«Wir sollten die Franzosen nicht einfach aufgeben»: Mit Tschad hält der erste afrikanische Putschstaat wieder eine Wahl ab
Montagmorgen acht Uhr in der Kleinstadt Farchana im Osten von Tschad. Die Strasse ist leer, nur vor einem kleinen Holztisch haben sich eine Handvoll Männer und Frauen versammelt. Es ist Wahltag. Wer den Wahlhelfern hinter dem Tisch per Ausweis belegt, einer der 8,5 Millionen Wahlberechtigten im Sahelstaat zu sein, erhält ein Blatt Papier. Darauf: die Namen und Gesichter von neun Kandidaten und einer Kandidatin, die ein Land regieren möchten, das flächenmässig mehr als dreimal so gross ist wie Deutschland. Noch viel grösser sind die Herausforderungen für den Staatspräsidenten: steigende Preise, Arbeitslosigkeit, Spannungen zwischen Landesteilen, Konflikte in mehreren Nachbarländern, allen voran im Sudan, aus dem mehr als 750 000 Menschen nach Tschad geflohen sind.
«Ich hoffe, dass wir einen Präsidenten finden, der der Aufgabe gewachsen ist», sagt ein 36-jähriger Mitarbeiter einer humanitären Organisation. Er hat gerade seinen Wahlzettel in eine Plastikurne gesteckt. «Damit wenigstens jeder Tschader ein Stück Brot zwischen die Zähne bekommt.»
Tschad ist das erste der afrikanischen Länder, in denen Militärs in den vergangenen Jahren die Macht ergriffen haben, das eine Wahl durchführt. Sie soll die Rückkehr zur Zivilherrschaft markieren. Andernorts – in Mali und Burkina Faso – haben die Junten versprochene Wahlen verschoben oder für «nicht prioritär» erklärt.
Die Präsidentenwahl in Tschad findet aber im Ausland nicht deshalb Beachtung, weil sie besonders umkämpft wäre: Der zivile Präsident wird mit grösster Wahrscheinlichkeit derselbe sein, der bisher in Uniform regiert hat: Mahamat Déby, 40 Jahre alt, in Tschad und Frankreich ausgebildeter Viersternegeneral und Sohn eines Vaters, der Tschad von 1990 bis 2021 autoritär führte. Nachdem der Vater Idriss Déby bei einem Gefecht von Rebellen getötet worden war, übernahm der Sohn die Macht.
Die Wahl sorgt vor allem im westlich geprägten Ausland für Nervosität, weil man den letzten Verbündeten im Sahel zu verlieren fürchtet – in dem riesigen, von islamistischen Terroristen heimgesuchten Landstreifen südlich der Sahara, in dem sich in den vergangenen Jahren mehrere Putschregierungen Russland zugewandt haben.
Mahamat Idriss Déby, ganz in Weiss, am Montag auf dem Weg zur Stimmabgabe. Stringer/Reuters
Tschad ist «kein Sklave»
Tschad ist seit Jahrzehnten ein wichtiger militärischer Partner des Westens und eine Säule von «Françafrique», etwas mehr als 1000 französische Soldaten sind im Land stationiert. Doch in den Monaten vor der Wahl hat Mahamat Déby einiges unternommen, um den Eindruck loszuwerden, dass er ein Günstling des Westens sei. Im Januar flog er nach Moskau, wo er den russischen Präsidenten Wladimir Putin traf, um Formen der Zusammenarbeit auszuloten. Im April wies Tschads Militär rund 60 amerikanische Soldaten aus dem Land. Die USA führen Gespräche mit Tschad, sie hoffen, dass die Soldaten nach der Wahl zurückkehren können.
Trotz diesen Manövern hat sich Mahamat Déby nicht im gleichen Mass als Antiimperialist in Pose geworfen wie Putschisten in Mali, Burkina Faso und Niger, die französische und amerikanische Truppen aus dem Land gewiesen haben. Déby hat in einem Interview mit französischen Journalisten auch gesagt, Tschad sei nicht «ein Sklave, der einen neuen Herrscher sucht» – in Form von Russland. Man wolle mit allen Ländern zusammenarbeiten, wo dies auf respektvolle Weise möglich sei.
So sehen das auch Wähler beim Wahllokal im Osten des Landes. Mahamat Babikir, ein 25-jähriger Student, sagt: «Wir sollten die Franzosen nicht einfach aufgeben, wir sind Freunde. Aber wir sind auch ein souveränes Land, das mit allen Ländern Partnerschaften haben sollte.»
Und der Mitarbeiter der humanitären Organisation sagt: «Es ist besser, mit Demokratien zusammenzuarbeiten. Aber solange es eine Win-win-Situation ist, sollten wir unsere Partnerschaften diversifizieren.»
Macrons Segen für Déby
Mahamat Déby hat wie schon sein Vater Frankreich einiges zu verdanken. 2019 bombardierten französische Kampfjets Rebellen, die auf die Hauptstadt Ndjamena zumarschierten. Bei der Beerdigung von Idriss Déby sass Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in der ersten Reihe neben dem neuen Machthaber Mahamat Déby – und erteilte dem Juntaführer so seinen Segen, was in Tschad wie in Frankreich viele verärgerte.
Es ist trotzdem denkbar, dass Déby sich nach gelungener Wahl weiter Russland annähert, das sich in den vergangenen Jahren als eine Art Rettungsschwimmer für afrikanische Autokraten etabliert hat. Déby fährt aber tatsächlich mehrgleisig. So stützen die Vereinigten Arabischen Emirate sein Regime finanziell. Mit Ungarn traf er ein Abkommen über die Entsendung von mehr als 100 ungarischen Soldaten, das viele Fragen aufwarf.
Déby kann Hilfe gut gebrauchen. Sein Regime ist zerbrechlich. Im Sicherheitsapparat gibt es pro- und antiwestliche Elemente. Der Süden des Landes fühlt sich seit Jahrzehnten benachteiligt gegenüber dem Norden, aus dem die Débys stammen.
Der junge Juntaführer hat vieles getan, um seine Herrschaft auf Dauer zu stellen. Im Oktober 2022 töteten Sicherheitskräfte in der Hauptstadt Ndjamena mehr als hundert Demonstranten, die gegen die Junta protestierten. Ende Februar erschossen Soldaten den wichtigsten Oppositionsführer – angeblich, weil dieser sich seiner Verhaftung widersetzte.
Déby ist überall
Kaum jemand glaubt deshalb, dass die Wahl vom Montag fair verläuft. Das Resultat soll am 21. Mai bekanntgegeben werden. Oppositionelle und zivilgesellschaftliche Aktivisten hatten im Vorfeld zum Boykott aufgerufen, es handle sich um eine «Maskerade» einer dynastischen Diktatur. In der Hauptstadt war der designierte Gewinner in den Tagen vor der Wahl überall zu sehen: auf Wänden, Autos, Bannern, einmal im Anzug, einmal mit gerecktem Daumen, untermalt von Sprüchen wie: «Ein einziger Kandidat, eine einzige Wahl».
Die Präsidentenwahl in Tschad, die viele wegen der geopolitischen Bedeutung eng beobachten, wirkt deshalb eher wie eine Kür als eine Wahl. Beim Wahllokal in Farchana im Osten des Landes hat sich Mahamat Babikir mit dem Sieger schon arrangiert. Er sagt: «Wir schauen, ob er fähig ist. Falls nicht, wählen wir ihn in fünf Jahren ab. Und wenn er an das Volk und die Verfassung glaubt, tritt er dann auch ab.»