Wien Energie: Wenn es unangenehm ist, zu viel zu verdienen
Wien Energie: Wenn es unangenehm ist, zu viel zu verdienen
Wien. Wenn Unternehmen ihre Bilanzzahlen präsentieren, geht mit manchen Firmenchefs die Kreativität durch. Da werden Zahlen schöngerechnet, Projekte aufgeblasen, Gewinne in Aussicht gestellt, die es gar nicht gibt. Bis das Kartenhaus eben zusammenstürzt. Das genaue Gegenteil passiert seit geraumer Zeit in der heimischen Energiebranche. Da mühen sich die Konzernbosse eher, ihre Rekordgewinne so gut es geht klein zu reden. Das jüngste Beispiel lieferte die stadteigene Wien Energie: Der Versorger, Marktanteil von 75 Prozent in der Bundeshauptstadt, erwirtschaftete im Vorjahr trotz sinkender Strom- und Gaspreise an den Börsen 598,1 Millionen Euro Gewinn. Um die Hälfte mehr als im Vorjahr.
Gute Nachrichten, sollte man denken. Doch ganz geheuer sind sie der Wien Energie, die im Sommer 2022 noch Milliardenkreditlinien von der Politik brauchte, um nicht in Schieflage zu kommen, offenbar nicht. Und so verweist Wien Energie-Chef Michael Strebl lieber auf den um ein Fünftel gesunkenen Umsatz und kramt eine Gewinn- und Verlustrechnung hervor, in der unterm Strich 300 Millionen Euro weniger Plus steht. Diese 300 Millionen seien ohnedies nur Bewertungsgewinne weil etwa die vollen Gasspeicher oder die Kraftwerksanlagen heute als wertvoller gelten als vor einem Jahr. So gerechnet sei der Gewinn „eh“ um 15,3 Prozent auf 294,8 Millionen Euro gesunken. Aber warum ist es für einen Firmenchef plötzlich besser, nur nicht zu erfolgreich zu wirken?
„Wir investieren jeden Euro“
Grund Nummer eins ist die Energiekrise, die Konsumenten und Politiker auf das Thema der hohen Strompreise sensibilisiert hat. Grund Nummer zwei ist die Tatsache, dass die Wien Energie aufgrund ihres Eigentümers (der roten Stadt Wien) eben kein normales Unternehmen, sondern immer auch ein Politikum ist. Tatsächlich dauerte es am Freitag nach Bekanntwerden der Zahlen nicht lange, bis sich blaue und grüne Stadtpolitiker in seltener Einigkeit auf das Unternehmen eingeschossen haben, um rasch sinkende Preise für ihre mehr als eine Million Kundinnen und Kunden zu fordern.
Was nutzen da Beteuerungen vom Management, dass man die gefallenen Großhandelspreise über diverse Bonusprogramme frühzeitig an die Konsumenten weitergegeben habe und zudem noch eine reguläre Strom- und Gaspreissenkung für alle vor dem Sommer eingeplant habe? Was nutzt es, wenn die neue dritte Geschäftsführerin Alma Kahler referieren darf, dass unzufriedene Kundinnen und Kunden heute nicht einmal mehr halb so lange in der Warteschleife hängen, wie noch vor einem Jahr?
„Uns ist bewusst, dass die Energiekrise nicht nur für uns schwierig war“, sagt Strebl dazu. „Aber wir investieren jeden Euro, den wir verdienen. In gute Preise für unsere Kunden, in die Versorgungssicherheit und in Erneuerbare Energie.“ Zwischen 2024 und 2029 will das Unternehmen 2,6 Milliarden Euro ausgeben. Schon heuer wird der letztjährige Investitionsrekord mit 502 Millionen Euro pulverisiert. „Wir werden Wien Stück für Stück klimaneutral machen.“
Größter Solarproduzent im Land
Tatsächlich ist das Unternehmen heute bereits der größte Solarkraftbetreiber des Landes, der größte (irgendwann auch grüne) Fernwärmeanbieter, die Wien Energie errichtet die größte Wärmepumpe Mitteleuropas und bohrt gemeinsam mit der OMV tief unter den Straßen der Stadt nach Geothermie.
320 Millionen Euro gehen bis 2029 alleine in die Versorgungssicherheit, inklusive dem Umstieg von russischem auf nicht-russisches Erdgas. Die Kunden der Wien Energie verbrauchen im Schnitt fünf bis sechs Terawattstunden Gas im Jahr. Etwa die Hälfte davon konnte das Unternehmen aus Norwegen und anderen nicht russischen Staaten sichern. Für heuer laufen „intensive Verhandlungen, um einen ähnlich hohen Anteil abdecken zu können“. Konkrete Ergebnisse gibt es noch nicht. Sorgen vor dem ersten Jänner 2025, wenn die Ukraine den Gasfluss nach Europa stoppen will, macht sich Michael Strebl nicht: „Unsere Speicher sind praktisch voll. Wir sind gut auf den kommenden Winter gerüstet“.
Die Stromerzeugung der Wien Energie ist 2023 aufgrund des warmen Winters um 17,4 Prozent auf 5,5 Gigawattstunden zurückgegangen. Der Wärmebedarf in der Fernwärme sank und damit reduzierte sich auch die kalorische Stromerzeugung in den Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen um ein Viertel. Die Erzeugung aus Wasser, Wind und Photovoltaik stieg im zweistelligen Prozentbereich. In Summe sorgen die Erneuerbaren für 26,5 Prozent der Stromerzeugung. Bei der Fernwärme liegt der Erneuerbarenanteil bei 35,7 Prozent. 2040 sollen es hundert Prozent sein. Rund zwei Milliarden Euro sollen alleine bis 2029 dafür fließen. Ein paar Jahre mit guten Gewinnen wird die Wien Energie also noch brauchen.