Fake-Dichter narrt Nationalisten: Patriotische russische Gedichte entpuppen sich als Nazi-Lyrik
Gedichte zu Ehren Putins oder als Lob der Soldaten: Nationalistische, kriegsverherrlichende Werke stehen in Russland hoch im Kurs. Das galt auch für die Lyrik von Gennadi Rakitin. Nun kommt heraus: Er war erfunden, seine Gedichte Übersetzungen aus dem Nationalsozialismus.
Nach Angaben der Aktivisten wurden die Porträts von Gennadi Ritkin mit KI erstellt.
Der Überfall auf die Ukraine hat in Russland eine ganze Welle an patriotischer Propaganda mit sich gebracht. Der Buchstabe "Z", der an Militärfahrzeugen einiger Einheiten prangte, wurde schnell zum Symbol für den Angriffskrieg auf das Nachbarland. Begleitet wurde dieser nicht nur von geschichtsverfälschenden Reden Putins. Auch viele normale Bürgerinnen und Bürger präsentieren sich seit mehr als zwei Jahren besonders nationalistisch.
Das betrifft auch Künstler und Dichter, die sich der Kriegsbegeisterung gern anschließen. Einer von ihnen schien Gennadi Rakitin zu sein, ein russischer Dichter, geboren 1975, der sich auf dem Netzwerk VKontakte mit patriotischen Gedichten hervortat. Mit Erfolg: Zu seiner schnell wachsenden Zahl an Followern zählten bald auch hundert Abgeordnete der Duma und Dutzende Senatoren. Rakitin wurde gefeiert.
Seit Sommer 2023 veröffentlichte er insgesamt 18 Gedichte, die oft auch weiterverbreitet wurden. Mal geht es um den großen Anführer Putin, mal um die Begeisterung für die Spezialoperation - wie der Kreml den Angriffskrieg nennt. Die Gedichte heißen etwa "Leader" (Führer), oder "Namenloser Soldat der PMC" - gemeint sind damit Söldner der Wagner-Gruppe.
Nun aber ist Schluss mit den Gedichten, denn: Rakitin gibt es nicht. Es gab ihn nie. Er ist eine Erfindung mehrerer Anti-Kriegsaktivisten. Die haben ihrer Kunstfigur nicht nur ein Studium an der berühmten Lomonossow-Universität in Moskau angedichtet und einen Beruf als Schulleiter. Sie haben auch seinen Namen geklaut, aus "Die Brüder Karamasow" von Fjodor Dostojewski. Und sie haben Porträts mithilfe Künstlicher Intelligenz erstellt. Ein Mann mit Falten im Gesicht, angegrautem Haar, Kinnbart, in wilder Natur stehend - so stellen sie sich wohl einen besonders patriotischen Dichter vor.
Aus dem "Führer" wurde der "Leader"
Der eigentliche Clou ist jedoch ein anderer: Die von Rakitin veröffentlichten Gedichte gibt es wirklich. Nur wurden sie ursprünglich auf Deutsch geschrieben, in den 30er- und 40er-Jahren. Es sind Werke nationalsozialistischer Dichter wie Eberhard Möller und Herybert Menzel. Die Aktivisten haben sie ins Russische übersetzt und leicht angepasst. Aus dem "Führer" wurde der "Leader", aus einem SA-Mann ein Wagner-Söldner.
Kriegs-Museen bereiten russische Schüler auf frühen Tod vorSie hätten patriotische Gedichtsammlungen gelesen und darin "den blanken Nazismus" entdeckt, teilen die Aktivisten dem "Guardian" in einem schriftlichen Interview mit. "Wir hatten den Verdacht, dass sie in Nazi-Deutschland wahrscheinlich genau das Gleiche geschrieben haben, und es stellte sich heraus, dass wir recht hatten."
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Sie hätten patriotische Gedichtsammlungen gelesen und darin "den blanken Nazismus" entdeckt, teilen die Aktivisten dem "Guardian" in einem schriftlichen Interview mit. "Wir hatten den Verdacht, dass sie in Nazi-Deutschland wahrscheinlich genau das Gleiche geschrieben haben, und es stellte sich heraus, dass wir recht hatten."
Fast alle von ihnen entdeckten Nazi-Gedichte hätten perfekt in den aktuellen russischen Kontext gepasst, sagten die Aktivisten weiter. "Politisch stehen sich die Ideen des nationalsozialistischen Deutschlands und die Ideen des modernen Russlands sehr nahe, auch wenn Russland behauptet, den Nationalsozialismus zu bekämpfen", heißt es. In kultureller Hinsicht zeige sich, dass es keine Renaissance der russischen Kultur gebe, "sondern nur ihren Verfall". Aus Sicherheitsgründen will die Gruppe weiter anonym bleiben.
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