Gericht sieht Gefahr genozidaler Handlungen: Was der UN-Entscheid für Israel bedeutet

Der Internationale Gerichtshof verlangt Schutz der Zivilbevölkerung in Gaza und ausreichende humanitäre Hilfe – aber kein Ende der Kampfhandlungen. Was Experten sagen.

gericht sieht gefahr genozidaler handlungen: was der un-entscheid für israel bedeutet

Die Vorsitzende des Internationalen Gerichtshofes, die US-Amerikanerin Joan Donoghue, verliest die Entscheidungen der insgesamt 17 Richter.

Auch wenn Israel nicht zur Einstellung der Militäroperationen in Gaza verpflichtet wurde: Der Internationale Strafgerichtshof (IGH) in Den Haag sieht die Gefahr, dass Israel im Gaza-Krieg gegen die Völkermordkonvention verstößt. Damit ist er in weiten Teilen der Argumentation Südafrikas gefolgt und hat Eilmaßnahmen gegen Israel verhängt. Damit soll „irreparabler Schaden“ am palästinensischen Volk verhindert werden.

Ausführlich hat die Vorsitzende des höchsten UN-Gerichts, die US-Amerikanerin Joan Donoghue, die weitgehende Zerstörung des Gazastreifens, die katastrophale Versorgung und die hohe Zahl der getöteten Zivilisten beschrieben. Auch zitierte sie ausführlich die hetzerischen Äußerungen israelischer Minister und des Präsidenten, um darzulegen, warum das Gericht diese Gefahr sieht.

Das Gericht verlangt daher von Israel, sicherzustellen, dass das Töten von Zivilisten möglichst verhindert wird. Außerdem müsse es die humanitäre Lage verbessern. Zudem fordern die Richter, dass Israel das Aufhetzen zum Genozid „verhindert und bestraft“.

Israel muss in einem Monat Bericht vorlegen

Zugleich müsse Israel sicherstellen, dass sich die humanitäre Lage dort verbessert. Außerdem verlangten die Richter, dass Israel das Aufhetzen zum Genozid „verhindert und bestraft“. Und es müsse dafür sorgen, dass Beweise für ein späteres Gerichtsverfahren erhalten blieben.

Das Gericht verzichtete aber auf die Forderung nach einem sofortigen Ende der Kampfhandlungen, die Kläger Südafrika gefordert hatte. Israel muss dem Gericht in einem Monat in einem Bericht darlegen, wie es seinen Anordnungen Folge geleistet hat.

Eilentscheidung ist kein Urteil

Eilmaßnahmen sind kein Urteil darüber, ob es Verletzungen der Völkermordkonvention gegeben hat. Erst in einem Hauptverfahren, das Jahre dauern wird, muss die Absicht zum Völkermord nachgewiesen werden. Experten rechnen nicht damit, dass Israel im Hauptverfahren nicht verurteilt wird.

Südafrika hatte den Internationalen Gerichtshof in Den Haag (IGH) am 29. Dezember angerufen, weil es Israel vorwirft, gegen seine Verpflichtungen gemäß der Völkermordkonvention zu verstoßen. Der IGH, der im historischen Friedenspalast in Den Haag seinen Sitz hat, spricht bei Konflikten zwischen Staaten Recht.

Die 15 permanenten Richter sowie die beiden Ad-hoc-Richter, die Südafrika und Israel entsenden durften, haben die meisten Sofortmaßnahmen mit nur einer oder zwei Gegenstimmen verhängt.

Israelischer Richter stimmt zwei Eilmaßnahmen zu

Auch der von der israelischen Regierung entsandte Richter Aharon Barack, stimmte der Verpflichtung Israels zu, mehr humanitäre Hilfe im Gazastreifen zuzulassen und das Aufhetzen zum Genozid zu verhindern und zu bestrafen.

Der ehemalige Vorsitzende des Obersten Gerichtshofs in Israel gilt als Kritiker von Premier Benjamin Netanjahus Politik. Allein die ugandische Richterin Julia Sabatindy stimmte gegen alle verhängten Auflagen.

Nach Ansicht des Völkerrechtlers Kai Ambos ist das Gericht „weitgehend Südafrika gefolgt“. Das IGH sehe ein „reales und unmittelbares Risiko“, dass bestimmte genozidale Handlungen begangen werden. Er weist darauf hin, dass 14 der 15 permanenten Richter allen Maßnahmen zugestimmt hätten.

Eine Anordnung zum Ende der Kampfhandlungen sei nicht zu erwarten gewesen, „denn das geht über den Schutzzweck der Völkermordkonvention hinaus“, sagte Ambos dem Tagesspiegel.

Der Druck auf Israel, die Zivilbevölkerung zu schützen, steigt enorm.

Muriel Asseburg, Politikwissenschaftlerin

Auch die Politikwissenschaftlerin Muriel Asseburg von der Stiftung für Wissenschaft und Politik unterstreicht, dass das Gericht „mit großer Mehrheit“ entschieden habe. Damit „steigt der Druck auf Israel enorm“, die Zivilbevölkerung und zivile Infrastruktur in Gaza besser zu schützen und humanitäre Hilfe „in alle Teile“ des Gazastreifens zu lassen.

Sie weist gegenüber dem Tagesspiegel darauf hin, dass „alle anderen Unterzeichnerstaaten der Völkerrechtskonvention in der Pflicht sind, auf die Umsetzung der Eilmaßnahmen zu dringen“.

Und wohl auch mit Blick auf die USA und Deutschland fügt Asseburg hinzu: „Dies gilt insbesondere für diejenigen Staaten, die Israels Kriegführung durch die Lieferung von Waffen unterstützen.“ Ein nahes Ende des Krieges bedeute die Gerichtsentscheidung jedoch nicht, sagte Asseburg

Äußerungen israelischer Minister werden vom Gericht als Beleg angeführt

Die Vorsitzende des Gerichts hat in der Sitzung nicht nur ausführlich aus UN-Berichten zur katastrophalen Lage in Gaza zitiert. Sondern auch ausführlich die hetzerischen Äußerungen israelischer Minister und des Staatspräsidenten verlesen. Diese hatte Südafrika in seinem 84-seitigen Dossier auf acht Seiten ausführlich dargelegt.

Darunter Verteidigungsminister Yoav Gallant, der zu Beginn des Krieges erklärte, man kämpfe in Gaza gegen „menschliche Tiere“ und riegele den Gazastreifen daher total ab: „Kein Strom, kein Essen, kein Wasser, kein Benzin“. Dabei unterschied er nicht eindeutig zwischen Hamas-Kämpfern und Zivilbevölkerung.

Oder Präsident Herzog, der „eine gesamte Nation verantwortlich“ machte für die Terroranschläge vom 7. Oktober. „Die Rhetorik über Zivilisten, die nicht involviert sind, ist absolut falsch und wir werden kämpfen, bis wir ihnen das Rückgrat gebrochen haben“, zitierte die Richterin.

Südafrika spricht von „Meilenstein“

Südafrika hat die Entscheidung des Gerichtshofs, dass eine Gefahr von Völkermord im Gazastreifen bestehe, als „einen entscheidenden Sieg für die internationale Rechtsstaatlichkeit“ begrüßt. Der Beschluss sei „ein bedeutender Meilenstein bei der Suche nach Gerechtigkeit für das palästinensische Volk“, teilte das Außenministerium am Freitag mit.

Der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu hat die Klage Südafrikas gegen sein Land erneut scharf kritisiert. „Der gegen Israel erhobene Vorwurf des Völkermords ist nicht nur falsch, sondern empörend, und anständige Menschen überall sollten ihn zurückweisen“, erklärte Netanjahu am Freitag in einer Videobotschaft. Er versicherte, dass Israel internationales Recht achte.

Israel führt seit den Massakern der Hamas in Israel am 7. Oktober Krieg in Gaza, mit dem offiziellen Ziel, die Terrororganisation zu zerstören und die über 100 verbliebenen Geiseln zu befreien. Mittlerweile ist der Gazastreifen großflächig zerstört und unbewohnbar.

Nach Angaben der Hamas-geführten Gesundheitsbehörde sind fast 25.700 Menschen getötet worden, und 7000 werden noch unter den Trümmern vermisst. Etwa 85 Prozent der palästinensischen Bevölkerung von 2,3 Millionen sind mittlerweile vertrieben.

Was sagt die Völkermordkonvention?

Der „Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes“ war als Lehre aus dem Holocaust 1948 von der UN-Vollversammlung verabschiedet worden. Sie definiert Völkermord als Handlungen, die „in der Absicht“ begangen werden, „eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören“.

Zu diesen Handlungen zählen die „Tötung von Mitgliedern der Gruppe, die Verursachung von schwerem körperlichen oder seelischem Schaden, Maßnahmen, die auf die Geburtenverhinderung innerhalb der Gruppe gerichtet sind“ und „die vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für die Gruppe, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen“.

Dabei ist nicht nur der Versuch, Völkermord zu begehen oder die Teilnahme strafbar, sondern auch die „unmittelbare und öffentliche Anreizung zur Begehung von Völkermord“.

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