Emmanuel Macron: Ton in Ton mit sich selbst
Am Wahltag mischte sich Emmanuel Macron noch mal unters Volk. Mit einem Outfit, das zeigt, warum die Franzosen ihren Präsidenten abgestraft haben.
Hallo, ich bin Ihr Präsident. Wollen Sie mit mir fliegen? Emmanuel Macron fünf vor zwölf am Wahltag in Frankreich
Am Tag der ersten Runde der Parlamentswahl, die für ihn selbst und die demokratische Mitte Frankreichs absehbar verloren gehen sollte, gibt sich Staatspräsident Emmanuel Macron noch provozierend gelassen. Schwarze Baseballkappe, tiefblaue Jeans, dazu ein hellblau karierter Schal, der dezent hervorschaut aus einer Lederjacke in der Farbe von bitterer Schokolade.
Die Zeichen stehen auf Herbst. So mischte sich der 46-jährige Macron am Sonntag im nordfranzösischen Le Touquet-Paris-Plage unters Wahlvolk, schüttelte Hände, posierte für Selfies, lächelte, umarmte und sah so entspannt aus dabei, als käme er gerade von einem Oldtimertreffen oder einer Flugshow (genau genommen kam Macron von einer Flugshow; er hatte sie mit seiner Frau Brigitte, 71, besucht, um ein wenig durchzuschnaufen vor der Schicksalswahl).
Alles an den Bildern und Fernsehaufnahmen, die an diesem Tag entstanden sind, ist bemerkenswert. Da ist zuerst das Offensichtliche: Macrons modische Stilsicherheit. Eleganter und zugleich legerer kann man nicht zusehen, wenn eine Fliegerstaffel über einen hinwegbrettert. Selbst die Details, die lässig in der Hand liegende Sonnenbrille, suggerieren: Hier ist der erste Mann des Staates mal ganz privat.
Gezwungenermaßen halb privat
Derart anzuglos elegant geben sich deutsche Politiker in ihrer Freizeit selten. Da herrscht graue Pullitristesse. Nehmen wir Olaf Scholz: Vor zwei Jahren im Flieger zu Joe Biden präsentierte sich Scholz in einem konturlosen Oversizepulli. Das sollte locker aussehen, wirkte aber, da Scholz' Gesichtszüge im Weltkrisenmodus waren, eher so, als würde er allergisch auf einen Weichmacher reagieren. Oder als wäre er nur gezwungenermaßen halb privat.
Macron dagegen trägt die Tom-Cruise-Gedenklederjacke mit beinahe provozierender Selbstverständlichkeit. Als wäre er selbst der Pilot, der nur einen Looping drehen und mit den Flügeln wackeln müsste, um Marine Le Pen in die Schranken zu weisen. Selbst das Lächeln ist echt oder zumindest ein gutes Imitat. Und schaut man lange genug hin, haben die ausgestreckte Hand und das Top-Gun-hafte etwas Beruhigendes, als wäre der Retter nah.
Wären da nicht die grimmig aussehenden Herren in den Anzügen hinter Macron, von dem bärtigen Polizisten mit dem Häubchen ganz zu schweigen. Sie schützen den Regierenden vor den Regierten. So unbeliebt ist Emmanuel Macron angeblich mittlerweile bei vielen Franzosen, dass er sich gerade in der Provinz nur noch mit besonders großer Personenschützer-Eskorte unter die Menschen mischen kann. Der Staatspräsident mag also entspannt wirken, die Lage um ihn ist das genaue Gegenteil.
Und das verändert alles: So Ton in Ton mit sich selbst Macron auch ist, so stillos und elitär wirkt der Auftritt angesichts einer Lage, in die er die Nation angeblich leichtfertig den Rechten zum Fraß vorgeworfen hat durch die Neuwahlen. Der Moment schreit eher nach staatsmännischer Demutsgeste denn nach ledernem Mackergehabe.
Der größte Fauxpas liegt aber darin, dass alles an diesem Outfit – von der Jeans bis zur Kappe – nach dem Understatement der Vermögenden riecht, nach teurem Geschmack, der sich möglichst alltäglich gibt. Das ist nicht neu bei Macron, schließlich gilt er als Vertreter eines sich selbst reproduzierenden Establishments, das Macht, Geld und Einfluss angeblich in die Wiege gelegt bekommen hat.
Ein berühmtes Foto zeigte ihn vor einigen Jahren auf der Couch, das eng anliegende Hemd bis zum behaarten Bauchnabel aufgeknöpft. Er lacht, ist ganz gelöst, sitzt da wie Zehntausende französische Männer sich wohl abends auf die Couch fallen lassen, um relaxt Fußball schauend ein Dosenbier aufzureißen. Nur, dass in Frankreich die wenigsten dies im maßgeschneiderten und faltenfreien Hemd tun dürften. Kurz: Den Lifestyle, den Macron hier aufträgt, muss man sich erst mal leisten können. Und das können in Frankreich immer weniger Menschen. Deshalb wirkte das Bild gedankenlos arrogant. Sein Vorwahlauftritt bestärkt diesen Eindruck: Aus einem modisch-optischen Ereignis wird eine Obszönität.
Und der politische Gegner? Der 28-jährige Jordan Bardella, Spitzenkandidat des Rassemblement National für den Posten des Premierministers, geht den umgekehrten Weg. Sein Investment-Banker-Look im eng anliegenden Anzug gehört zur Aufsteigergeschichte des Sohns einer Einwandererfamilie, der sich erfolgreich aus der Banlieue herausassimiliert und politisch Karriere gemacht hat. Der teure Anzug ist bei Bardella eine Ziviluniform; der Mensch mit seinen individuellen Schwächen verschwindet ganz in ihr. So als gäbe es nur die Regierungsmaschine, die immer im Dienst ist und höchstens hin und wieder einen Ölwechsel braucht.
Nun, man könnte einfach sagen: An Bardellas kalter Eleganz haben die Franzosen sich noch nicht sattgesehen. An der Hemdsärmeligkeit ihres Nochpräsidenten dagegen schon. Der Einzige, der es nicht zu bemerken scheint, ist dieser selbst.
Übrigens: Schauen Sie im Hintergrund des Bildes mal auf die Frau mit dem Handy. Entweder sie schreit gerade jemanden an, oder sie gähnt. Als hätte sie einen Wutanfall. Oder ihren Präsidenten einfach satt.