«Akt des institutionellen Verrats»: Die Reaktionen auf das Weinstein-Urteil
Ashley Judd heads to her seat before the start of an event on the White House complex in Washington, Tuesday, April 23, 2024, with notable suicide prevention advocates. The White House held the event on the day they released the 2024 National Strategy for Suicide Prevention to highlight efforts to tackle the mental health crisis and beat the overdose crisis. (AP Photo/Susan Walsh) Ashley Judd
Harvey Weinstein 2020 vor einem Gericht in New York.
Der erste Weinstein-Prozess markierte einen Meilenstein der Rechtsgeschichte – auch deshalb, weil der ehemalige Hollywoodmogul vor allem auf Basis der Aussagen von Zeuginnen für schuldig befunden wurde, obwohl er selbst stets seine Unschuld beteuerte. Materielle Beweise spielten in dem Verfahren eine untergeordnete Rolle.
Am Donnerstag hat nun ein Gericht in New York das Urteil gegen Weinstein wegen Verfahrensmängeln eingestellt.
Die Anschuldigungen gegen Weinstein, die 2017 in einem bahnbrechenden Bericht in der «New York Times» veröffentlicht wurden, lösten die #MeToo-Bewegung aus: eine massive Abrechnung mit Machtmissbrauch und sexuellen Übergriffen. Unter anderem Frauen, die Weinstein beschuldigten, haben sich am Donnerstag zu dem Urteil geäussert und es als «enttäuschend» und «ungerecht» bezeichnet.
Ein Überblick über die Reaktionen:
Staatsanwaltschaft Los Angeles
Die Staatsanwaltschaft in Los Angeles zeigte sich «betrübt» über das Urteil der New Yorker Berufungsrichter. In einer Stellungnahme drückte die Behörde aber auch Zuversicht aus, dass Weinsteins Verurteilung in Kalifornien aufrechterhalten werde. Dann würde Weinstein die «schwerwiegenden Folgen seines beklagenswerten Verhaltens» tragen.
Klägerinnen
Bei dem Prozess in Los Angeles hatte eine Jury Weinstein im Dezember 2022 wegen Sexualverbrechen in drei Anklagepunkten, darunter Vergewaltigung, schuldig gesprochen. In einem Punkt wurde er freigesprochen, in drei weiteren Punkten gab es keine Einigung. Die Vorwürfe stammten von vier Frauen in einem Zeitraum von 2004 bis 2013.
Jennifer Siebel.
Unter den Klägerinnen war unter anderem Jennifer Siebel, die jetzige Ehefrau des kalifornischen Gouverneurs Gavin Newsom. Die meisten Übergriffe sollen in Hotels in Beverly Hills stattgefunden haben.
Siebel liess am Donnerstag verkünden:
«Dies ist ein sehr trauriger Tag für zahllose Frauen, die unter den Händen eines Serienmörders gelitten haben. Zwei Geschworene haben unmissverständlich gesagt: Harvey Weinstein darf nie wieder eine Frau vergewaltigen, und er verdient es, den Rest seines Lebens hinter Gittern zu verbringen. Harvey Weinstein ist ein Seriensexualstraftäter und Vergewaltiger.» Und weiter sagt die Kalifornierin: «Die meisten Männer sind gute Männer – es sind die Serientäter, die Gewalt gegen Frauen ausüben, die unserer Gesellschaft schaden.»
Douglas Wigdor, der Anwalt von mehreren Frauen, die Weinstein angeklagt hatten, sagte am Donnerstag nach der Aufhebung des Urteils:
«Die heutige Entscheidung ist ein grosser Rückschritt bei der Verfolgung von Personen, die für sexuelle Gewalttaten verantwortlich sind. Die Gerichte lassen routinemässig Beweise für andere, nicht angeklagte Taten zu, wenn sie den Geschworenen helfen, Fragen bezüglich der Absicht, des Modus Operandi oder des Plans des Angeklagten zu verstehen. Die Geschworenen wurden über die Relevanz dieser Zeugenaussage belehrt, und die Aufhebung des Urteils ist insofern tragisch, als die Opfer dadurch einen weiteren Prozess über sich ergehen lassen müssen.»
Jeff Herman, der Anwalt für einige von Weinsteins Anklägerinnen, die Zivilklagen eingereicht haben, liess verlauten:
«Die aufgehobene Verurteilung unterstreicht die Bedeutung von Zivilklagen, die manchmal das einzige Mittel sind, um Straftäter und die Institutionen, die sie unterstützen, zu entlarven. Aufgrund von Gesetzen wie dem New York Child Victims Act werden Sexualstraftäter auch ohne strafrechtliche Verurteilung aufgedeckt.»
Lindsay Goldbrum, eine weitere Anwältin von Frauen, die Weinstein angeklagt hatten, sagte zudem: «Das heutige Urteil wirft leider einen dunklen Schatten auf ihre Tapferkeit und wird zweifellos zukünftige Opfer sexueller Übergriffe davon abhalten, sich zu melden.»
«Allen Opfern sexueller Übergriffe, die durch das heutige Urteil retraumatisiert sind – das tut mir so leid.»
Harvey Weinstein
Weinstein und sein Anwaltsteam feierten das spektakuläre Urteil. Nach Aussage seines Anwalts Arthur Aidala sei Weinstein «sehr dankbar», berichtete die «New York Times». Der 72-Jährige sitzt in einem Gefängnis im Norden des US-Bundesstaates New York ein. Aidala zufolge soll sein Mandant nun näher an die Metropole verlegt werden. Er könne zurück vor Gericht kommen und seine Sicht der Dinge darlegen:
«Er brennt darauf, seine Geschichte vom ersten Tag an zu erzählen.»
Aidala betonte, sein Team habe von Anfang an «gewusst, dass Weinstein keinen fairen Prozess bekommen hat».
Schauspielerinnen
Ashley Judd
Ashley Judd heads to her seat before the start of an event on the White House complex in Washington, Tuesday, April 23, 2024, with notable suicide prevention advocates. The White House held the event on the day they released the 2024 National Strategy for Suicide Prevention to highlight efforts to tackle the mental health crisis and beat the overdose crisis. (AP Photo/Susan Walsh) Ashley Judd
Schauspielerin Ashley Judd, die Weinstein ebenfalls der sexuellen Übergriffe bezichtigt, fand klare Worte:
«Dies ist heute ein Akt des institutionellen Verrats.»
Mira Sorvino
Mira Sorvino.
Eine Reaktion kam am Donnerstag auch von der Schauspielerin Mira Sorvino. Die Oscar-Preisträgerin («Geliebte Aphrodite») war eine der ersten Frauen, die dem US-Filmproduzenten sexuelle Belästigung vorgeworfen hatten. «Entsetzt!», schrieb die 56-Jährige auf der Plattform X (vormals Twitter). «Seit wann lassen Gerichte Beweise für Verhaltensmuster nicht zu, die frühere schlechte Taten belegen?»
Sarah Ann Masse
Die Schauspielerin, die Weinstein 2017 beschuldigte, sie sexuell missbraucht zu haben, und die eine Organisation gegründet hat, die Überlebende von sexuellem Missbrauch in Hollywood unterstützt, sagte in einer Erklärung, dass die heutige Entscheidung ein allgemeines Versagen des Justizsystems bei der Unterstützung von Überlebenden widerspiegelt.
«Die Täter erhalten eine Chance nach der anderen, in ihr ‹normales Leben› zurückzukehren, während die Ãœberlebenden weiterhin unter mangelnder Unterstützung, anhaltenden Traumata, chronischen Krankheiten, psychischen Problemen, wirtschaftlichen Schäden und verschiedenen Formen der Vergeltung leiden», sagte Masse.
lak, mit Material der Nachrichtenagenturen SDA und DPA.