch Bedrohung ausgelöst wird. Und da kommt die Armut ins Spiel: Armut ist eine der großen Bedrohungen unserer Zeit.

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SPIEGEL: Sie betrachten in Ihrer Forschung vor allem eine Emotion: die Scham. Was hat Scham mit all dem zu tun?

Neerdaels: Scham ist direkt verknüpft mit Armut und einem extrem negativen Gefühl von Wertlosigkeit, Machtlosigkeit, von sozialer Ausgegrenztheit. Scham betrifft mich als gesamten Menschen. Wer arm ist, kann nicht an der Gesellschaft teilhaben, nicht zu kulturellen Events gehen, sich die Klassenfahrt nicht leisten, bei vielen Sportarten nicht mitmachen. Auf einer tieferen Ebene hat man das Gefühl, die gesellschaftlichen Erwartungen nicht zu erfüllen. Wir leben in einer sehr vermarktlichten Gesellschaft, nicht nur in Deutschland, fast überall auf der Welt: Menschen sind wie Wettbewerber in einem Markt, die in einem Wettkampf miteinander stehen. Die Verantwortung wird auf den Einzelnen abgewälzt, beruhend auf der Annahme: Jeder hat faire Chancen. Wo man landet in der Gesellschaft, hat man selbst in der Hand. Und da schwingt dann mit: Wer arm ist, hat also seine Chancen nicht genutzt und ist selbst verantwortlich für seine Misere. Das wird von armen Menschen selbst auch oft so gesehen.

SPIEGEL: Also schämen sie sich.

Neerdaels: Richtig. Die Bedrohung des sozialen Ausschlusses führt zu einer erhöhten Sehnsucht nach Einheit und Schutz durch eine Gruppe. Eine autokratische Führungsperson kann diese Hoffnung vermeintlich befriedigen.

SPIEGEL: Wie definieren Sie denn Armut überhaupt?

Neerdaels: Wir folgen einer Definition des indischen Philosophen Amartya Sen, der sagt: Armut ist die Unfähigkeit, ein halbwegs anständiges Leben zu führen. Jede Gesellschaft hat andere Maßstäbe, was es dazu braucht, was »anständig« heißt, wie viel Geld man dafür benötigt oder welchen Schulabschluss. Der Philosoph Adam Smith hat geschrieben, im 18. Jahrhundert war ein Leinenhemd ausschlaggebend, um ohne Scham vor die Tür zu treten. Heute wäre das vielleicht ein Smartphone. Die Definition, mit der wir arbeiten, ist also eine relative und eine absolute Definition zugleich.

SPIEGEL: Was bieten Autokraten armen Menschen, was die Demokraten ihnen nicht bieten?

Neerdaels: Die Sehnsucht nach Zugehörigkeit erhöht die Bereitschaft, sich einer Gruppe zu unterwerfen oder einer starken Führungspersönlichkeit. Man sehnt sich nach Stärke, wenn man sich gerade besonders schwach und klein fühlt. Oft wird es paradoxerweise als Stärke interpretiert, wenn sich jemand über demokratische Institutionen und Normen hinwegsetzt. Da ist jemand, der greift durch, geht da hin, wo es wehtut. Autokraten spielen in ihrer Rhetorik die einen gegen die anderen aus, bedienen die Sehnsucht nach Zugehörigkeit. Ausnahmsweise sind dann mal die anderen die Ausgeschlossenen, und man selbst gehört zur Gruppe der Normalen, der Guten.

SPIEGEL: Geht es auch um Abstiegsängste?

Neerdaels: Auf jeden Fall – um die Angst, den eigenen Stand in der Gesellschaft zu verlieren. Das spielt in Deutschland eine wichtige Rolle, wenn man die Unterstützung für die AfD erklären möchte. Vielen Menschen geht es gar nicht schlecht, aber die – oft auch berechtigte – Furcht, dass es abwärts gehen könnte, spielt eine wichtige Rolle. Ein weiteres Beispiel sind weiße Männer in den USA, unter denen viele eine gewisse Reaktion zeigen: Sie fühlen sich bedroht von anderen Gruppen, die bisher in der Hierarchie unter ihnen standen und nun mehr Anerkennung gewinnen. Man fürchtet sich davor, in eine Position abzurutschen, für die man sich schämt.

SPIEGEL: In diesem Jahr sind US-Wahlen, Donald Trump könnte noch einmal Präsident werden. Im notorisch von Wirtschaftskrisen heimgesuchten Argentinien regiert seit Kurzem der Rechtspopulist Javier Milei. In den Philippinen, ein Land, in dem viele arm sind, gaben die Menschen dem Sohn des ehemaligen Diktators Ferdinand Marcos ihre Stimme. Diese Autokraten ändern mit ihrer Politik für arme Menschen eher wenig zum Positiven. Trotzdem bekommen sie deren Stimme. Ist das nicht verwunderlich?

Neerdaels: Nur auf den ersten Blick. Noch mal: Scham ist ein extrem negatives Gefühl. Scham und die Angst vor sozialer Ausgrenzung werden ähnlich wahrgenommen wie physischer Schmerz. Sie kann krank machen und am Ende sogar töten. Das zeigen Studien. Insofern ist nicht verwunderlich, dass Menschen alle möglichen Strategien anwenden, um diesen Schmerz zu lindern. Allein die Hoffnung auf Linderung, die dieser Typ Politiker in den Menschen weckt, reicht, um ihm die Stimme zu geben. Reale Politik ist da oft zweitrangig. Populisten stellen in ihrer Sprache Menschen außerdem oft als Opfer dar. Arme Leute befreit dies ein Stück von ihrer Last, angeblich selbst verantwortlich zu sein für ihre negative Lage.

SPIEGEL: Nun können demokratische Politikerinnen und Politiker oft nicht die einfachen Antworten der Populisten geben. Die Realität ist kompliziert, vielschichtig. Was können sie rhetorisch dennoch besser machen?

Neerdaels: Ich fürchte, ich kann da nur auf abstrakter Ebene antworten: Sie müssen das Gefühl des Zusammenhalts und der Einheit stärken, ohne andere auszugrenzen. Das müsste das Ziel sein. Das ist allerdings extrem schwierig, ohne dann auch in vereinfachte Narrative und Populismus zu verfallen. Ohne romantisieren zu wollen, gab es früher etwa die Gemeinschaft der Arbeiterklasse, in der man sich vielleicht auch nicht so viel leisten konnte wie andere, und doch hat man sich mit der Gruppe identifizieren können. Heute ist diese Gemeinschaft mit der Individualisierung der Gesellschaft verschwunden.

SPIEGEL: Was können demokratische Politikerinnen und Politiker aus diesen Erkenntnissen noch lernen?

Neerdaels: Armut muss man bekämpfen, wo man kann, das ist das Wichtigste. Aber es gibt sie nun mal in jeder Gesellschaft. Man muss sich darum kümmern, dass Armut nicht mehr so schambehaftet ist. Es gibt viele Menschen, die extrem hart arbeiten für sehr wenig Lohn, mehrere Jobs gleichzeitig haben und sich trotzdem kaum über Wasser halten können. Wie ist es zu rechtfertigen, dass sie einen so niedrigen Status in der Gesellschaft haben im Vergleich zu denen, die sehr viel Geld haben und vielleicht ähnlich hart arbeiten? Mancher mag mit großer Intelligenz gesegnet sein oder schlicht viel bessere Voraussetzungen gehabt haben, für die er erst mal nichts kann, und verdient darum mehr als jemand anderes. Das Versprechen, dass jeder seines Glückes Schmied ist, ist nicht hieb- und stichfest. Dementsprechend sollten Demokratien ärmere Menschen nicht pauschal so behandeln, als ob diese etwas falsch gemacht haben.

SPIEGEL: Wo gelingt das?

Neerdaels: Aus meiner Sicht war in Deutschland die Reform der Sozialhilfe ein Schritt in die richtige Richtung. Das neue Bürgergeld finde ich – von der Idee her – ziemlich gut. Darin drückt sich die Idee aus, man müsse Menschen mehr Respekt entgegenbringen, die wenig haben, ihnen mehr Anerkennung für ihre Lebensleistung anrechnen. Sozialhilfeempfänger fühlten sich lange unter Generalverdacht und wurden würdelos behandelt, gegängelt durch Maßnahmen mussten sie schwere Strafen fürchten bei Fehlverhalten. Sie mussten sich komplett offenlegen. Solche Dinge drängen Menschen in die Scham, sie stehen unter Verdacht, Schmarotzer zu sein und so weiter. Das wurde nun verbessert. Respekt war der Kern dieses Vorhabens.

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