Ausstellung über Mirjam Pressler: Keine Idyllen, aber Hoffnung
Porträt der Künstlerin als junge Frau: Die undatierte Aufnahme zeigt Mirjam Pressler als Malerin.
Mirjam Pressler hat Romanfiguren erdacht, die ihr ähneln. Nicht eins zu eins, doch was sie erleben, hat sich ganz ähnlich oft auch in Presslers Leben abgespielt. Halinka aus dem Buch „Wenn das Glück kommt, muss man ihm einen Stuhl hinstellen“, das mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet wurde, ist eine solche Figur. Sie lebt im Heim, hat keine Freunde, zieht sich zurück, bleibt still. Über das, was vor der Zeit im Heim passiert ist, verliert sie kein Wort. Große Träume hat sie trotzdem.
In der Ausstellung werden auch Zeichnungen und Malereien von Mirjam Pressler gezeigt.
Auch Pressler kannte keine unbeschwerte Kindheit. 1940 kam sie als uneheliches Kind zur Welt, ihren Vater hat sie nie getroffen. Eine Zeit lang lebte sie in einer Pflegefamilie, später im Internat. Über das Verhältnis zu ihrer Mutter hat sie meist geschwiegen, auch gegenüber ihren eigenen Töchtern. „Ziemlich asozial“ hat Pressler ihre Mutter einmal genannt: „Ich habe sie zwar kennengelernt, aber es wurde nichts daraus.“
Mirjam Pressler in ihrem Haus in Landshut: Auf der Fensterbank steht ein Chanukka-Leuchter.
Wohl auch deshalb gibt es in den Kinder- und Jugendbüchern, die die in Darmstadt geborene und aufgewachsene Autorin geschrieben hat, keine heilen Welten, keine Idyllen, aber doch immer Hoffnung. Für die Mädchen und jungen Frauen, die sie zu ihren Protagonistinnen machte, ist kein Platz auf der Sonnenseite des Lebens reserviert, um ihr Glück müssen sie kämpfen. Ihnen fällt nichts in den Schoß, trotzdem machen sie das Beste daraus.
Ein Leben in sieben Kapiteln
Eine Ausstellung unter dem Titel „Schreiben ist Glück“ im Jüdischen Museum in Frankfurt erzählt nun, in sieben kompakten Kapiteln, von Presslers Leben. Sie berichtet von ihren frühen Versuchen, sich als Malerin zu etablieren, von ihrer Ehe mit dem aus Israel stammenden Fotografen Jehuda Pressler, von ihrer Hinwendung zur jüdischen Religion, ihren Reisen in den Nahen Osten, ihrer Zeit in einem Kibbuz, ihrer Arbeit als Schriftstellerin und Übersetzerin.
Vor drei Jahren ist ein Teil des Nachlasses der 2019 gestorbenen Schriftstellerin an das Frankfurter Museum gekommen: Manuskripte, Bücher, Korrespondenzen, vor allem aber Material, das Pressler sammelte, als sie an der Neuübersetzung von Anne Franks Tagebuch arbeitete. 1992 veröffentlichte die Autorin eine Biographie über das in Frankfurt geborene und im Konzentrationslager Bergen-Belsen ermordete Mädchen, deren Erinnerungen an die Zeit im Amsterdamer Hinterhausversteck zu Weltliteratur wurden. 2009 erschien mit „Grüße und Küsse an alle“ ein von ihr und Gerti Elias, der Ehefrau von Anne Franks Cousin Buddy Elias, verfasstes Buch über die Familie Frank.
Mit 16 bewarb sie sich an der Kunstakademie
Einige der Dokumente aus diesem Teilnachlass sind nun in der Ausstellung zu sehen. Anderes wurde von ihrer Familie zur Verfügung gestellt. Ein von Pressler bunt bemalter Flohmarktstuhl zum Beispiel, auf dessen Sitzfläche eine Schokoladentafel zu sehen ist. Eine auf Zetteln notierte „Schnitzeljagd“, die sie sich für ihre Töchter ausgedacht hatte. Malereien, die Pressler als junge Frau anfertigte und die viele Jahre lang im Keller ihres Hauses verschwunden waren. Oder ein Lebenslauf, den sie handschriftlich verfasste, als sie sich mit 16 Jahren an der Frankfurter Städelschule bewarb. An der Kunstakademie wurde sie damals „auf Probe“ aufgenommen. Nach eineinhalb Jahren kam jedoch ein Dämpfer. Weil sie „keine ausgesprochene Begabung für die freie Kunst“ entwickelt habe, sollte Pressler die Hochschule wieder verlassen.
Überhaupt musste sie sich in ihrem Leben häufig gegen Widerstände stemmen. Als ihre Ehe scheiterte, kämpfte sie sich als Alleinerziehende dreier junger Töchter durch. Mit ihrem zweiten Lebenspartner machte sie in München ein Jeans-Geschäft auf. Als das Haus, in dem sich der Laden befand, abgerissen wurde, musste Pressler es schließen. Als Taxifahrerin hat sie gejobbt, als Sekretärin. Viele Jahre machte ihr eine Krebserkrankung zu schaffen. Den Mut, neu anzufangen, brachte sie gleich mehrmals in ihrem Leben auf.
Pressler übersetzte Anne Frank, Amos Oz und Lizzie Doron
Zum Schreiben kam sie erst spät. 40 Jahre alt war Pressler, als ihr erster Jugendroman „Bitterschokolade“ erschien, der von einer esssüchtigen Jugendlichen erzählt. Nachts, wenn ihre Kinder schliefen, hatte sie an ihm gearbeitet. Ihre älteste Tochter Ronit war Presslers „Testleserin“. Begeistert war auch die Kritik, für ihr Debüt wurde die Autorin mit dem renommierten Oldenburger Kinder- und Jugendbuchpreis ausgezeichnet. 40 Werke folgten bis zu ihrem Tod. Und gut 350 Bücher hat Pressler übersetzt, unter ihnen zahlreiche von israelischen Autoren wie Amos Oz oder Lizzie Doron.
Sehenswert ist die Ausstellung für jüngere und ältere Besucher. Man kann sich in die Details von Presslers Biographie vertiefen, in die zahlreichen Dokumente und Briefe. Genauso gut aber kann man sich einer der Mitmachstationen widmen oder in einer Leseecke durch die ausgestellten Bücher der Schriftstellerin blättern.
Besonders berührend ist ein Video mit Presslers Töchtern Ronit, Gila und Tall, das für die Schau aufgenommen wurde. Darin schwärmen die Frauen von der Warmherzigkeit ihrer Mutter und berichten von einem unkonventionellen, oft chaotischen, aber erfüllten Familienalltag. Und sie erinnern sich an einen Rat, den ihre Mutter ihnen gegeben und der sie geprägt hat: „Ihr müsst nichts Besonderes werden, ihr müsst nur besonders glücklich werden.“
Die Ausstellung „Mirjam Pressler – Schreiben ist Glück“ läuft bis zum 1. September im Jüdischen Museum in Frankfurt.