„Erhebliche Verzerrungseffekte“ - Lauterbachs Bundes-Klink-Atlas enthält offenbar falsche Angaben und Berechnungen
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach will zur Suizidprävention eine neue Notrufnummer einrichten lassen. Kay Nietfeld/dpa
Die Bayerische Krankenhausgesellschaft berichtet von Beschwerden aus Kliniken und unerklärlichen Falschangaben.
Der von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach vorgestellte Bundes-Klinik-Atlas enthält nach Angaben von Krankenhausträgern offenbar zahlreiche falsche und irreführende Angaben. „Wir sind bei ersten Testklicks kurz nach Freischaltung des Portals auf einige nicht plausible Angaben gestoßen, die wir uns nicht erklären können“, sagte der Geschäftsführer der Bayerischen Krankenhausgesellschaft Roland Engehausen der „Augsburger Allgemeinen“: „Und wir hören auch von Krankenhäusern nicht nur aus Bayern von ähnlichen Fällen“, erklärte er.
Auch die Zeitung berichtet von einer Brustkrebsbehandlung spezialisierten kleineren bayerischen Klinik, für die das Portal nur zehn Operationen angebe, obwohl sie im genannten Zeitraum über 100 durchgeführt habe. Während die Klinik im AOK-Gesundheitsnavigator mit der korrekten Zahl der Behandlungen sehr gute Werte bei Qualität und Weiterempfehlungsraten von Patientinnen erziele, erwecke das staatliche Informationsportal den Eindruck mangelnder Erfahrung.
Keine Chance auf Tests vorab
„Offenbar gibt es innerhalb des Systems des Bundes-Klinik-Atlas Fehler die Daten aus den Krankenhäusern korrekt zusammenzurechnen, denn die Fallzahlen liegen alle offiziell vor“, erklärte Geschäftsführer Engehausen. Die Datenanalyse von rund 17 Millionen Behandlungsfällen in deutschen Klinken sei jedoch ein komplexes System. Engehausen kritisierte, dass das Internetportal ohne vorherige Prüfungsmöglichkeiten der Klinikseite live geschaltet worden sei. „Die Krankenhäuser hatten leider keine Chance den Bundes-Klinik-Atlas vorher zu testen“, betonte er.
Dies liege offensichtlich am Streit zwischen Lauterbach und den Bundesländern um die Krankenhausreform. „Bei jedem anderen Bundesgesundheitsminister hätte die Deutsche Krankenhausgesellschaft ein Portal solcher Tragweite mindestens einen Monat intensiv auf mögliche Fehler und Unklarheiten durchtesten können, bevor es online geht“, kritisierte Engehausen.
Auch unabhängig der Schwachstellen sei der Start des neuen Angebots enttäuschend: „Angesichts der großen Ankündigungen ist das, was präsentiert wurde, überraschend dürftig“, erklärte Engehausen „Transparenz ist ausgesprochen wichtig, deshalb veröffentlichen die Krankenhäuser nicht nur tausend Seiten starke Qualitätsberichte, sondern betreiben auch für die allgemeine Öffentlichkeit ein eigenes Informationsportal“, betonte er mit Hinweis auf das Deutsche Krankenhausverzeichnis, das auch Angaben über Komplikationsraten enthält.
„Einmal mehr stiftet Karl Lauterbach Verwirrung und Unsicherheit"
Kritik kam nach dem Start des Bundes-Klinik-Atlas auch von der Union. „Einmal mehr stiftet Karl Lauterbach Verwirrung und Unsicherheit über die Krankenhausreform insgesamt“, sagte der CDU-Gesundheitsexperte Tino Sorge der „Augsburger Allgemeinen“. „Die Art und Weise und insbesondere der Zeitpunkt, wie der Klinik-Atlas jetzt auf den Weg gebracht wird, ist absolut ungeeignet, um Vertrauen zu schaffen“, kritisierte er. Auch unabhängig möglicher Fehler, sei das Portal aus Sicht der Patienten eine Enttäuschung: „Was Karl Lauterbach jetzt veröffentlicht, ist größtenteils nichts Neues“, sagte Sorge. Die präsentierten Angaben lägen deutlich hinter Informations-Angeboten der Deutschen Krankenhausgesellschaft oder verschiedener Krankenkassen zurück. „Dort sind auch Komplikationsraten und viele andere Daten aufgeführt“, erklärte der CDU-Politiker.
Gesundheitspolitisch sei das Internetangebot des Bundes sogar bedenklich: „Der Klinik-Atlas könnte erhebliche Verzerrungseffekte mit sich bringen: Kliniken, die besonders viele schwere Fälle behandeln, schneiden bei der Komplikationsrate schlechter ab – obwohl sie qualitativ nicht schlechter sind, sondern womöglich bloß besonders viele Hochbetagte und Risiko-Patienten operieren“, sagte der CDU-Gesundheitsexperte. „Das könnte in Zukunft sogar dazu führen, dass riskante Eingriffe in manchen Häusern abgelehnt werden – aus Angst vor Komplikationen und schlechten Rankings.“
Auch der bayerische CSU-Landtagsfraktionschef Klaus Holetschek warf dem Bundesgesundheitsminister ein fragwürdiges Verhalten vor: „Der Klinikatlas von Karl Lauterbach ist von minderer Qualität und verschwendetes Steuergeld“, sagte der frühere bayerische Gesundheitsminister der Zeitung. „Für die Patienten ist er verwirrend und bringt keinerlei Mehrwert, weil die Daten längst anderweitig verfügbar sind“, kritisierte Holetschek. „Der Bundesgesundheitsminister hätte gut daran getan, stattdessen die lange versprochene Auswirkungsanalyse seiner Krankenhausreform auf den Tisch zu legen, um zu zeigen, was diese gerade auch für die ländlichen Räume bedeutet“, betonte der CSU-Politiker.