20 Jahre EU-Osterweiterung: Eine EU-Erfolgsgeschichte mit Schönheitsfehlern
Überflüssiger Schlagbaum: Am Tag des Beitritts Tschechiens zur EU wird in Bayerisch-Eisenstein die letzte Schranke nach Deutschland zerlegt.
Jubelarien klingen anders. Die Geburtstagsgrüße deutscher Investoren zum 20. Jahrestag der EU-Osterweiterung am 1. Mai 2004 fallen zurückhaltend aus. Zumindest gemessen an den von den Auslandshandelskammern frisch abgefragten Lagebeurteilungen.
In Ungarn stellt sich jeder zweite Betrieb auf eine Verschlechterung ein, Besorgnisse gibt es wegen staatlicher Eingriffe in Preise und Außenhandel. In Polen ist die Stimmung nach dem Wahlsieg der EU-freundlichen Koalition positiv, auf der Liste der beliebtesten Standorte ist Polen aber im Vergleich von 16 osteuropäischen Staaten auf Platz 3 zurückgefallen, hinter Estland und Litauen. Die EU-Mitgliedschaft sei nach wie vor ein Schlüsselfaktor für Investoren, von denen 98 Prozent wiederkommen würden.
In der Slowakei sagen das noch drei von vier Befragten. Dort vergaben Unternehmen „spürbar schlechtere Noten als im Vorjahr“ bei Korruptionsbekämpfung, Rechtssicherheit, Transparenz öffentlicher Vergaben, Berechenbarkeit der Wirtschaftspolitik. Kaum besser das Stimmungsbild in der Tschechischen Republik, wo die Lage „so schlecht wie zuletzt im Jahr 2013“ ausfällt.
Grund sind nicht nur (überall) fehlende Facharbeiter, sondern auch Kostendruck und staatliche Regulierung. Jeder Sechste würde heute nicht mehr in Tschechien investieren. So miserabel war das Ergebnis zuletzt 2011, als das Land mit den Folgen der internationalen Finanzkrise rang.
Das sind Momentaufnahmen, aber in Summe beunruhigende. Sie decken Schwachstellen auf, die von den hellen makroökonomischen Erfolgszahlen einer weitgehenden Anpassung an das EU-Niveau überstrahlt werden. In der Tat sind Erfolge augenfällig.
Polen und Rumänen (in der EU seit 2007) haben ihren Wohlstand (Bruttoinlandsprodukt je Kopf) seither verdoppelt. Die Slowaken haben immerhin 75 Prozent auf das Niveau von 2004 gepackt, die Ungarn die Hälfte. Der Wirtschaftskraft der Slowenen und Tschechen wuchs zwar noch weniger rasant, doch starteten die ihren Wettlauf in Richtung EU-Durchschnitt von deutlich höherem Niveau.
„Alle Länder Ostmitteleuropas, die der EU angehören, haben mindestens 70 Prozent des BIP-je-Kopf-Durchschnitts der EU-27 erreicht“, hält die Erste Group fest. 2004 lag ihr Anteil nur bei 30 Prozent. Die Leute in den Beitrittsstaaten seien reicher geworden, viele seien besser ausgebildet. Nominale Lohnsteigerungen seien doppelt so hoch ausgefallen wie im Rest der Union. Dass die Arbeitslosigkeitsraten in den nicht mehr so „jungen“ osteuropäischen EU-Mitgliedern zu den niedrigsten der EU gehören, ist aber nicht nur Folge der lange Zeit guten Konjunktur, sondern auch die von Auswanderung und Geburtenknick.
Abgesehen von den monetären Vorteilen biete die EU harmonisierte Vorschriften und ein stabiles politisches und wirtschaftliches Umfeld für Unternehmen, sagt Erste-Osteuropa-Analyst Juraj Kotian: „Die Säulen des Binnenmarktes, freier Waren-, Dienstleistungs-, Personen- und Kapitalverkehr, kommen dem täglichen Leben zugute.“ Seine Stichworte dazu lauten Reisen, Roaming, Onlinehandel, Euronoten.
„Der boomende Handel und substanzielle Direktinvestitionen haben den anhaltenden Aufholprozess gegenüber Westeuropa begünstigt“, sagt Gunter Deuber, Chefvolkswirt der Raiffeisenbank International. Die Offenheit für grenzüberschreitenden Handel habe die Anpassung beschleunigt. Sie hat auch westeuropäischen Investoren geholfen, neue Märkte zu erschließen. Die deutsche Autoindustrie ist dafür ein Paradebeispiel, anders als deutsche Banken, die einen Markt mit mehr als 100 Millionen Einwohnern der Konkurrenz aus Österreich, Belgien und Italien überließen.
Das erreichte Einkommensniveau, das BIP pro Kopf in der Tschechischen Republik, liege nun bei 87 Prozent des EU-Schnitts, mache die weitere Anpassung nun aber immer schwieriger, sagt Deuber: Um die letzten zehn Prozentpunkte der Einkommenslücke zum EU-Durchschnitt aufzuholen, bedürfe es mehr Reformen und Investitionen. Deuber resümiert die Osterweiterung als „wirtschaftliche Erfolgsgeschichte“. Die Formulierung lässt die die EU teils lähmenden politischen Kontroversen umso schärfer hervortreten.