Bund und Länder streiten wieder um das 49-Euro-Ticket. Doch auf dem Land begeistert das Angebot nur wenige. Dabei gibt es Ideen für mehr Nahverkehr in der Fläche. Und neue Angebote wie Rufbusse.
Der Bus hält oft zur zweimal am Tag: Eine einsame Haltestelle auf dem Land (Symbolbild).
Um für das neue Angebot zu werben, fuhr Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig am Dienstag raus aufs Land.
„Es ist großartig, dass wir heute den Startschuss für den Aufbau eines landesweiten Rufbussystems in Mecklenburg-Vorpommern geben können“, sagte die SPD-Politikerin im Städtchen Gadebusch – 23 Kilometer von der Landeshauptstadt Schwerin entfernt. Dann nahm Schwesig für die Fotografen in einem der Rufbusse Platz.
Mit dem Rufbus, einem für den ÖPNV-Betrieb umgebauten Van, will die rot-rote Landesregierung die Nahverkehrsmisere in Mecklenburg-Vorpommern beenden. In dem dünn besiedelten Flächenland hatten 2022 laut Allianz pro Schiene nur 66 Prozent der Menschen eine regelmäßig angefahrene Haltestelle in ihrer Nähe – der schlechteste Wert in ganz Deutschland.
Den Landkreis Nordwestmecklenburg, in dem Gadebusch liegt, fahren die Rufbusse bereits seit 1. März auf 33 Linien flächendeckend ab. Bis 2026 soll es das Angebot in ganz Mecklenburg-Vorpommern geben, auch eine landesweite Hotline für die Rufbusse ist geplant. Damit schaffe man „Nahverkehr für alle Menschen – in Stadt und Land“, sagte Verkehrsminister Reinhard Meyer, der mit nach Gadebusch gekommen ist.
Für den SPD-Politiker sind mehr ÖPNV-Fahrten auf dem Land entscheidend für die Verkehrswende. „Das Deutschlandticket war ein wichtiger Schritt, um die Attraktivität des ÖPNV zu steigern“, sagte er dem Tagesspiegel. „Wenn wir aber wollen, dass noch mehr Menschen auf den öffentlichen Nah- und Fernverkehr umsteigen, brauchen wir zwingend einen Angebotsausbau im ÖPNV.“
49-Euro-Ticket ist Verkaufsschlager nur in den Städten
Die Verkaufszahlen des Deutschlandtickets geben Meyer recht. Das 49-Euro-Abo für den Nahverkehr ist vor allem in Großstädten ein Renner. In Mecklenburg-Vorpommern kauften das Ticket im Februar 128.000 Menschen, Brandenburg zählte zuletzt 80.000 Abonnenten, dagegen besitzen in Hamburg und Berlin jeweils mehr als 800.000 Menschen das Ticket.
Während in Großstädten laut einer repräsentativen Befragung des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) aus dem vergangenen Sommer 20 bis 30 Prozent der Einwohner das 49-Euro-Ticket bestellt haben, sind es auf dem Land gerade mal sechs Prozent.
Der klimapolitische Nutzen des Deutschlandtickets bleibt so überschaubar. Das Ticket hat dazu beigetragen, dass 2023 sieben Prozent mehr Fahrgäste mit Bus und Bahn fuhren. Der Andrang lag aber noch immer acht Prozent unter dem Vor-Corona-Niveau 2019, hat das Statistische Bundesamt ermittelt.
Kaum verlagerte Autofahrten
Mit dem günstigen Angebot hat Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) in den Ballungsgebieten die Nutzer nach Corona in den ÖPNV zurückgeholt. Nach jüngsten Zahlen der VDV-Marktforschung sind laut Tagesspiegel-Informationen jedoch nur sechs Prozent der Abonnenten echte Neukunden. Und nur rund fünf Prozent aller Fahrten mit dem Ticket wären sonst mit dem Auto unternommen worden.
„Das Deutschlandticket ist ein teurer Flop“, urteilt deshalb der Ökonom und Mobilitätsexperte Christian Böttger von der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. Der sich ergebende Preis je Tonne eingesparter Emissionen läge demnach bei fast 10.000 Euro, erläutert Böttger. Üblich sei ein CO₂-Preis im Bereich von 40 bis 100 Euro.
Die fehlenden Nutzer auf Land sind auch deshalb brisant, weil das Deutschlandticket viel Steuergeld kostet. Die Verkehrsministerkonferenz (VMK) berät ab diesem Mittwoch in Münster deshalb erneut zwei Tage lang, wie das Angebot gesichert werden kann. Noch hat Verkehrsminister Wissing seine Zusage nicht eingehalten, den Ländern dafür nicht benötigte ÖPNV-Mittel aus dem vergangenen Jahr zur Verfügung zu stellen. Bayerns Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU) warnte deshalb bereits, dass das ÖPNV-Abo noch in diesem Jahr teurer werden könnte.
Kommen höhere Preise?
Vor allem streiten Bund und Länder aber über die kommenden Jahre. Schon 2025 ist eine Preiserhöhung wohl unausweichlich, wenn Bund und Länder weiterhin nur je 1,5 Milliarden Euro pro Jahr für das Ticket zur Verfügung stellen. Noch hat Wissing zudem keine Zusage gemacht, dass der Bund das ÖPNV-Abo über 2025 hinaus mitfinanzieren wird.
Der Vorsitzende der Verkehrsministerkonferenz, Nordrhein-Westfalens Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne), fordert den Bund nun auf, den Fortbestand des Tickets ab 2026 für weitere zehn Jahre zu garantieren. Das geht aus einer von seinem Ministerium erstellten Beschlussvorlage hervor, die dem Tagesspiegel vorliegt.
Zugleich ist ein Mechanismus geplant, damit die Abopreise bei Kostensteigerungen automatisch steigen. So soll verhindert werden, dass Bund und Länder mehr als drei Milliarden Euro zuschießen müssen. Allerdings kann laut der Beschlussvorlage in der Ministerpräsidentenkonferenz auch ein höherer Zuschuss beschlossen werden, um steigende Ticketpreise zu verhindern.
Kein Geld für den Ausbau
Wachsende Kosten, um das Deutschlandticket bei 49 Euro zu halten, würden allerdings auch einen weiteren Ausbau des Angebots – insbesondere auf dem Land – nahezu unmöglich machen. Die Länder fordern von Wissing derzeit dennoch beides: mehr Geld für das Ticket und zusätzliche Milliarden für den geplanten Ausbau- und Modernisierungspakt, der eine Verdoppelung der Fahrgastzahlen bis 2030 ermöglichen soll.
Wenn alle an einem Strang ziehen, ist ein ganz anderer Nahverkehr auf dem Land schon heute möglich.
Evelyn Palla, zuständig für Regionalverkehr im Vorstand der Deutschen Bahn
Es gebe heutzutage die Erwartung, dass auch in ländlichen Regionen ein ordentliches Mobilitätsangebot bereitgestellt werde, sagte Thüringens Verkehrsministerin Susanna Karawanskij (Linke) dem Tagesspiegel.
Welch gewaltige Investitionen nötig sind, damit der öffentliche Verkehr auf dem Land wirklich eine Alternative zum Auto wird, lässt sich derzeit in der Schlei-Region in Schleswig-Holstein beobachten. Seit Ostern fahren dort in einem Pilotprojekt Expresslinien zweimal die Stunde zwischen den größten Städten Kappeln, Schleswig und Eckernförde. Daneben gibt es ein per App buchbares On-Demand-Shuttle sowie Bike- und Carsharing. Damit werde erstmals auch für Menschen auf dem Land das Versprechen eingelöst, „ohne eigenes Auto rund um die Uhr mobil zu sein“, sagte Schleswig-Holsteins Verkehrsminister Claus Ruhe Madsen (CDU).
Die Deutsche Bahn, die maßgeblich an dem Projekt beteiligt ist, zieht nach gut zwei Wochen eine positive Zwischenbilanz. „Die ersten positiven Rückmeldungen zeigen: Wenn alle an einem Strang ziehen, ist ein ganz anderer Nahverkehr auf dem Land schon heute möglich“, sagt die für Regionalverkehr zuständige Vorständin Evelyn Palla dem Tagesspiegel.
Hierfür investiert der Bund bis Ende 2025 30 Millionen Euro, vom Land kommen sieben Millionen Euro. Um ein vergleichbares Angebot in ganz Deutschland parallel zum Deutschlandticket anzubieten, müssten die Zuschüsse für den ÖPNV laut einer Studie des Bundesverkehrsministeriums bis 2031 auf 20,7 bis 31,0 Milliarden Euro pro Jahr ansteigen (je nach Szenario). Zum Vergleich: 2022 waren es lediglich 11,5 Milliarden Euro.
Angesichts knapper Haushalte ist ein solcher Anstieg der staatlichen Zuschüsse nicht in Sicht. Der Mobilitätsexperte Christian Böttger hat deshalb einen anderen Vorschlag, wie die Fahrgastzahlen in die Höhe getrieben werden könnten.
Das größte Potenzial für den ÖPNV bestehe weiterhin in den Ballungsgebieten, sagt er. „Wenn man in den Städten die Zahl der Parkplätze begrenzen und Parken teurer machen würde, wären die Busse und Bahnen schnell deutlich voller“, betont er. „Doch vor diesem Schritt schrecken derzeit alle Parteien zurück.“
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