Verkehrte (Finanz-)Welt: Warum Anleger den Beitrag von Schwellenländern in Aktienportfolios nicht unterschätzen sollten
Die Chip-Produktionsanlage von Samsung Electronics in Pyeongtaek, Südkorea. Foto: via REUTERSdata-portal-copyright=
Die Renditen auf den Aktienmärkten der Schwellenländer haben in den vergangenen Jahren oftmals enttäuscht. Sollten sich Investoren daher von der Anlageklasse Emerging Markets abwenden? Eine Kolumne.
Schwellenländer lieferten in der jüngeren Vergangenheit häufig nur schwache Renditen. So erzielte der MSCI Emerging Markets Index, der 1200 Unternehmen aus 24 Schwellenländern umfasst, in den letzten zehn Jahren nur eine jährliche Rendite von rund 3 Prozent pro Jahr in US-Dollar (Stand: 31. Mai 2024). Zum Vergleich: Der MSCI All Country World Index (weltweiter Aktienindex) kam auf fast 9 Prozent pro Jahr – also das Dreifache an Erträgen.
Sollten Schwellenländer als Anlagealternative daher abgeschrieben werden? Dies wäre aus meiner Sicht ein Fehler. Es gibt einige Gründe, die ein Investment in den Emerging Markets aussichtsreich machen.
Das Potenzial der in den Emerging Markets notierten Unternehmen wird häufig unterschätzt. Die 24 Länder des skizzierten MSCI Emerging Markets Index werden im Jahr 2024 geschätzt einen Anteil von gut 35 Prozent am weltweiten Bruttoinlandsprodukt haben. Trotzdem scheinen Investoren einen Bogen um Aktien aus den Schwellenländern zu machen. Deren Gewichtung im MSCI All Country World Index liegt nur etwas über 10 Prozent. Aber selbst das ist den meisten Anlegern noch zu viel – die durchschnittliche Allokation ist derzeit nur knapp über 5 Prozent.
Schwellenländern haftet oft ein Vorurteil der „Rückständigkeit“ an. Dabei hat an den Börsen dieser Länder der Anteil von Unternehmen aus innovativen und zukunftsträchtigen Branchen über die letzten Jahre hinweg stark zugenommen. Mit gut 23 Prozent ist Informationstechnologie mittlerweile der größte Einzelsektor. Dazu zählt beispielsweise der Halbleiterbereich, wo Unternehmen aus Taiwan und Südkorea in vielen Bereichen weltweit technologisch führend sind. 90 Prozent der fortschrittlichsten Mikrochips werden in Taiwan produziert. Halbleiter sind nach Rohöl und Raffinerieprodukten weltweit die wichtigsten Exportprodukte.Wachsende Mittelschicht
Innerhalb der Aktienmärkte der Emerging Markets findet ein Wandel statt: Wachsende Mittelschichten führen zu höherem Konsum und verändertem Konsumverhalten. Anbieter von Nicht-Basiskonsumgütern nehmen einen breiteren Raum ein. Der Sektor ist der drittgrößte innerhalb des MSCI Schwellenländer-Index mit einem Anteil von rund 13 Prozent. Dazu zählen unter anderem Automobilhersteller.
Insbesondere chinesische Hersteller von Elektrofahrzeugen haben sich überraschend schnell mit konkurrenzfähigen Produkten auf den Weltmärkten positioniert. Und das nicht nur preislich, sondern auch technologisch. Im Dienstleistungsbereich sticht der Internetbereich hervor. Hier haben in vielen Ländern lokale Plattformen herausragende Marktstellungen im Vergleich zu internationalen Konkurrenten. Sie sind häufig schneller im Erkennen von Trends und Entwicklungen.
Auch die weltweite Energiewende ist ohne Rohstoffe aus den Schwellenländern nicht zu schaffen. Beispielsweise kommen mehr als 50 Prozent der weltweiten Kupferexporte aus Lateinamerika, vornehmlich aus Chile und Peru. Ein Elektrofahrzeug benötigt ungefähr viermal so viel Kupfer wie ein Fahrzeug mit Verbrennungsmotor. Auch Solar- und Windenergieanlagen sowie Stromleitungsnetze benötigen große Mengen an Kupfer.Unternehmensbewertung und Diversifikation
Trotz überdurchschnittlicher Wachstumsaussichten und spannender Unternehmen sind Aktien in Schwellenländern mit Blick auf die Einstiegskurse nicht teuer. Sie erscheinen – im Vergleich zu Titeln aus den Industrieländern – attraktiv bewertet. Der Bewertungsabschlag beträgt derzeit circa 35 Prozent bezogen auf das KGV. Dies entspricht dem höchsten Wert in den letzten zehn Jahren.
Darüber hinaus sind Emerging-Markets-Aktien weiterhin eine der wenigen Anlageklassen, die zu einer echten Diversifizierung eines Anlageportfolios beitragen. Beispielsweise ist die Korrelation von Schwellenländeraktien mit US-Aktien und europäischen Aktien geringer als die Korrelation zwischen US-Aktien und europäischen Aktien. Eine Beimischung von Aktien aus den Schwellenländern kann daher zur Risikoreduzierung in einem globalen Portfolio beitragen.Fazit und Ausblick
Schwellenländer haben in den letzten Jahren viele Anleger enttäuscht. Es lohnt sich allerdings, genau hinzuschauen. So haben einzelne Schwellenländer in den vergangenen zehn Jahren bessere Ergebnisse als die Industrienationen erzielt: Beispiel MSCI Indien mit einer jährlichen Rendite von 13,9 Prozent oder der MSCI Taiwan mit einer jährlichen Rendite von 13,3 Prozent. Diese beiden Länder konnten sogar den starken amerikanischen Markt schlagen – der MSCI USA kam „nur“ auf 12,6 Prozent pro Jahr.
Die Zukunftsorientierung vieler Unternehmen, gute Gewinnwachstumsaussichten sowie faire Bewertungen: All dies sind Gründe, um die Emerging Markets als Anlagealternative nicht abzuschreiben.
Die Kolumne „Verkehrte Finanzwelt“ entsteht in Zusammenarbeit mit der CFA Society Germany.
Lesen Sie auch: Aktien aus Schwellenländern bleiben ein Problemfall
Leserfavoriten: Inflation im Supermarkt: Bei diesen Lebensmitteln gab es die größten Preissprünge
Erwerbsminderungsrente : Ab 1. Juli 2024 steigt der Rentenwert – was sich für Betroffene verbessert
Reform der Bauordnung: Niedersachsen zeigt, wie Bauen einfacher gehen kann
Steuererklärung 2023 : Die Abgabefrist für die neue Steuererklärung
Arbeitszeiten im Vergleich: Diese Grafiken zeigen die ausgeprägte Arbeitsmoral der Griechen