Die albanische Einöde, in die Italien Asylwerber abschieben will
Auf dem Brachland in der Nähe eines Bergwerks bei Gjader soll ein Asylcamp für tausende Menschen entstehen.
Hummeln brummen über den Sträuchern, es riecht schon nach den Feigen. Noch deutet jedoch kaum etwas darauf hin, dass hier ein Camp für 3000 Migranten errichtet werden soll. Die Erde hinter den Drahtrollen, auf denen ein Schild mit der Aufschrift "Militärzone" prangt, wurde aufgewühlt und danach platt gemacht. Doch die Baufahrzeuge stehen nun wieder still. Ein paar Kühe grasen gemütlich, und Ziegen suchen bei den verbarrikadierten Tunneleingängen, die hier in den Berg führen, nach Futter. Drinnen im Berg befindet sich ein großes Bunkersystem, in dem in kommunistischer Zeit etwa 50 chinesische Kampfjets aufbewahrt wurden.
Hier auf dieser Militärbasis, neben dem 2000 Einwohner zählenden Dorf Gjader in der Nähe der nordalbanischen Stadt Lezha, sollen in den kommenden Monaten Gebäude errichtet werden. Bootsflüchtlinge sollen aus Italien über die Adria gebracht werden. Das Lager wird nicht nur vom italienischen Staat bezahlt, es soll hier auch italienisches Recht gelten. Der albanische Staat hat nichts mehr zu melden – etwas, was Verfassungsexperten für gesetzwidrig halten. Dennoch hat das albanische Verfassungsgericht dem Vorhaben zugestimmt. Insbesondere der Umstand, dass die Migranten und Migrantinnen das Lager nicht werden verlassen dürfen – möglicherweise monatelang –, sorgt für Kritik. Denn so eine massive Freiheitseinschränkung gab es bislang noch nie im demokratischen Europa; sie widerspricht der Menschenrechtskonvention.
Im Dorf Gjader denken viele, dass hier eine Art Gefängnis errichtet werden wird. Niemand weiß, wer genau kommen soll – aber es wird sich wohl nicht um Familien handeln, weil insbesondere Minderjährigen besonderer Schutz gewährt werden muss. Die Bewohner des katholischen Dorfs mit seiner hübschen Pfarrkirche und den liebevoll gestalteten Gräbern auf dem Friedhof haben Sorge, dass die Menschen, die hier wohl wie Häftlinge behandelt werden, psychisch erkranken könnten.
"Sozialexperiment"
Die 40-jährige Mariana Ndoci, die im Dorfcafé ein paar Besucher bedient, glaubt, dass es sich bei dem italienischen Vorhaben insgesamt um ein "Sozialexperiment" handelt. Man wolle herausfinden, wie und ob so etwas überhaupt funktioniere. "Wenn man Leute so lange gefangen hält, dann werden sie jedoch aggressiv. Was ist, wenn einige versuchen, aus dem Camp auszubrechen?", fragt sie. Ndoci und andere Dorfbewohner kritisieren, dass sie nicht einmal gefragt worden seien, ob sie mit dem italienischen Camp in Gjader einverstanden seien. Man sei von der eigenen Regierung einfach vor vollendete Tatsachen gestellt worden.
Andere Besucher im Café stimmen zu. Es sei auch komisch, dass Italien dem albanischen Staat nicht einmal etwas bezahle. Das mache stutzig. Tatsächlich haben sich italienischen Behörden bloß verpflichtet, 16,5 Millionen Euro als eine Art Vorschuss auf ein Sonderkonto der albanischen Staatskasse zu überweisen – davon sollen die Ausgaben bezahlt werden. Manche Leute in Gjader vermuten, dass noch etwas anderes hinter dem Deal stecken dürfte. Der Friseur Armando Hamolli meint, die albanische Regierung mache das jedenfalls nur aus Eigeninteresse. Allerdings rechnet er damit, dass zumindest Jobs für die lokale Bevölkerung geschaffen werden. Schließlich werde man im Camp eine Küche, eine Krankenstation und Leute brauchen, die die Gebäude instand halten.
Maximal 3000 Personen
Laut der Vereinbarung mit Italien darf "die Gesamtzahl der sich gemäß diesem Protokoll gleichzeitig auf albanischem Territorium aufhaltenden Migranten 3000 Menschen nicht überschreiten". Fraglich ist, ob damit die Abschreckungswirkung, die Italien offenbar will, erreicht werden wird. Denn weshalb sollten tatsächlich weniger Migranten und Migrantinnen aus Afrika übers Mittelmeer nach Italien kommen, wenn die Wahrscheinlichkeit, nach Albanien statt in die EU zu gelangen, sehr gering bleibt? Die Klärung der Schutzbedürftigkeit der Migranten in Albanien kann nämlich Monate dauern, und in der Zwischenzeit können wieder Zehntausende in Italien anlanden. Rechtsanwälte und internationale Organisationen, die sich um Asylwerber kümmern, sowie EU-Agenturen sollen laut der Vereinbarung Zugang zu dem Camp bekommen.
Das Protokoll zwischen Italien und Albanien, das im März in Kraft trat, sieht jedoch zahlreiche Ausnahmen für die italienischen Behörden vor: Für die Errichtung der Gebäude im Camp braucht es keine Baugenehmigung, die Bauten sind von Steuern und Zöllen befreit. Die Italiener, die im Camp beschäftigt werden, müssen auch keine Einkommensteuer und Sozialversicherungsbeiträge in Albanien bezahlen. Es gibt keinerlei Währungsbeschränkungen oder Kontrollen, wie viel Euro sie nach Albanien bringen dürfen. Das italienische Personal braucht auch keine Visa. Wer mehr als die zulässigen 90 Tage in Albanien bleibt, dem wird "auf einfache Anfrage kostenlos ein Ausweisdokument ('Einzelgenehmigung') ausgestellt", so das Protokoll.
Das Protokoll gilt für die nächsten fünf Jahre – wenn allerdings keine Partei Einspruch erhebt, wird es "stillschweigend um weitere fünf Jahre verlängert". Im Hafen von Shengjin unweit von Gjader wird bereits eifrig an einem Komplex gebaut, in dem die Migranten, bevor sie ins eigentliche Lager kommen, einen ersten Check durchlaufen sollen. Man rechnet damit, dass das Lager selbst erst im Oktober fertig gebaut sein wird. (Adelheid Wölfl aus Gjader, Albanien, 19.5.2024)