Die ersten Modeschauen der Berlin Fashion Week: Zwischen Sylt-Skandal und Schützenfest
Ein bisschen Sylt, ein bisschen Männerklüngel: Blouson mit Wappen des Labels GmbH.
Die Berlin Fashion Week startete in diesem Jahr: ziemlich grau. Graue Wolken über grauen Betonlandschaften, ein regenverhangener Himmel, fast unwirtliche Kulissen. Allerdings: Als hätten sich die Modedesignerinnen und Modedesigner mit Petrus abgesprochen, passte das Schmuddelwetter perfekt zu ihren Kollektionen.
Es waren wenig erhebende Outfits, die am Montag in verschiedenen Locations der Stadt gezeigt wurden: Dystopische Kollektionen im Rahmen des Schauen- und Installationsformats „Intervention“ im Tempodrom; eine melancholisch inspirierte Linie im Kulturforum, eine weitere Inszenierung in einem ehemaligen Krematorium in Wedding.
Die Mode als Ventil, als Wachmacher und Gutelaunegarant? Die Fashion Week als Epizentrum des Eskapismus? Fehlanzeige: Eher zeigte sich, dass die Mode nicht nur selber Stimmung machen, sondern vor allem Stimmungen abbilden kann. Eine Übersicht über die ersten Schauen der Modewoche.
Wer hinter der Kollektion von Claudia Skoda eine Art Best-of erwartet hatte, lag gehörig daneben: Die Berliner Strick-Ikone, die in den Siebzigern und Achtzigern auch zu internationalem Ruhm gelangt war, präsentierte während ihrer ersten Show seit Jahrzehnten ausnahmslos neue Entwürfe. Und trotzdem: Auch ihre aktuelle Kollektion enthielt wahre Skoda-Klassiker wie übergroße grobgestrickte Pullover mit organisch geformten Mustern und Puschel-Details. Besonders attraktiv: Die zarten Roben aus leichter, fein gestrickter Wolle, die die Silhouette sanft umwehen.
So düster war’s im Tempodrom, dass die Gäste der Lueder-Show besser nur Trippelschritte machen sollten, um nicht gänzlich unelegant die Stufen hinabzustürzen: Designerin Marie Lueder hatte ihre neue Kollektion „Rubedo“ im Halbdunkel des kleinen amphitheatralischen Nebenraums gezeigt. Und auch die Linie selbst gab sich betont finster: Kastige Hemden und vielschichte Lagenlooks waren in Graunuancen und verwaschene Blautöne getüncht, dazu gebleichte Partien und einige Prints. Damit bewegte sich Lueder sehr nah an dem, was in den vergangenen Jahren ohnehin die Mode dominierte, wer etwas ganz Neues entdecken wollte, musste schon genau hinsehen – wurde dann jedoch von spannenden Verarbeitungsideen überrascht: Ein Rippenshirt zum Beispiel, mittig halbiert und versetzt wieder zusammengenäht, wirkte besonders attraktiv.
So vielseitig wie die Kollektion von Milk of Lime zeigte sich am Montag keine andere vorgestellte Linie – ob man das nun als unentschieden oder doch facettenreich beschreiben würde, liegt wohl im Auge des Betrachters. „Current“ jedenfalls, so der Titel der Kollektion, zeigte sich als eine Art Zusammenstellung recht starker Einzelteile, darunter übergroße Seidenhemden mit ungewöhnlicher, knotiger Kragenverarbeitung und Oversized-Mäntel aus bedrucktem steifen Material, das eher an Heimtextilien denn an Modestoff erinnerte. Besonders schön waren überdies die transparenten Tops und Kleider aus leichtem, transparenten Material.
Die breitgestreiften Poloshirts, die beigefarbenen Shorts, die Wappen-Applikationen – wer die Show des Kreuzberger Labels GmbH besucht hatte, fühlte sich an Sylt und mithin an das Skandalvideo erinnert. Und tatsächlich wollten die beiden Designer „die Rückkehr des Faschismus und seine gesellschaftlichen Auswirkungen“ in ihrer neuen Kollektion thematisieren, so hieß es später in einer Mitteilung – Kritik durch Subversion sozusagen, „Resistance Through Rituals“, so der Titel der Linie. Neben besagten Schnösel-Styles – bei GmbH freilich oversized und kastig umgesetzt, avantgardistisch entfremdet – wirkten vor allem schärfer geschnittene Anzüge mit Kapuzendetails besonders anziehend. Überhaupt waren die Herrendesigns deutlich ansprechender als die Damenmode, die sich im Kontrast ein bisschen farblos gab.
Mario Keine ließ sich für sein Label Marke vom Schützenfest inspirieren – wobei freilich auch hier die subversive Kritik im Fokus stand. Es ginge ihm um die Darstellung und das Hinterfragen exklusiver Kreise, die marginalisierte Gruppen ausschlössen und diskriminierten, so hieß es in einer Mitteilung. Glücklicherweise war das Schützenfest-Thema eher inhaltlich gedacht, drückte sich ästhetisch allenfalls in kleinkarierten Mustern und scherpenähnlichen Details aus. Ansonsten wurde in dieser Saison noch deutlicher, was sich schon bei Keines erster Show im Februar erahnen ließ: Der Mann hat einen Sinn fürs Handwerk; ausnahmslos zeigten sich seine Entwürfe wie knieumspielende Buntfaltenshorts und hemdenartigen Oberteile mit Schulterpatten perfekt gefertigt. Eines der Letzteren war denn auch das attraktivste Teil der Kollektion: ein wirklich schönes, graumeliertes Oberteil mit Schulterpatten und breitem Gürtel.
Auch an der Fashion Week geht die EM nicht ganz spurlos vorbei; zumindest ließen breit gestreifte Teile bei Shayne Oliver an klassische Trikotmuster denken. Überhaupt ist es der sportive Moment, dem sich der Designer mit seinem Anonymous Club immer wieder widmet, auch in dieser Kollektion, die sich geprägt zeigte von Jogginghosen und überformten Hoodies, die die Mode der vergangenen Jahre ohnehin dominierten. Spannender wurde die Kollektion mit dem Titel „Fantasia 2024: FREUDIAN GLITCH“ nach hinten raus, als sich zu den dekonstruierten Sportswear-Teilen auch andere Modethemen gesellten, etwa Jeans-und-T-Shirt-Kombis, die an die frühen Siebziger erinnerten, oder aufwendig drapierte Ensembles aus Techmaterialien in Kobaltblau.