Fahrrad: Industrie und Handel verbuchen Januar bis April massive Rückschläge
Schlechte Stimmung zur Eurobike: Die ersehnte Erholung der Fahrradbranche bleibt bislang aus. Die Verkäufe fallen seit Jahresbeginn zurück, die Produktion bricht zweistellig ein. Die Hersteller setzen auf zwei Hoffnungsträger.
Fahrrad: Industrie und Handel verbuchen Januar bis April massive Rückschläge
Wenn am Mittwoch mit der Eurobike Europas wichtigste Fahrradmesse in Frankfurt am Main zunächst für das Fachpublikum öffnet, geht es um mehr als um Neuheiten auf zwei Rädern. In wirtschaftlichen schwierigen Zeiten dient das Treffen der 1800 Aussteller – rund 100 weniger als im Vorjahr – auch der Standortbestimmung. Hat die Nachfrage im Frühjahr zur ersehnten Räumung der Lager beitragen können? Letztere liefen 2023 voll – auch weil Marktteilnehmer die Entwicklung nach dem Pandemie-Boom falsch eingeschätzt hatten.
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Die meisten Experten sagen der Fahrradbranche mittel- bis langfristig gute Zeiten voraus, sehen sie das Fahrrad doch als entscheidendes Vehikel zur Transformation des Verkehrs in Stadt und stadtnahen Gebieten. Viel Hoffnung ruht dabei auf dem E-Bike und dem Dienstradleasing. Beide sollen die Nachfrage kräftig ankurbeln.
Zumindest die Berater sind optimistisch. Während der Micromobility Europe Konferenz in Amsterdam prognostizierte McKinsey, dass margenträchtigere E-Bikes ihren Anteil am Mikromobilitätsmarkt in Europa auf 50 Prozent (2022: 37) steigern werden, bei einem Gesamtwert von rund 110 (2022: 22) Milliarden US-Dollar. Dies entspräche einer Verfünffachung.
Derzeit aber befinde sich der Markt noch in einer Phase der Konsolidierung, in der die Unternehmen stärker auf Rentabilität achten und ihr Angebot umstrukturierten, schreibt McKinsey in einer Präsentation, die manager magazin vorliegt. Für Deutschland dokumentieren dies auch aktuelle Zahlen des Zweirad-Industrie-Verband (ZIV), die manager magazin bereits einsehen konnte. Von Januar bis einschließlich April schlugen die Händler laut ZIV rund 800.000 E-Bikes an Endkunden los und damit 1,23 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Zugleich rutschten die Verkäufe nicht elektrischer Fahrräder um 19 Prozent auf 650.000 ab.
Verkauf aus vollen Lagern, Produktion fällt zweistellig
Der Absatz in Deutschland insgesamt ging also weiter zurück. Was Händler und Hersteller verkaufen, rollt zu einem erheblichen Teil aus nach wie vor gut gefüllten Lagern, räumt der ZIV ein. Dem Verband zufolge summierten sich die Bestände bei Händlern Ende vergangenen Jahres auf rund 1,45 Millionen Fahrräder und waren damit doppelt so hoch „wie in normalen Jahren“. Insofern verwundert es nicht, dass sowohl die Produktion deutscher Hersteller als auch die Fahrradimporte hierzulande in den ersten Monaten des Jahres deutlich absackten.
Die deutsche E-Bike-Produktion rutschte laut ZIV in den ersten vier Monaten 2024 um 16 Prozent auf 630.000 ab. Die Herstellung herkömmlicher Fahrräder ging gar um 21 Prozent auf 340.000 zurück. Die gesamte Produktion von Fahrrädern lag den Angaben zufolge bei knapp einer Million Räder (Vorjahr: 1.180.000) und somit 18 Prozent niedriger.
Exporte brechen um ein Fünftel, Importe um fast die Hälfte ein
Weil auch die Lager in den Zielländern noch lange nicht geleert sind, exportierten deutsche Hersteller und Händler in den ersten vier Monaten lediglich 434.000 Fahrräder und E-Bikes, was einem Minus von 22 Prozent entspricht. Dabei fiel das Minus herkömmlicher Fahrräder mit 30 Prozent auf 219.000 deutlich höher aus als bei den E-Bikes (minus 11 Prozent auf 215.000).
Die Zahl importierter Fahrräder und E-Bikes brach ungleich stärker ein: um 44 Prozent auf insgesamt 749.000. Deutschland importiert schon lange mehr Fahrräder, als es exportiert.
Da stellt sich die Frage, wann die Trendwende endlich kommt. Die Lage für Händler und Hersteller in Deutschland bleibe im laufenden Jahr angespannt, dies betreffe insbesondere die Produzenten von Komponenten, sagt ZIV-Chef Burkhard Stork. Eine „deutliche Erholung“ erwartet der Verband erst im Jahr 2025.
Gravel- und Rennräder trotzen schwachem Trend
Dabei sei die Lage derzeit keineswegs einheitlich. „Einzelne Segmente produzieren bereits nach, bei anderen sind die Lager noch voll.“ Hochwertige Gravel- und Rennräder zum Beispiel verkauften sich gegen den Trend „aktuell sehr erfolgreich“. Rose Bikes bedient unter anderem dieses Segment. Im laufenden Geschäftsjahr 2023/24 verkaufte der Direktversender von November bis Mai 30 Prozent mehr Fahrräder und steigerte seine Erlöse allein mit Bikes um rund ein Viertel, wie das manager magazin vor zwei Wochen exklusiv berichtete. Gravel-Räder seien „stark überverkauft“, sodass Rose die Produktion nun nach oben anpassen will.
Neben dem übergeordneten Trend zur CO₂-freien Mobilität in Städten versprechen sich Hersteller und Händler Wachstum auch vom Dienstradleasing. In den vergangenen vier Jahren sind hier die Umsätze mit 46 Prozent im Jahresschnitt auf zuletzt 3,2 Milliarden Euro deutlich schneller gewachsen als der Gesamtmarkt, zeigt eine Studie der Unternehmensberatung Deloitte in Kooperation mit dem Branchenverband Zukunft Fahrrad, die manager magazin ebenfalls vorliegt.
Hoffnungsträger Dienstradleasing
Die Zahl der über Arbeitgeber geleasten Fahrräder wuchs im gleichen Zeitraum mit 45 Prozent im Jahresschnitt auf zuletzt 1,9 Millionen Gefährte fast genauso schnell wie die Umsätze in dem Segment. Angesichts von 16,8 Millionen Beschäftigten, die aktuell Zugang zu Dienstradleasing haben, sieht die Branche daher noch viel Potenzial für rasant steigende Leasingverträge und Umsätze.
„Das Dienstradleasing hat sich inzwischen zu einem der relevantesten Markttreiber im Fahrradmarkt entwickelt", sagt Kim Lachmann, Direktor und Fahrradmarkt-Experte bei Deloitte kurz vor Beginn der Eurobike. Auffällig ist dabei, dass 80 Prozent der Beschäftigten beim Jobrad ein E-Bike favorisieren. Die im Schnitt 3500 Euro teuren E-Bikes spülen damit deutlich mehr Geld in die Kassen der Händler als herkömmliche Fahrräder. Im Leasinggeschäft soll deren Preis bei rund 1790 Euro im Schnitt liegen.
Im Neugeschäft des Gesamtmarkts ist der Anteil des E-Bikes noch geringer als beim Dienstradleasing. Doch das ändert sich gerade: 2023 wurden in Deutschland erstmals mehr elektrische als herkömmliche Fahrräder verkauft.
Ob das E-Bike die Erlöse der Branche in naher Zukunft so elektrisieren wird wie erhofft, muss sich aber noch erweisen.