Kulturstaatsministerin Grütters im Mai 2020
Wer einem völlig ahnungslosen Fremden, also zum Beispiel einem Amerikaner, das Wesen der deutschen Subventionskultur erklären wollte, der schaffte das jetzt, da der Deutschlandfunk seine Recherchen zum Verbleib der Corona-Hilfen aus dem Kulturstaatsministerium veröffentlicht hat, mit nur zwei Sätzen: Es ist deutsche Subventionskultur, wenn die mächtige und reiche Stiftung Preußischer Kulturbesitz einen Antrag auf Corona-Hilfen einreicht. Und wenn es Mitglieder dieser Stiftung sind, die diesen Antrag dann selbst bearbeiten.
Erst eine, dann noch eine zweite Milliarde hat Monika Grütters, damals Kulturstaatsministerin, erkämpft und bereitgestellt, damit dieses Geld die Schäden ausgleiche oder jedenfalls mindere, welche dem Kulturbetrieb wegen der monatelangen Schließung sämtlicher Auftritts- und Ausstellungsorte drohten.
Künstler aller Sparten bewarben sich, so gut sie konnten. Und waren doch zutiefst verdrossen über das Projekt. Erstens, so beschrieb das damals fast jeder, mit dem man sprach, erstens ging es mehr um Institutionen und Vereine, um die sogenannte kulturelle Infrastruktur also. Und weniger um die Malerinnen oder Musiker, denen die Politik eine große soziale Resilienz zutraute: Sie würden in ihren Dachstuben ein paar Monate der Armut schon überstehen. Dass auch ein Pianist eine Wohnung abzubezahlen habe, so sahen es die Pianisten, war in diesem Modell nicht vorgesehen.
Die Herrschaft der Angestellten
Und zweitens, schimpften die, die ihre Anträge eingereicht hatten, hieß das ganze Projekt „Neustart Kultur“; es ging also um den Anspruch, etwas Neues zu erfinden oder mindestens das Alte zu digitalisieren. Dass einer einfach Trompete spielen und dafür Eintritt nehmen oder Bilder malen und die dann in seiner Galerie präsentieren wollte, das war nicht innovativ genug. Sascha Lobo, in seiner Kolumne für „Spiegel online“, vermutete, dass in Deutschland die Angestellten an der Herrschaft seien, weshalb der freie Künstler hier nicht als gefährdet, sondern als gefährlich wahrgenommen werde.
Das Rechercheteam von Deutschlandfunk Kultur, das Tausende von Antragsvorgängen geprüft, unendlich viele Daten gesammelt und miteinander verknüpft hat, bestätigt jetzt diesen Verdacht – auch wenn die Autoren des Berichts daran offenbar nichts Anstößiges finden: Mehr als zwei Drittel des Geldes gingen an Kultureinrichtungen und Unternehmen; nur 28 Prozent wurden direkt an Künstler oder Künstlergruppen ausgezahlt.
Das allerdings liegt wohl, wie auch die meisten anderen Fehler, Doppelbuchungen und Unstimmigkeiten, weniger an den bösen Absichten irgendwelcher Akteure. Sondern vielmehr an der für Einzelpersonen fast undurchdringlichen Kompliziertheit des Verfahrens, die wiederum ihre Ursache im deutschen Kulturföderalismus hatte. Die Kulturhoheit der Länder ist unantastbar; der Bund hätte geradezu verfassungsfeindlich gehandelt, wenn er seine Fördergelder direkt an die Künstler ausgezahlt hätte.
Die Verbesserung des Menschen durch die Künste
Das Geld musste also weitergereicht werden, an mehr als vierzig Organisationen, die dann Anträge bearbeiteten und Mittel verteilten. Und auch wenn der Bericht einige Veranstalter nennt, die sehr geschickt beim Geldeinsammeln waren, auch wenn er suggeriert, dass die Firma Eventim, die Veranstaltungen organisiert und Tickets vertreibt, womöglich ein paar Millionen Euro mehr bekommen hat, als sie unbedingt gebraucht hätte, bleibt doch das Erstaunen darüber, dass die Korruptionsquote hier nicht besonders hoch gewesen ist: dass also in den Verästelung des Systems nicht viel mehr Millionen hängen geblieben und dann verschwunden sind. Man möchte fast den schönen Gedanken denken, dass Leute, die sich mit den Künsten beschäftigen, keine Gauner sind.
Dass von den zwei Milliarden nur 1,66 abgerufen worden sind, wie der Deutschlandfunk ermittelt hat, liegt wohl an der Kompliziertheit des Verfahrens. Als manche potentiellen Empfänger so weit gewesen wären, war Corona schon wieder vorbei. Bleibt der Umstand, dass die Stiftung Preußischer Kulturbesitz in einer Jury saß, in der auch über ihre eigenen Projekte entschieden wurde, wobei sich aber die entsprechende Jurorin enthalten habe – so wie der größte Posten in der Bilanz solche Projekte sind, die ohnehin von der Kulturstaatsministerin gefördert wurden.
Dass die deutsche Subventionskultur ein Selbstbedienungsapparat sei, ist also ein Verdacht, den man weiter haben darf. In diesem Fall haben aber Monika Grütters’ Milliarden mehr Nutzen als Schaden bewirkt.
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