Furiosa beim Filmfest Cannes: Frauen beim Hauen zuschauen

furiosa beim filmfest cannes: frauen beim hauen zuschauen

Anya Taylor-Joy als Furiosa

Glaubt man T. S. Eliot, geht die Welt nicht mit einem Knall unter, sondern wimmernd. George Miller widerspricht dem seit mittlerweile fünfundvierzig Jahren mit seiner „Mad Max“-Reihe. Im fünften Teil, „Furiosa“, der am Mittwochabend in Cannes außer Konkurrenz seine Premiere feierte, poltern Trommeln und heulen die Verbrennungsmotoren schon auf, als die Leinwand noch schwarz ist. Pandemien, Wasserknappheit, Atomkriege haben das Land zerstört, übrig ist eine Wüste, in der die letzten Überlebenden um die knappen Ressourcen kämpfen. Einen Rest Zivilisation hält eine Oasen-Enklave aufrecht, die Wasser aus einer Quelle und Strom durch Windräder bezieht. Das Mädchen Furiosa wagt sich zu weit von der Siedlung fort, wird entführt und muss ansehen, wie die Motorradgang des brutalen Dementus ihre Mutter ermordet.

Chris Hemsworth gibt den Anführer dieser Bande als skrupellosen Verrückten, der die junge Frau behält, um aus ihrem Blut Leibspeisen zu kochen und ihrem Gedächtnis irgendwann den Weg in die Oase zu entlocken. Furiosa schweigt und lernt zu überleben. Anya Taylor-Joy, die den Part der jetzt Erwachsenen nach rund fünfundvierzig Minuten übernimmt, hatte von Miller die Anweisung bekommen, nur mit den Augen zu spielen. Das tut sie, und da sie bis zum fünfzehnten Lebensjahr fürs Ballett trainierte, agiert sie den Rest ihrer Emotionen mittels Körperhaltungen aus.

Bei einem Fluchtversuch versteckt sie sich unter einem Tanklastwagen und klettert wie ein Eichhörnchen über Seile, Streben und Metallvorsprünge, während Angreifern auf Motorrädern den Transporter mit allerlei Explosivem bombardieren. Solche Szenen sind Millers Spezialität, und wer sich fragt, wie man die Stunts aus den Vorgängerfilmen noch übertreffen könnte, darf sich auf Segelflieger freuen, die von Truckladeflächen starten, auf Motorradfahrer, die Fallschirme plötzlich aus ihren Sitzen heben, und Männer, die am Seil hinter einem Zweirad surfen – natürlich mit Waffe in der Hand. Darüber hinaus malt Miller die Totaldekadenz in den fünf Kapiteln, in die er den zweieinhalbstündigen Film unterteilt, genüsslich mit Details aus: Warlords führen sinnlose Kriege (eine Erzählerstimme zieht eine Linie von den Rosenkriegen bis ins Wasteland), Frauen sind zu Gebärmaschinen degradiert und in der Figur des „History Man“ ist mit zynischer Klarheit vorweggenommen, wohin der Verfall der Sprache führen kann. Der Gelehrte dient als Lexikon, das Wörter wie „Überfluss“ erklären muss, die niemand mehr kennt.

furiosa beim filmfest cannes: frauen beim hauen zuschauen

Judith Godrèche (Mitte, vorn) mit ihrem Filmteam auf dem roten Teppich in Cannes.

Ein Filmstar alter Schule

Es sei der blutigste Film, in dem sie bislang mitgespielt habe, sagte Taylor-Joy Journalisten. Eine starke Aussage, immerhin hatte die Achtundzwanzigjährige ihren Durchbruch 2015 mit dem Horrorfilm „The Witch“. Ein Jahr später bot M. Night Shyamalan ihr die Hauptrolle im Psychothriller „Split“ an. Ihre Karriere kann man seitdem nur als steil bezeichnen. Der britische Regisseur Edgar Wright, der mit ihr „Last Night in Soho“ drehte, hatte sie Miller für die Furiosa-Rolle empfohlen. Wright bezeichnet sie als „Filmstar der alten Schule“, vom Kaliber Marlene Dietrichs; sie könne komplett in der Rolle verschwinden und dennoch die Kamera im Kopf behalten.

Schwarze Schminke vom Scheitel bis unter die Augen unterstützt die Blicklenkung, zeigt die Wandlung vom Kind zum Racheengel als feurigen Blitz in der Dunkelheit. Kaum zwanzig Sätze gesteht der Film Furiosa zu. Einen Schrei, in dem sich alles entladen darf, hat die Darstellerin hart erkämpft. So ging es im Vorgängerfilm „Fury Road“ schon Charlize Theron, die eine ältere Version derselben Figur spielte; auch sie musste Miller davon überzeugen, dass der stoischen Frau ein Moment des Kontrollverlusts gestattet sein muss. In beiden Fällen hatten die Schauspielerinnen Recht, und Miller tat gut daran, auf sie zu hören.

Eine Kriegsbemalung anderer Art legt Liane in „Diamant Brut“ von Agathe Riedinger (dem Debütfilm im Wettbewerb) auf. Die junge Frau strebt eine Karriere als Influencerin an. Als sich eine Castingagentin für ein Reality-TV-Format bei ihr meldet, sehen wir sie vorm Spiegel. Helle und dunkle Streifen ziehen sich über Kinn, Wangen, Stirn. Mit energischen Bewegungen arbeitet sie Concealer, Bronzer und anderes Make-up in die Haut ein, wie Kim Kardashian es Millionen junger Frauen gelehrt hat. Das umwerfende Ergebnis hält Liane für ihre Follower fest. Sie glaubt fest an den Traum von Ruhm. Nur dann hat man Macht und Geld, erklärt sie ihren Freundinnen, die in Nagelstudios arbeiten und sich die Nächte in Clubs um die Ohren schlagen, um dem tristen Alltag zu entkommen. Liane will mehr. Riedingers Arbeit erinnert an Andrea Arnolds „Fish Tank“ und Sean Bakers „Tangerine“. Ihr gelingt nicht nur eine Sozialstudie französischer Regionen, die wirtschaftlich längst abgehängt sind. Sie nimmt Themen wieder auf, die sie bereits in ihren Kurz­filmen umtrieben: Schönheitswahn unter jungen Frauen, Einfluss von Social Media aufs Selbstbewusstsein. Ihre Protagonistin zieht ihre Kraft aus schierer Wut, und nicht selten fürchtet man um sie, denn sie landet in Situationen, denen sie nicht gewachsen scheint und dann doch immer um ein Haar entkommt – eine Heldin, so überzeugend wie dieser Erstlingsfilm.

Und nicht nur auf der Leinwand dominieren in Cannes jetzt die Frauen. Am Strand, wo jede Nacht Filmklassiker laufen, schlängelten sich am Mittwochabend die Gäste bis auf die Promenade, um Judith Godrèches Kurzfilm „Moi aussi“ (Me too) zu sehen. Die Regisseurin hatte in Frankreich für Aufsehen gesorgt, weil sie zwei Filmemacher der sexuellen Belästigung beschuldigte. Beide stritten die Vorwürfe ab. Godrèche eröffnete eine E-Mail­adresse für potentielle Opfer. Innerhalb von zwei Wochen gingen mehr als fünftausend Mails bei ihr ein. Im Kurzfilm hat sie die Frauen und Männer in den Pariser Straßen versammelt. Sie stehen stumm, halten sich die Hände vor den Mund – eine Geste, die Godrèche mit ihrem Filmteam beim Gang über den roten Teppich während der „Furiosa“-Premiere replizierte – bis ein junges Mädchen zwischen ihnen hindurchtanzt. Sie leiht den Stummen ihr Ohr, und es ergießt sich ein Klangteppich von Zeugenaussagen: von Misshandlungen durch Lehrer, Brüder, Stiefväter, Verlobte oder Priester ist die Rede. Dann übernehmen Geigen die Tonebene und die Menschen halten sich an den Händen, strecken sie gemeinsam in die Luft. Am Strand strich sich mancher Tränen aus den Augen, aber der Grund war diesmal, anders als oft im Kino, nicht Kitsch, sondern Einsicht.

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