Die 74. Berlinale geht los mit AfD-Debatte: Im falschen Film?

die 74. berlinale geht los mit afd-debatte: im falschen film?

Vom 15. bis zum 25. Februar ist es wieder so weit: Berlinale!

Bin ich im falschen Film?! Die Redewendung beschreibt ein Gefühl, das in letzter Zeit stark zugenommen hat. Letzte Woche erst durfte man wieder staunend dabei zusehen, wie sich das, was man so für die Realität hält, vor den eigenen Augen verschiebt oder gar ganz verlustig geht.

Als die schwer mangelhafte Kommunikation der Berlinale-Leitung dafür sorgte, dass die letztlich leider demokratisch gewählten Vertreter der AfD zuerst wie üblich eingeladen (und das sei auch gut so) und ein paar Tage später wieder ausgeladen (das sei jetzt doch besser so) wurden – was dann wiederum dazu führte, dass die AfD-Landeschefin Brinker vor der versammelten Hauptstadtpresse genüsslich erzählen durfte, welche „unabsehbaren Gefahren für unser gesellschaftliches Miteinander“ aus dieser Entscheidung resultieren.

„Gerade der Kulturbetrieb muss unterschiedliche Haltungen aushalten, er lebt sogar von den Spannungen, die sich daraus ergeben“, belehrte Brinker betroffen. „Weltweit treten Kulturschaffende für Freiheit ein, für Diversität und Pluralität.“ Als hätten alle außer der AfD das vergessen. Das Verhalten der Berlinale-Verantwortlichen sei genau das Gegenteil: „Sie dulden keine Abweichung.“

Richtig, das erzählt die Partei, deren völkische Geheimpläne für die Remigration hiesiger Staatsbürger gerade publik wurde. Es erzeugte Gefühle leichter Verstörung, dieses absurde Schauspiel mitanzusehen. Aber man ist das ja gewohnt mittlerweile, nur ein weiterer Beleg für einen Weltzustand, der jede Sekunde noch etwas wahnwitziger zu werden scheint und in der immer größere Teile der Gesellschaft ein sinnhaftes Zurechtfinden zunehmend als schwierig empfinden. Weil sich klare Richtungen (rechts, links) genauso auflösen wie die schlichte Existenz einer Zukunft. An die man sich schon so gewöhnt hatte! Man gerät zunehmend ins Schwimmen und ins Straucheln.

Und das liegt ja auch daran, dass in der Wirklichkeit immer wieder Dinge passieren, über die jeder Drehbuchautor sagen würde: Ist übertrieben! Es passieren permanent Sachen, die einem Drehbuchautor zu ausgedacht vorkämen. Vor dem amerikanischen Super-Bowl-Finale zum Beispiel glaubten offenbar nicht wenige Menschen der Verschwörungstheorie, dass Taylor Swift gar nicht wirklich in den Football-Star Travis Kelce verliebt wäre, sondern die Sängerin eine Geheimagentin, und dass alles nur inszeniert sei, auch der Sieg seiner Mannschaft schon vorher feststünde, und ihre Anwesenheit im Stadion nur dazu da, um am Ende Wahlkampf zu machen für Biden. Das Pentagon fühlte sich gezwungen, zu dementieren. Sehr große Teile der USA glauben immer noch, dass die Wahl von Biden gestohlen sei. Es ist sehr gut möglich, dass Donald Trump noch einmal Präsident wird. Nur Opa Joe kann die freie Welt noch retten. Ja, der Blick ins politische Amerika wirkt wie ein Katastrophenfilm.

Natürlich führt das zu einer Krise des Kinos, einer Krise des Erzählens, in dem es immer darum ging, andere, alternative Realitäten zu schaffen. Doch die Fantasie erleidet gerade Schiffsbruch an der Wirklichkeit. Sie kommt einfach nicht mehr mit.

Denn: Wenn man sich in echt ständig im falschen Film wähnt, wieso soll ich dann überhaupt noch Filme schauen?

Wenn heute also die 74. Ausgabe der Berlinale losgeht, ist sie in der Stadtgeschichtsschreibung bereits als „AfD-Berlinale“ notiert. Die Partei darf nicht mehr zur Party kommen, ist aber trotzdem präsenter als alle anderen und lässt seitdem umso doller die Korken knallen. Noch einmal die AfD-Frau Brinker, die selbst ausgeladen wurde: „Sie (die Berlinale, Anm. d. Red.) grenzen Menschen aus, die mit den herrschenden Verhältnissen hadern und sich mit der Hoffnung auf eine Revitalisierung der Demokratie uns, der AfD, zuwenden.“ AfD, Revitalisierung der Demokratie – im Kopf dreht sich alles.

Nun muss man über die desaströse Kommunikation der Berlinale kein Wort mehr verlieren. Aber die Direktoren von Museen, Universitäten, Documentas und Filmfestivals möchte man gerne daran erinnern, dass ihre Jobbeschreibung auch vorsieht, dass man bei heißlaufenden Debatten, oder, wie es die Neupolitikerin Mai Thi Nguyen-Kim gerade nannte, „Diskussionsklimakrisen“, diese über Wörter und Sätze steuern, und also öffentliche Erzählungen finden muss, die im besten Fall erstens glaubwürdig und stichhaltig sind und zweitens stärker als die der Gegner (die leider oft Gegner der Demokratie sind). Weniger die Drehbuchautoren als die Direktionen müssen besser erzählen lernen.

Heute befindet man sich in einer Debatte in sekundenschnelle diskurstechnisch mitten im umkämpften Schlund von Gaza, in der immer noch klaffenden Wunden des Nationalsozialismus oder in neurechtem Geknatter wider. Wenn man damit nicht umgehen kann, sollte man sich in 2024 bitte nicht für das Amt einer Presseleitung, und erst recht nicht für eine verantwortliche Direktion bewerben.

Eine schöne Berlinale Ihnen allen!

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