"From the river to the sea" Ist die Parole zwangsläufig strafbar?

Eine Person hält ein selbstgemaltes Schild mit der Aufschrift

Seit dem 7. Oktober haben antisemitische Vorfälle in Deutschland stark zugenommen. Doch nicht hinter jedem Fall steckt eine strafbare Handlung. Auch bei bloßem Verdacht kann es zu Durchsuchungen kommen - und sogar zur Abschiebung.

Iris Sayram

Von Iris Sayram, ARD Berlin

Berlin Mitte Mai gegen 6 Uhr am Morgen. Ein lautes andauerndes "Bollern" gegen die Wohnungstür holt Studentin Alina T. aus dem Schlaf. Die junge Frau weiß im ersten Moment nicht, was los ist. "Der DHL-Mann? - Nein, kann nicht sein!", sie ist völlig verwirrt.

Als ihr Ehemann die Tür öffnet, "stürmen" mehrere LKA-Beamte, zwei Mitarbeiter des Bezirksamts und auch das SEK an ihm vorbei in die Wohnung. Verdutzt schaut er auf den Durchsuchungsbeschluss.

Alina T., derweil noch im Schlafzimmer, versucht die Türe zu schließen, die junge Frau ist halbnackt. Doch zwei weibliche Beamte halten sie auf und betreten das Schlafzimmer, setzen Alina T. fest, die vor Angst zittert. So schildert sie den Moment der Hausdurchsuchung gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio.

Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole?

Hintergrund war ein Facebook-Eintrag im Profil der Studentin: "From the river to the sea, Palestine will be free". Als ihr das mitgeteilt wird, habe Alina T. zunächst auflachen müssen - vor Erleichterung. Denn nun sei ja klar, dass es sich nur um ein Missverständnis handeln könne.

"Es ist doch offensichtlich, was der Spruch bedeutet: Vom Fluss bis zum Meer frei von einer israelischen Besatzung! Ein freies Land halt, neben Israel. Wie kann man etwas anderes denken?", fragt die junge Frau ungläubig, die noch nie vorher etwas mit der Polizei zu tun hatte.

Sie ist auch jetzt, Ende Juni, verängstigt - denn das "Missverständnis" hat sich bislang nicht aufgelöst. Ein Strafverfahren wegen der Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole läuft. Ihre Identität möchte sie schützen, ihren Namen haben wir daher geändert.

Hohe Zahl antisemitischer Delikte

Alina T. ist ein Fall in der Statistik, die Bundesinnenministerin Nancy Faeser regelmäßig als Beleg der massiv angestiegenen Zahl antisemitischer Delikte heranzieht. Für das Jahr 2023 sind im Verfassungsschutzbericht 5.164 Delikte in dieser Kategorie gelistet. Das Gros entfällt auf die Unterkategorie "rechts" mit mehr als 3.000 Vorfällen. 531 werden einer "religiösen Ideologie" zugeordnet, 373 Delikte sind unter "Sonstiges" gelistet.

Wie häufig sich die Parole "From the river to the sea - Palestine will be free" in dieser Statistik niederschlägt, kann das Bundesinnenministerium auf Anfrage nicht beziffern. Bei einer Abfrage verschiedener Polizeidienststellen aus dem Herbst des Jahres 2023 durch das ARD-Hauptstadtstudio ist aber immer wieder dieser Slogan gefallen, der strafrechtliche Ermittlungen ausgelöst hat und auch als Grund zum Auflösen von Versammlungen von den Behörden herangezogen wurde.

"Allein dieser Slogan hat in wenigen Monaten zu einer großen Anzahl von Ermittlungsverfahren geführt. Ich gehe bundesweit von einer hohen dreistelligen, wenn nicht gar vierstelligen Zahl seit dem 7. Oktober 2023 aus. Wegen ihm werden Wohnungen durchsucht, Demonstrationen verboten und immer wieder Menschen auf Versammlungen festgenommen", sagt Rechtsanwalt Benjamin Düsberg, der auch Alina T. vertritt, dem ARD-Hauptstadtstudio.

Parole per Verfügung verboten?

Maßgeblich für eine Strafbarkeit ist bei solchen Delikten grundsätzlich der sogenannte objektive Empfängerhorizont - also wie ein Unbeteiligter eine solche Äußerung versteht. Als Auslöschung Israels oder Befreiung Palästinas von der israelischen Besatzung? Angelehnt daran sei der Ausspruch schlicht nicht eindeutig, sagte Strafrechtsexperte Thomas Fischer der Legal Tribune Online bereits Mitte Oktober 2023. Es müssten weitere Elemente dazukommen.

Dass der Ausspruch ohne weitere Umstände dennoch zu einer Strafbarkeit führen soll, liegt an einer Verfügung des Bundesinnenministeriums von Anfang November. Danach wird der Ausspruch grundsätzlich der Hamas zugeordnet. Wer ihn verwendet, soll demnach automatisch das Kennzeichen einer Terrororganisation verwenden.

Dieser Logik widersprach das Landgericht Mannheim Mitte Juni in zweiter und letzter Instanz. Aus Sicht der Kammer bleibe der Ausspruch "allgemein gehalten" und habe eine komplexe Geschichte. Es lasse sich aus ihm nicht entnehmen, auf welche Weise das historische Palästina befreit werden solle. Zudem "ist eine Zueigenmachung der Parole durch die Hamas zu verneinen". Wörtlich sei sie kein Bestandteil der Hamas-Charta.

Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Vorgehens

Weiter führt das Gericht aus: "Inwieweit die Hamas den Slogan in Gänze verwendet und sich zu eigen gemacht haben soll, ist in den Ausführungen im Bericht Lagebild Antisemitismus des Bundesamts für Verfassungsschutz nicht dargetan, sondern wird dort lediglich behauptet."

Das Gericht stellt zudem klar, dass das Innenministerium gar nicht verbindlich definieren kann, ob es sich um ein Kennzeichen der Hamas handelt. Dass das Ministerium den bloßen Teil der Parole "From the river to the sea" in seiner Verbotsverfügung vom 3. November als Kennzeichen der Hamas eingeordnet habe, führe daher nicht zur Strafbarkeit der Parole.

Der Verbotsverfügung komme, so das Gericht, "keine konstitutive Wirkung zu, wobei zudem wegen der Anknüpfung des Verbots der spezifischen Parole an eine politische Meinung bereits erhebliche Zweifel erhoben worden sind, ob das Verbot mit Art. 5 Abs. 1 GG vereinbar ist und nicht auch gegen die staatliche Neutralitätspflicht und das Diskriminierungsverbot verstößt".

Durchsuchungen und erleichterte Abschiebungen

Die Entscheidung des Landgerichts Mannheim "sollte alljenigen als eine Mahnung gereichen, die im politischen Diskurs allzu vorschnell eine Strafbarkeit bei Verwendung des Slogans annehmen", schreibt Kai Ambos in der ersten Juli-Ausgabe der JuristenZeitung.

Doch das lehnt das Bundesinnenministerium weiterhin ab. Auf Nachfrage des ARD-Hauptstadtstudios teilt das Ministerium mit, dass es sich an die Entscheidung nicht gebunden fühlt. Ambos nennt das "kontrafaktisch" und "enttäuschend". "Statt sich mit der gut recherchierten Begründung der Kammer auseinanderzusetzen, bezieht sich das Ministerium auf diffuse Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden", sagt er.

Durchsuchungen wie bei Alina T. dürften damit nicht als Ausnahme gelten. Doch auch weitere Konsequenzen könnten sich abzeichnen, die über eine Hausdurchsuchung noch hinausgehen. Das Ministerium plant, Abschiebungen zu erleichtern, sollte im Internet "Terror verherrlicht werden" - selbst ohne entsprechendes Gerichtsurteil.

OTHER NEWS

37 minutes ago

Vogel sorgt für ersten Heimsieg beim CHIO

37 minutes ago

Nürnberg Ice Tigers verpflichten kanadischen Stürmer

37 minutes ago

Viertelfinale der EM 2024 - Favorit Spanien? KIs erwarten Sieger im Elfmeterschießen - mit leichtem Vorteil für Deutschland

37 minutes ago

Frankreich: Mehr als 200 Kandidaten entscheiden sich vor Stichwahl für taktischen Rückzug

37 minutes ago

Frankreichs bekannteste Sängerin mobilisiert gegen rechts

37 minutes ago

Quiet Vacation: Millennials machen heimlich Urlaub, ohne es anzumelden. Ist das legal?

37 minutes ago

Geht der BVB über seine Schmerzensgrenze?

37 minutes ago

Russland will den Immobilienboom eindämmen, um die überhitzte Wirtschaft abzukühlen

37 minutes ago

9 verdammt gute Horrorserien, die echt krass sind (na klar, ist American Horror Story dabei!)

37 minutes ago

Bericht: Palhinha-Transfer zum FC Bayern unmittelbar vor dem Abschluss!

37 minutes ago

Wie ist es, als Sohn eines Migranten mit der AfD im Innenausschuss zu arbeiten, Herr Castellucci?

37 minutes ago

PlayStation-Comeback: Umstrittenes Feature bekommt zweite Chance

37 minutes ago

Netflix-Hit: Kultige Film-Reihe feiert großes Comeback und spaltet Kritiker

39 minutes ago

Trotz Verbots: Baerbock nahm Nachtflug nach Luxemburg – „unverantwortlich“

39 minutes ago

„Ich hatte keine Wahl”: Das bereut der „Alien“-Schöpfer an der Sci-Fi-Horrorreihe am meisten

39 minutes ago

Brillantring für Thomas Gottschalks Karina – und bei Thea kam der Möbelwagen!

39 minutes ago

Power Ranking vor Viertelfinale: England bodenlos

39 minutes ago

FC Augsburg vor Verpflichtung von Bayern-Talent Kabadayi

39 minutes ago

Mehr als ein Gerücht! Bayern-Juwel zu Sturm?

39 minutes ago

Kolumne von Ahmad Mansour - „Faeser verfolgt eine Ideologie, die Migranten wie Kuscheltiere behandelt“

39 minutes ago

Skydance vor Mehrheitsbeteiligung an Paramount

49 minutes ago

Gündogan über Yamals Schwäche: "Da gibt es für uns Möglichkeiten"

49 minutes ago

Belarus: Putins Vasall versetzt „Truppen in Alarmbereitschaft“

49 minutes ago

Mädchen beim Baden offenbar von Krokodil getötet

49 minutes ago

"Surreal!" Rangnick nach irrem EM-Fight bedient

49 minutes ago

Amazon setzt Ultimatum: Nur noch wenige Stunden kostenlos – allein für Prime-Kunden

49 minutes ago

Ortschef trinkt aus Gardasee: „Auf die Gesundheit“

1 hour ago

Kritik nach EM-Spiel Warum der türkische Wolfsgruß für Empörung sorgt

1 hour ago

Viele Wolken und Regen in Berlin und Brandenburg erwartet

1 hour ago

Neid gegen Reiche und Unternehmer - „Die meisten Menschen verstehen nicht, wie Unternehmer Geld verdienen“

1 hour ago

Wiener Polizei zog rund um EM-Match gegen Türkei "positive Bilanz"

1 hour ago

Ukraine-Krieg: Russland präsentiert Anti-Drohnen-Buggy

1 hour ago

Schalke-Abschied? Bundesligist will Derry Murkin

1 hour ago

Stuttgart hat den Bruder von ManUnited-Stürmer Höjlund im Blick

1 hour ago

Marc Eggers bricht Schweigen über Bill Kaulitz: „Damit ist alles gesagt!“

1 hour ago

Enger Zweikampf im Gladbach-Tor: Omlin spricht Klartext: „Letztendlich spielt der Bessere“

1 hour ago

EM-Aus des ÖFB-Teams schreibt Fernseh-Geschichte

1 hour ago

Bochum trifft Riemann-Entscheidung

1 hour ago

„Absoluter Skandal“ bei EM: UEFA schreitet ein!

1 hour ago

Elektroautos - Nortvolt-Flop und China-Zölle legen Deutschlands Batterie-Desaster offen