Wladimir Putin nannte ihn einen «Halunken» und er schlief im Kinderzimmer der Ranch von George W. Bush

wladimir putin nannte ihn einen «halunken» und er schlief im kinderzimmer der ranch von george w. bush

Christoph Heusgen war zwölf Jahre lang aussen- und sicherheitspolitischer Berater von Angela Merkel und ist seit zwei Jahren Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz. Bernd Elmenthaler / Imago

Der Mann, der wie kein zweiter für die Aussenpolitik der Ära Merkel steht und heute als Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz grosse Mühe hat, die neue Zeit zu erklären, hatte im Herbst 2005 sein Erweckungserlebnis. Es ist ein Erlebnis, das sehr viel aussagt über Christoph Heusgen.

Angela Merkel war gerade zur neuen Kanzlerin gewählt worden und der Karrierediplomat Heusgen sollte ihr Berater für Aussen- und Sicherheitspolitik werden. Eine Journalistin der «Zeit» rief ihn an und stellte ihm Fragen für ein Porträt. Der Text erschien mit der Überschrift «Merkels Welterklärer». Das war misslich für Heusgen, denn der Artikel suggerierte, dass der aussenpolitisch vermeintlich unerfahrenen künftigen Kanzlerin nun ein Mann zur Seite stünde, der ihr die Welt erklären müsse.

Merkel rief ihn an und fragte, ob er vorhabe, nun regelmässig Interviews zu geben. Zerknirscht verneinte er. Heusgen hatte vorher für den EU-Aussenbeauftragten Javier Solana gearbeitet, dessen Arbeit sehr erklärungsbedürftig war. Er brauche sich in seiner künftigen Rolle im Kanzleramt um mangelnde Aufmerksamkeit nicht zu sorgen, fuhr Merkel fort. Umso mehr seien daher Diskretion und Verschwiegenheit die Voraussetzung für eine erfolgreiche Arbeit. In den folgenden zwölf Jahren als aussen- und sicherheitspolitischer Berater von Merkel gab Heusgen kein einziges weiteres Interview. Er würde nicht noch einmal seine Person in den Mittelpunkt stellen.

Fortan entwickelte Heusgen ein Image als bescheidener, fleissiger und verbindlicher Berater im Hintergrund. Diese drei Wörter dürften ihn zutreffend charakterisieren, helfen aber zugleich, seine Eitelkeit zu kaschieren. Denn um zu wissen, dass Heusgen ein recht eitler Mensch ist, muss man nur den Einstieg in sein Buch «Führung und Verantwortung» gelesen haben. An diesem Freitag wird er gemeinsam mit UN-Generalsekretär António Guterres die 60. Münchner Sicherheitskonferenz, die bedeutendste Sicherheitstagung der westlichen Welt, eröffnen.

Heusgen soll sehr nachtragend sein

Dieses Buch aus dem vergangenen Jahr hilft, sich der Person Heusgen zu nähern. Die NZZ wollte auch mit ihm sprechen. Doch er stand für ein Gespräch nicht zur Verfügung. Dafür reden andere über ihn, Personen, die ihn seit Jahren kennen und immer wieder mit ihm zu tun haben. Sie möchten nicht namentlich genannt werden. Einer begründete das damit, dass Heusgen sehr nachtragend sein könne.

Man muss zunächst erwähnen, dass Heusgens Buch zu einem Zeitpunkt erschien, als er schon Vorsitzender der Sicherheitskonferenz war und der russische Überfall auf die Ukraine bereits ein Jahr zurücklag. Umso bemerkenswerter ist, was er zu seinem und Merkels Verhältnis zu Wladimir Putins Russland schreibt, aber dazu später mehr.

Es ist zunächst der Bucheinstieg, der, gewollt oder nicht, von einer Wichtigkeit seiner Person kündet, die er vermutlich gern hätte. «Good riddance – Ein Glück, dass wir den los sind! Das waren die Worte des chinesischen Botschafters, nachdem ich am 22. Dezember 2020 meine Abschiedsrede im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gehalten habe.» So heisst es da, und es wirkt, als schreibe da jemand, der es allein mit den Grossen der Welt aufnimmt, der den Chinesen und den Russen den Spiegel vorhält.

Er habe in seiner Rede in New York daran erinnert, wofür sich Deutschland engagiere: für die Charta der Vereinten Nationen, für das Völkerrecht und den Schutz der Menschenrechte, schreibt Heusgen, nicht ohne zu erwähnen, dass er die Kritik «gelassen» genommen habe. Man kann es Selbstüberschätzung nennen, etwas auf sich zu beziehen, das im Grunde auf Deutschland abhebt. Doch das ist nicht die einzige Eigenschaft, die Heusgen zumal in seiner heutigen Funktion bei der Münchner Sicherheitskonferenz als Schwäche ausgelegt werden kann.

Trump sei ein «irrlichternder Präsident»

So beschreibt er Donald Trump als «irrlichternden Präsidenten», was für einen Diplomaten mindestens undiplomatisch ist. Für eine Konferenz aber, die eine klare transatlantische Ausrichtung hat, könnten solche Einlassungen auf mittlere Sicht sehr nachteilig sein. Auch einen gewissen belehrenden Habitus kann man an Heusgen beobachten. Er äussert sich zum Beispiel in der Bemerkung, die Bundesregierung müsse noch lernen, die vom Kanzler verkündete Zeitenwende konsequent umzusetzen, und sie müsse sich bewusst werden, dass Führung und Verantwortung nicht heissen könne, immer nur als Letzter das Richtige zu tun.

Dieser Ton klingt umso erstaunlicher, wenn man Heusgens Bilanz aus zwölf Jahren als Berater von Merkel betrachtet. Die Intensität der Ereignisse jener Zeit ist sicher nicht vergleichbar mit den heutigen zwei Kriegen in der Ukraine und im Nahen Osten. Doch auch sie hatten es in sich, aussen- und sicherheitspolitisch allerdings sticht vor allem zweierlei hervor: die Russland-Politik einschliesslich dem Abkommen von Minsk und die Vernachlässigung der Bundeswehr. Es ist jene Politik, die mit in die Malaise geführt hat, in der heute die Ukraine, Deutschland und der demokratische Westen stecken. Und Heusgen ist ihr Repräsentant.

Welche Rolle er selbst dabei spielte, lässt Heusgen offen. Er spricht in seinem Buch davon, dass es Merkel war, die 2015 in Minsk die Verhandlungen mit Putin, dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko und dem französischen Präsidenten François Hollande geführt habe. Im Wesentlichen vereinbarten die vier Parteien damals einen Waffenstillstand und den Abzug schwerer Waffen aus der Ostukraine. Doch er, Heusgen, war es, der mit den drei anderen aussenpolitischen Beratern die Vorarbeit an dem Abkommen geleistet hatte. Vielleicht betont er gerade deshalb besonders, dass die militärische Situation für die Ukraine damals verzweifelt gewesen sei. Es wäre demnach für Putin ein Leichtes gewesen, bis nach Kiew vorzudringen.

Es mutet merkwürdig an, wie Heusgen auf die Verhandlungen in Minsk schaut. Ihm seien «im Rückblick» Bilder von engagiert gestikulierenden Menschen im Gedächtnis geblieben, «die um Halbsätze rangen, die Bundeskanzlerin mittendrin», formuliert er etwa. Oder das Bild von Putin und Poroschenko, die erschöpft auf Stühlen gesessen hätten «und anscheinend miteinander plauderten». Oder das Bild des mitten in dem relativ kleinen Raum befindlichen grossen runden Tisches, der sich unter den Speisen gebogen habe, die regelmässig immer wieder in den Raum gebracht worden seien. Das klingt ein bisschen wie die Beschreibung nächtlicher Verhandlungen der Bahn mit der Lokführergewerkschaft.

Zufrieden mit den Verhandlungen von Minsk

In seinem Fazit der Minsker Verhandlungen beschreibt Heusgen sein damaliges Gefühl: «Wir verliessen Minsk zufrieden, ein Ende des Krieges war absehbar, und es bestanden gute Aussichten darauf, den Konflikt vom Schlachtfeld an den Verhandlungstisch zu verlagern». Doch schon damals hatten die Ukrainer gesagt, Putin sei nicht zu trauen, schon damals hatten sie die deutsche Regierung vor Naivität im Umgang mit dem russischen Präsidenten gewarnt.

Merkel aber baute auf wirtschaftliche Verflechtung, um Putin einzuhegen, und hielt an der Gas-Pipeline Nord Stream 2 fest. Er habe dem Projekt «sehr skeptisch» gegenüber gestanden, erklärt Heusgen, habe sich aber damit bei der Kanzlerin (und gegen den damaligen sozialdemokratischen Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel; Anm. d. Red.) nicht durchsetzen können. Dass es geopolitische Fehlentscheidungen westlicher Politiker wie die zum Bau der Gasleitung in der Ostsee oder auch der überstürzte Abzug der Truppen aus Afghanistan im Jahr 2021 waren, die Putin als Schwäche der demokratischen Staaten auslegte, das ist Heusgen durchaus bewusst.

Davon zeugen zumindest einige Aussagen nach der Übernahme des Vorsitzes der Münchner Sicherheitskonferenz am 20. Februar 2022. Heusgen sprach etwa davon, dass die Ukraine in Nato und EU aufgenommen werden müsse, was Merkel und auch er als ihr Berater immer abgelehnt hatten. Mehrfach distanzierte er sich von früheren Ansichten. Heusgen schien seine Russland-Romantik seit dem 24. Februar 2022 abgelegt zu haben. Zugleich tönt es aber in seinem Buch, als bedauere er das.

So berichtet er von «nichtoffiziellen Abendessen in kleinstem Kreis und gemütlichem Ambiente», zu denen sich Putin und Merkel immer wieder verabredet hätten, in denen es «erst in zweiter Linie um Politik», in erster aber um den Austausch zweier offenbar passionierter Hobbyköche gegangen sei. In den oftmals «offen geführten» Gesprächen habe ihn Putin einmal als «Halunke» bezeichnet, als ihn Heusgen auf die russischen Defizite bei der Implementierung von «Minsk» hingewiesen habe.

Es brauche «eine Art Minsker Abkommen»

Als Heusgen an diesem Montag zur Pressekonferenz nach Berlin gekommen war, um über Programm und Gäste der am Freitag in München beginnenden Tagung zu sprechen, musste er sich wieder kritischen Fragen über seine Haltung zum russischen Krieg in der Ukraine stellen. Sie waren aufgekommen, weil er sich als Vorsitzender der Sicherheitskonferenz nicht mehr in Diskretion und Verschwiegenheit üben muss, wie einst bei Merkel, sondern als Gesicht einer der wichtigsten Sicherheitskonferenzen der Welt gilt und Interviews gibt.

Es war Ende Januar in der ARD-Talksendung «Maischberger», in der Heusgen, auf ein Ende des Kriegs in der Ukraine angesprochen, äusserte, letztlich werde «so etwas wie Minsk» herauskommen. Noch sei dieser Zeitpunkt aber nicht gekommen, da Putin, wie vor gut neun Jahren in der weissrussischen Hauptstadt, auf einem Regierungswechsel in Kiew bestehe. Als Heusgen nun vor den versammelten Hauptstadt-Journalisten in dunkelblauem Anzug erklären soll, warum er Verhandlungen mit Putin erwägen würde, sagt er, es liege ihm fern, die Medien zu korrigieren, aber seine Äusserungen im Fernsehen seien verkürzt dargestellt worden.

Er habe gesagt, bevor nicht Wladimir Putin Präsident Wolodimir Selenski als Vertreter der Ukraine anerkenne, könne er nicht sehen, wie es substanzielle Verhandlungen geben solle. Zweitens habe er darauf verwiesen, dass es «eine Art Minsker Abkommen» brauche. Minsk stehe schliesslich für einen Waffenstillstand, dafür, dass man vertrauensbildende Massnahmen ergreife, etwa den Rückzug schwerer Waffen, für eine Beobachtermission, für Aussichten auf Wahlen, für eine politische Perspektive, die darauf ausgelegt sei, dass die Ukraine ihre Gebiete zurückbekomme.

Das alles klingt, als sei es nicht bis zum Ende überlegt, und das verwundert. Denn Heusgen, der mit einer Diplomatin verheiratet ist und vier Kinder hat, redet mitunter so langsam, dass es wirkt, als wöge er jedes Wort besonders, bevor er es ausspricht. Als Repräsentant der Sicherheitskonferenz ein neues «Minsk» ins Gespräch zu bringen, dürfte nicht nur die Ukrainer vor den Kopf schlagen. Das Abkommen hatte ihnen zwar Zeit verschafft, um die Verteidigung gegen einen neuen russischen Angriff vorzubereiten. Vor allem ist «Minsk» für sie aber mit dem Raub weiter Teile des Donbass und mit einem anhaltenden Militäreinsatz durch Russland verbunden.

Heusgen hat seine Rolle noch nicht gefunden

Der 68-jährige gebürtige Düsseldorfer schreibt selbst in seinem Buch, dass ein Abkommen mit Putin das Papier nicht wert wäre, auf das er seine Unterschrift setze. Wer Putin jetzt helfe, das Gesicht zu wahren, würde sich mitschuldig an seinem nächsten Überfall auf ein Nachbarland machen, erklärt er. Putin müsse besser früher als später für seine Verbrechen zur Verantwortung gezogen werden.

Warum Heusgen «Minsk» dann dennoch ein paar Tage vor der Sicherheitskonferenz aufs Tapet bringt, ist rätselhaft. Vielleicht hat er seine Rolle als Vorsitzender der gerade in diesen Zeiten so wichtigen Tagung noch nicht gefunden. Vielleicht hat er auch die Zeitenwende noch nicht richtig vollzogen. Er wurde von Merkel in Absprache mit Scholz auf den Posten des Chairman der Sicherheitskonferenz gehoben, als sie kurz vor ihrem Abschied aus dem Kanzleramt stand und ein Nachfolger für den «ewigen Vorsitzenden» Wolfgang Ischinger bestimmt werden musste.

Vielleicht gibt es aber auch hinter den Kulissen Bestrebungen, von denen kaum jemand etwas weiss. Historische Entscheidungen wurden auch schon an der Münchner Sicherheitskonferenz getroffen. Wie unkompliziert müssen da doch die Zeiten gewesen sein, von denen Heusgen in seinem Buch auch berichtet. So habe er mal bei einem Besuch Merkels auf der Ranch von George W. Bush in Texas in einem Zimmer der beiden Töchter des US-Präsidenten geschlafen. Wie idyllisch die Zeiten doch mal waren.

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