Rumänien: Warum es in Birthälm ein Ehegefängnis gab

In einer rumänischen Gemeinde soll es nur zu einer einzigen Scheidung in 300 Jahren gekommen sein. Denn zerstrittene Paare sperrte man in Birthälm in den »Versöhnungsturm«: wochenlang auf engsten Raum, um die Ehe zu retten.

rumänien: warum es in birthälm ein ehegefängnis gab

Rumänien: Warum es in Birthälm ein Ehegefängnis gab

Wenn ein Paar sich trennt und noch dazu im Schlechten auseinandergeht, können die Ex-Partner einander oft einfach nicht mehr sehen. Der Anblick, das Verhalten und die Macken, der Geruch: Alles ist dann zu viel.

Umso drakonischer klingt die Geschichte des Ehegefängnisses oder – so die sympathischere Bezeichnung – des »Versöhnungsturms« im siebenbürgischen Birthälm (rumänisch: Biertan). Ab Ende des 16. Jahrhunderts wurden dort trennungswillige Paare in eine Kammer der Kirchburg gesperrt. Der Auftrag: Sie sollten an ihrer Beziehung arbeiten. Und sie möglichst retten. Auf engstem Raum mussten die Eheleute es bis zu sechs Wochen lang miteinander aushalten und sich noch dazu alle Gegenstände teilen: Messer, Gabel, Teller, Bett – von allem gab es nur ein Exemplar.

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»In rund 300 Jahren soll es wegen des Ehegefängnisses nur eine einzige Scheidung in Birthälm gegeben haben«, sagt Pfarrer Ulf Ziegler, 54, am Telefon. Er arbeitet seit 1996 in der Evangelischen Kirchengemeinde Birthälm in Rumänien und beschäftigt sich mit der Geschichte der Region.

Ab dem 12. Jahrhundert lockte die ungarische Krone Siedler aus dem Elsass, Flandern, dem Rheinland und der Pfalz nach Siebenbürgen, auch Transsilvanien genannt. Dort lebten sie in befestigten Dörfern, den sogenannten Kirchburgen. Etwa 300 soll es im späten Mittelalter gegeben haben. Sieben Kirchburgen sind heute Teil des Unesco-Weltkulturerbes, darunter Birthälm.

Bloß keine Scheidungen rund um den Bischofssitz

Ab 1572 war der kleine Ort Bischofssitz der evangelischen Kirche Augsburgischen Bekenntnisses in Rumänien. Ziegler vermutet einen Zusammenhang zwischen der Zeit der sogenannten Superintendentur und der Entstehung des Versöhnungsturms: »Rund um den Bischofssitz sollte es keine problematischen Vorkommnisse wie Scheidungen geben. Das Ehegefängnis diente dafür als Instrument.«

Wer die Kammer für zerstrittene Paare einrichten ließ und wann genau das geschah, verliert sich in den Wirren der vergangenen Jahrhunderte. Angreifende Türken und Tataren brannten das Bischofshaus viermal nieder und zerstörten dabei auch das Archiv.

»Fast alles, was wir heute über das Ehegefängnis wissen, stammt aus Quellen anderer Gemeinden und aus mündlichen Ãœberlieferungen«, sagt Ziegler. Daher gibt es keine zweifelsfreien Belege für die Erfolgsquote, dass es in gut drei Jahrhunderten wirklich nur eine Scheidung gab.

Die Zahl der eingesperrten Paare ist unbekannt, ebenso mögliche Gewaltdelikte während der Kirchburghaft. Überhaupt müsse man den Versuch, dem Eheglück nachzuhelfen, aus der damaligen Zeit heraus verstehen, so Ziegler: »Es herrschte das Patriarchat«, Gefühle waren nicht von Belang.

Wenn Ehen nach der Gefängniszeit weiter hielten, hatte das eher ökonomische als romantische Gründe. »Die Menschen mussten sich ihren Lebensunterhalt selbst erwirtschaften«, erklärt Ziegler. »Weil sie in Haft nicht arbeiten konnten, stieg der wirtschaftliche Druck mit jedem Tag.«

Touristen sind erstaunt und angetan

Dennoch können viele Besucherinnen und Besucher Birthälms dem Ehegefängnis etwas Positives abgewinnen. »Mensch, vielleicht sollten wir auch mal eine Nacht in der Kammer verbringen und darüber reden, was uns im Leben wichtig ist«, so schildert Ziegler eine häufige Reaktion.

Heute ist die Kammer weder Knast noch Gästezimmer, sondern ein Museumsraum. Vor einigen Jahren hat der Pfarrer ihn gemeinsam mit einem Kurator im historischen Stil wiederhergerichtet. Darin stehen Möbel, wie es sie im späten 16. Jahrhundert gab: ein Bett, ein Tisch, ein Stuhl.

»Darauf sitzt die Frau, eine Puppe, und der Mann steht daneben. Sie redet, er hört zu«, sagt Ulf Ziegler.

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