Nach dem Immunitätsurteil: Bidens Brandrede
US-Präsident Joe Biden: Das Urteil des Obersten Gerichtshofs ist ein „gefährlicher Präzedenzfall“.
Neun Stunden, nachdem der Supreme Court mit seinem Urteil über präsidentielle Immunität Donald Trump einen großen Erfolg bescherte, wandte sich Joe Biden am Montagabend vom Weißen Haus aus mit einer Brandrede an die amerikanische Öffentlichkeit. Das Urteil des Obersten Gerichtshofs sei ein „gefährlicher Präzedenzfall“.
In Amerika gebe es „keine Könige“, sagte der Präsident. „Jeder von uns ist vor dem Gesetz gleich.“ Niemand stehe über dem Gesetz, selbst der Präsident der Vereinigten Staaten nicht. Sodann: Mit dem Urteil des Obersten Gerichtshofs zur präsidentiellen Immunität vor Strafverfolgung habe sich dieser Grundsatz fundamental geändert. Das sei gefährlich, weil die Machtbefugnisse des Amtes nicht mehr beschränkt seien durch das Recht, den Supreme Court eingeschlossen. Es gebe „mit hoher Wahrscheinlichkeit praktisch keinerlei Grenzen mehr dafür, was Präsidenten tun“ könnten. Die präsidentielle Macht beruhe nunmehr allein auf den Entscheidungen des Amtsinhabers. Das würde Trump – im Falle eines Wahlsiegs – eine gefährliche Stellung verleihen.
Biden sieht Angriff auf rechtliche Grundsätze
Biden sagte weiter, diese Entscheidung sei Teil eines seit einigen Jahren andauernden Angriffs des höchsten Gerichts auf etablierte rechtliche Grundsätze der amerikanischen Nation – von Einschränkungen des Wahlrechts und anderen Bürgerrechten bis zur Einschränkung des Rechts von Frauen, über ihren Körper zu entscheiden.
Der 6. Januar 2021, als ein Mob das Kapitol stürmte, sei einer der dunkelsten Tage in der Geschichte des Landes gewesen. Den Mann, der diesen Mob losgeschickt habe, habe eine potentielle Verurteilung erwartet, sagte Biden mit Blick auf das Strafverfahren wegen Wahlverschwörung vor dem Bundesbezirksgericht in Washington. Die Amerikaner hätten Antworten verdient – und zwar vor der Präsidentenwahl im November. Das sei nun aber äußerst unwahrscheinlich geworden.
Der Supreme Court habe dem Land einen Bärendienst erwiesen. Nun müsse das amerikanische Volk tun, was die Gerichte tun wollten: Es müsse ein Urteil fällen. Die Amerikaner müssten entscheiden, ob sie Trump das Amt anvertrauen wollten, in dem Wissen, dass er sich nun ermutigt fühle, zu tun, was immer er tun wolle.
Biden schloss mit den Worten, er stimme mit der abweichenden Meinung von Verfassungsrichterin Sonia Sotomayor überein. Aus Angst um die Demokratie in Amerika, widerspreche sie, habe die Verfassungsrichterin gesagt. Auch er widerspreche.
Supreme Court gesteht Trump teilweise Immunität zu
Der Oberste Gerichtshof hatte am Montagmorgen mit sechs zu drei Stimmen entschieden, dass Präsidenten teilweise Immunität vor Strafverfolgung genießen. Für Handlungen im Kernbereich ihrer verfassungsmäßigen Befugnisse sei die Immunität absolut. Für offizielle Handlungen sei eine Immunität zumindest anzunehmen. Für private („nicht offizielle“) Handlungen gebe es aber keine Immunität.
Der Washingtoner Prozess gegen Trump war bis zur höchstrichterlichen Klärung der Frage, über die nun erstmals höchstrichterlich entschieden wurde, auf Eis gelegt worden. Der Oberste Gerichtshof wies das Bundesbezirksgericht an, die Anklagepunkte gegen Trump mit Blick auf die Qualifizierung der Amtshandlungen zu prüfen. Das wird Monate dauern.
Verfassungsrichterin: Wie ein König über dem Gesetz
Sotomayor schrieb in ihrer abweichenden Meinung, die Richtermehrheit habe es Präsidenten gestattet, „Könige“ zu werden, die über dem Gesetz stünden. Diese Entscheidung sei „absolut unhaltbar“. Sie habe faktisch einen „rechtsfreien Raum“ geschaffen und den Status quo, der seit der Gründung Amerikas bestanden habe, umgestoßen. Es sei doch ironisch, schrieb sie, der Mann, der dafür verantwortlich sei, Gesetze auszuführen, könne sie nun brechen.
Biden nutzte seine Urteilsschelte, um aus der Defensive zu kommen. Sein fahriger Auftritt im Fernsehduell mit Trump in der vergangenen Woche hatte Panik unter Demokraten hervorgerufen und eine Debatte darüber entfacht, ob die Partei einen anderen Kandidaten für die Wahl im November nominieren solle. Der 81 Jahre alte Biden gestand später ein, dass er nicht mehr so gut laufe, rede und debattiere wie früher. Er wisse, er sei kein junger Mann mehr. Aber er wisse, wie man „den Job“ mache. Und er wisse, wie man die Wahrheit sage.