Knuspr-Lieferdienst: Milliardenschwerer Online-Supermarkt: Wer steckt hinter Knuspr?
Tomáš Čupr hat 2014 Rohlik gegründet, heute führt er ein Milliardenunternehmen. Foto: PRdata-portal-copyright=
Während Lieferdienste wie Getir zusammenbrechen, wetten Investoren auf den tschechischen Online-Supermarkt Knuspr. Die Marke expandiert stark und macht sich für einen Börsengang bereit – nicht ohne Probleme.
In den letzten vier Jahren flossen Milliarden in Lebensmittel-Lieferdienste. Der zunächst langsam wachsende Markt avancierte zum Top-Geschäftsmodell, angeschoben von der Coronapandemie. Binnen kurzer Zeit wurden Zehntausende neue Stellen geschaffen, die Firmenbewertungen überschlugen sich. Und jetzt? Einst gigantische Start-ups stehen kurz vor der Insolvenz – und eine Handvoll Player erwacht gemächlich aus ihrem Komfortmodus. Einer davon ist die tschechische Rohlik-Gruppe, in Deutschland bekannt unter dem Namen Knuspr, ein Mix aus Online-Supermarkt und Hofladen.
Lieferdienste waren eine große Investorenwette, inzwischen wenden sich die meisten Wagniskapitalgeber von dem teuren Geschäftsmodell ab. Nicht so bei Rohlik. Die zehn Jahre alte Firma hat gerade eine Kapitalspritze von 160 Millionen Euro erhalten. Davon entfallen 90 Millionen Euro auf eine Kreditzusage der Europäischen Investitionsbank. Die restliche Summe, also etwa 70 Millionen Euro, sind Eigenkapital und stammen von Altgesellschaftern wie der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung oder dem Dropbox-Finanzier Index Ventures.
Gesunken sei die Firmenbewertung nicht, versichert Rohlik-Gründer und CEO Tomáš Čupr. Einen genauen Betrag möchte er allerdings nicht nennen. Aufgrund der schwierigen Lage am Finanzmarkt sehen sich viele Start-ups aktuell mit sogenannten Downrounds konfrontiert. Die wenigsten schaffen es, ihren Wert zu halten oder gar zu steigern. Rohlik-Investoren bewerteten den Online-Supermarkt vor drei Jahren noch mit 1,3 Milliarden Euro. Heute liege der Wert bei „weniger als zwei Milliarden Euro“, verrät Čupr.
Das Geld aus der Finanzierungsrunde diene dazu, den deutschen Markt anzukurbeln. In 15 weitere Städte wolle die tschechische Gruppe mit ihrer Marke Knuspr vordringen. Vor drei Jahren startete der Lieferdienst in München und baute dort seine erste Präsenz auf, bevor es 2022 ins Rheinland ging.
Den Berliner Standort eröffnete Knuspr erst im Frühjahr dieses Jahres. Die Hauptstadt ist für viele Online-Supermärkte ein Endgegner: zu groß die Stadt, zu hoch der Wettbewerb. Dorthin lohnt sich die Expansion nur, wenn es auch an anderer Stelle reibungslos funktioniert.
Zweistelliger Millionendeal für Bringmeister
Die tschechische Gruppe hat es sich daher leicht gemacht und den Online-Supermarkt Bringmeister aufgekauft. Bringmeister war einst eine Ausgründung der Supermarktkette Kaisers Tengelmann, ein Pionierprojekt auf Berlins Straßen. Nach mehreren Eigentümerwechseln und kaum nennenswerter Weiterentwicklung landete der Lieferdienst im September 2023 bei Knuspr. Das Grasgrün von Bringmeister wich daraufhin dem orangefarbenen Croissant-Logo von Knuspr.
Der vorherige Eigner Rockaway Capital, eine tschechische Investmentgruppe, erhielt im Gegenzug kein Cash, sondern Anteile an Knuspr-Mutter Rohlik. Der Deal ist dabei an eine Bedingung geknüpft: Je mehr Bringmeister-Kunden zu Knuspr wechseln, desto höher fällt das Aktienpaket für Rockaway aus. Noch lasse sich keine finale Summe nennen, die Frist laufe aber in wenigen Wochen aus, erklärt Rohlik-CEO Čupr. Er schätzt den Gegenwert der Anteile und somit auch die Bewertung von Bringmeister nach derzeitigem Stand auf einen „mittleren bis hohen zweistelligen Millionenbetrag“.
Der grünfarbene Online-Supermarkt war nur in Berlin und München aktiv. Im Jahr 2022, also dem letzten Geschäftsjahr vor der Übernahme, erzielte Bringmeister einen Nettoumsatz von rund 92 Millionen Euro – bei einem Endergebnis von minus 21 Millionen Euro. Durchschnittlich mehr als 20.000 Bestellungen lieferte die Firma im Berichtsjahr wöchentlich aus.
Trotz der herben Verluste in der Gesamtrechnung wird Bringmeister den Jahresumsatz für den deutschen Markt deutlich ankurbeln. Laut Rohlik-Gründer lagen die Erlöse hierzulande zuletzt bei etwa 200 Millionen Euro. Deutschland mache aktuell ein Viertel des Konzernumsatzes aus, Tendenz steigend. Neben dem Heimatland Tschechien liefert die Gruppe noch in Österreich, Ungarn und Rumänien aus – immer unter anderem Markennamen. „In zwei Jahren wird der Rohlik-Umsatz mehrheitlich aus dem deutschen Markt kommen“, prognostiziert Čupr. Dieses Jahr will der Konzern die Milliarde knacken.
Knupsr erhält schlechte Bewertungen en masse
Bis dahin muss das tschechische Unternehmen seine Wachstumsschmerzen in den Griff bekommen. Die Übernahme von Bringmeister verlief holprig, auf Bewertungsportalen mehrt sich schlechtes Feedback von Kunden und früheren Angestellten. Die Nutzer monieren vor allem die Bedienbarkeit des Shops, die gestiegenen Preise und die geringe Verfügbarkeit einiger Frischeprodukte. Pfand wird jetzt in Form von Guthaben zurückgezahlt, nicht mehr vom Einkaufspreis abgezogen. Viele frühere Kunden sprechen sich gegen den neuen Lieferdienst aus. Ein gängiges Problem bei solchen Übergängen.
Im Zuge der Übernahme hat Rohlik zudem das halbe Bringmeister-Team entlassen. Rund 70 Stellen seien gestrichen worden, heißt es vom Unternehmen. Kurz vor dem Deal waren laut Geschäftsbericht noch durchschnittlich 137 Personen bei Bringmeister angestellt. „Dabei handelte es sich um Overhead-Stellen aus der Verwaltung, die sich mit bestehenden Positionen bei Knuspr gedoppelt hätten und somit nicht mehr benötigt wurden. Diese Restrukturierungsmaßnahmen waren notwendig, um das Geschäft langfristig finanziell zukunftsfähig zu gestalten“, erklärt eine Knuspr-Sprecherin.
Auf der Plattform Kununu hagelt es seit dem ersten Jahr negative Bewertungen über den Arbeitgeber, mit der Eingliederung der Bringmeister-Mannschaft noch mehr. Mit 2,9 von fünf möglichen Punkten steht der Lieferdienst vergleichsweise schlecht dar. Angestellte kritisieren vor allem die Arbeitsbedingungen wie regelmäßige Überstunden, mangelnde Führungsqualitäten, schlechte interne Kommunikation und dadurch eine hohe Fluktuation im Team.
Rohlik-CEO Čupr will davon nichts wissen und verweist bei regionalspezifischen Fragen auf die Länderchefs. „Die Veränderungen im Rahmen der Übernahme der Marke Bringmeister in den letzten Monaten waren für viele Mitarbeitende eine Herausforderung“, heißt es daher von einer Sprecherin. „Wir wissen, dass das nicht einfach war.“ Das Unternehmen räumt Probleme in der internen Kommunikation ein und verweist auf einen „Verdienst deutlich oberhalb des Mindestlohns.“
Für Čupr alles Nebensache, er leite schließlich ein Milliardenunternehmen, sagt er. Für ihn zählen die Konzernergebnisse: „In ein paar Monaten werden wir profitabel sein.“ München beispielsweise schreibe bereits Gewinne. Vor zwei Jahren stand in Deutschland laut Bundesanzeiger unter dem Strich noch ein Minus von 37 Millionen Euro. Investitionen in den Neubeginn, die sich schnell amortisiert haben sollen. Sollte das jüngste Investment nicht ausreichen, um die neuen Städte auf den Weg zu bringen, könnte Rohlik die Verluste auch mit den Profiten aus Ungarn und Tschechien kompensieren, sagt der tschechische Chef.
Lieferdienst für Biomarkt-Familien in der Großstadt
Für jeden Standort eröffnet der Lieferdienst ein riesiges Warenlager, von dort werden die Bestellungen ausgefahren. Je nach Entfernung zum Warenhaus verspricht Knuspr eine Lieferzeit von ein bis drei Stunden – langsamer als die Schnell-Lieferdienste, von denen nur noch Flink übrig ist, schneller als Konkurrenten wie Picnic und Rewe. Zumindest auf dem Papier. In der Praxis gibt es die nächsten freien Lieferfenster in sämtlichen Einzugsgebieten an einem Samstag erst in sechs Stunden oder sogar am nächstmöglichen Tag.
Die Zielgruppe von Knuspr und seinen Schwestermarken seien Personen im gehobenen Mittelstand, allen voran Familien. Die oberen 40 bis 50 Prozent gemessen am Einkommen, erklärt der Gründer. Kurzum: die großstädtische Biomarkt-Blase. Denn das Alleinstellungsmerkmal des Online-Supermarkts ist die hohe Anzahl an regionalen Produkten. Eis von der hippen Manufaktur um die Ecke, Fleisch und Fisch aus der Umgebung, frisch gebackenes Brot aus den Logistikzentren.
Zu Hochzeiten machen diese Artikel 80 Prozent des Sortiments aus, heißt es von Seiten des Unternehmens. Auch Medikamente und Spielzeug listet Knuspr. „Wir verstehen uns zwar als Lebensmittelhändler, aber es kommt vor, dass eine Kundin auch noch Blumen oder Lego-Bausteine für einen Geburtstag braucht“, berichtet Čupr mit Blick auf die Mütter unter den Nutzern.
Bis zu 17.000 Artikel liegen in den Warenlagern bereit. Die Logistik ist voll automatisiert. Während etwa bei Getir und Flink Mitarbeiter durch die Gänge rennen und die Bestellungen händisch einpacken, übernehmen in sämtlichen Rohlik-Hallen Roboterarme und Miniwagen diese Arbeit. Die Software dahinter habe das tschechische Unternehmen selbst entwickelt, verkaufe das Programm obendrein als White-Label-Lösung an andere Händler, sagt Čupr. Damit hat das Unternehmen eine Einnahmequelle abseits des Kerngeschäfts.
Rohlik-CEO Tomáš Čupr denkt breit – und behält die Zukunft im Blick. Die soll bald Börsengang heißen. Der Gründer liebäugelt schon länger damit, schließlich wollen die Gesellschafter bald ausgezahlt werden. Noch sei der Finanzmarkt nicht reif, spätestens in drei Jahren soll Rohlik aber aufs Parkett.
Helfen sollen hochrangige Führungskräfte, die der Tscheche bei der Konkurrenz abgeworben hat. „Die Börse in Frankfurt würde am meisten Sinn ergeben“, ergänzt Čupr. Und so mausert sich das tschechische Einhorn vielleicht noch zum deutschen Börsenneuling.
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