Minsk, Februar 2015: Putin, Hollande, Merkel und Poroschenko
Christoph Heusgen war sicherheitspolitischer Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel, als Russland im Frühjahr 2014 mit der Annexion der Krim und dem Krieg im Donbass seine Aggression gegen die Ukraine begonnen hat. In dieser Funktion war er jahrelang tief in Berlins Versuche eingebunden, gemeinsam mit Frankreich zwischen der Ukraine und Russland zu vermitteln, um eine Lösung des Konflikts zu finden. Deshalb hat es aufhorchen lassen, als er dieser Tage in Interviews und Talkshows die Minsker Vereinbarungen von 2014 und 2015 als mögliches Vorbild für eine Verhandlungslösung in Russlands Krieg gegen die Ukraine gepriesen hat.
Heusgen hat zwar kein Amt mehr und damit auch keinen unmittelbaren Einfluss mehr auf die deutsche Politik. Aber als Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, die an diesem Freitag beginnt, kann er sich immer noch eines großen Publikums sicher sein, wenn er sich zu außenpolitischen Fragen äußert – das gilt umso mehr, wenn er Themen anspricht, mit denen er in seiner aktiven Zeit befasst war. Die Minsker Vereinbarung habe heute einen schlechten Ruf, sagte Heusgen etwa dem „Hamburger Abendblatt“: „Ich halte das für ungerechtfertigt.“
Die deutsche Politik hat noch am Vorabend von Russlands groß angelegtem Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 gehofft, auf Grundlage der Minsker Vereinbarungen zu einer Friedenslösung zu kommen. In der Ukraine war „Minsk“ da schon lange zu einem Synonym für westliche Illusionen geworden, Russland mit Zugeständnissen zum Nachteil der Ukraine zu einem Ende seiner Aggression zu bewegen.
Verhandlungen während des Vormarschs russischer Truppen
Bei den Minsker Vereinbarungen handelt es sich um drei Dokumente, die von Vertretern der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), der Ukraine, Russlands und der sogenannten prorussischen Separatisten im Donbass (die in Wirklichkeit im Auftrag Moskaus agierten) unterzeichnet worden sind.
Die ersten beiden stammen aus dem September 2014. Eines sah einen Waffenstillstand vor, das andere Schritte zu einer politischen Lösung des Konflikts. Beide wurden von den russischen Kräften schon im Herbst 2014 offen gebrochen. Das dritte Dokument, das aus Maßnahmen zur Verwirklichung der ersten beiden Vereinbarungen besteht, wurde im Februar 2015 in der belarussischen Hauptstadt im Beisein von Bundeskanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Präsident François Hollande, des ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko und des russischen Präsidenten Wladimir Putin ausgehandelt. In den Wochen zuvor hatte der Kreml die Kämpfe im Osten der Ukraine eskalieren lassen, russische Truppen waren auf dem Vormarsch.
Angesichts der für die Ukraine äußerst bedrohlichen militärischen Lage konnte Putin in dem siebzehn Stunden währenden Verhandlungsmarathon in Minsk mehrere Punkte durchsetzen, die für die Ukraine sehr nachteilig waren. Sie sollte den von Russland kontrollierten „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk einen Sonderstatus geben, für den die ukrainische Verfassung geändert werden sollte. Diese Änderungen sollten mit den Führern dieser Gebiete abgestimmt werden. Russland hätte damit direkten Einfluss auf den Aufbau des ukrainischen Staats bekommen. Und nicht nur das: Die Ukraine hätte erst am Ende des politischen Prozesses, den Moskau zu jeder Zeit sabotieren konnte, wieder die volle Kontrolle über ihr Territorium im Donbass bekommen sollen.
Der Aggressor stilisiert sich zum Vermittler
Vor allem aber konnte Russland durchsetzen, dass es in den Vereinbarungen nicht als Konfliktpartei genannt wurde. Der Aggressor konnte sich damit als „Vermittler“ darstellen. Dieser Konstruktionsfehler war für den Verlauf der Gespräche im Rahmen der Minsker Vereinbarungen in den kommenden Jahren von großer Bedeutung: Da Moskau nicht als Partei galt, weigerte es sich, über seine massiven eigenen Verstöße gegen die Vereinbarung auch nur zu reden.
Die von der Ukraine nicht erfüllten Punkte dagegen waren regelmäßig Thema. Russland forderte von Frankreich und Deutschland, Druck auf Kiew auszuüben – und diese forderten die Ukraine immer wieder auf, endlich die in den Minsker Vereinbarungen geforderten Gesetze zu beschließen. In den russisch kontrollierten „Volksrepubliken“ wurde derweil ein Terrorregime errichtet, das den Beginn der vereinbarten politischen Schritte vollkommen unmöglich machte.
Den Waffenstillstand brach Russland von Anfang an: Als er in Kraft treten sollte, begannen russische Truppen, den Eisenbahnknotenpunkt Debalzewe zu stürmen, der laut Vereinbarung unter Kontrolle der ukrainischen Regierung bleiben sollte. Später behinderten die von Russland gelenkten Separatisten – anders als die Ukraine – auch die Überwachung des Waffenstillstands durch die OSZE-Beobachter systematisch.
Die Minsker Vereinbarungen waren zu keiner Zeit geeignet, den Konflikt zu beenden. Dennoch waren sie damals nicht sinnlos. Sie haben die Kämpfe zu einer Zeit regional begrenzt, als die Ukraine noch nicht in der Lage gewesen wäre, sich gegen einen groß angelegten Angriff Russlands erfolgreich zu wehren. Das Abkommen sei der Versuch gewesen, der Ukraine Zeit zu geben, hat Angela Merkel Ende 2022 zu Zeit Online gesagt: „Sie hat diese Zeit auch genutzt, um stärker zu werden, wie man heute sieht.“ Leider kann man das nicht über die von ihr geführte deutsche Regierung sagen. Im Gegenteil: Sie hat in den Jahren nach Minsk mit ihrer fatalen Politik gegenüber Russland – allem voran mit der Unterstützung für die Gaspipeline Nord Stream 2 – dazu beigetragen, Putin zum nächsten Angriff auf die Ukraine zu ermuntern.
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