Wie viel vom Einkommen für die Krankenkasse draufgeht
Die Prämien sollten maximal 10 Prozent des Einkommens betragen, verlangt eine Initiative. Wen genau betrifft das eigentlich? Und welche Folgen hat das? Eine Datenauswertung gibt Antworten.
Wie viel soll der Mittelstand für die Krankenkasse bezahlen? Darüber wird am 9. Juni abgestimmt.
10 Prozent des Einkommens: Höchstens so viel sollen Einwohnerinnen und Einwohner in der Schweiz für die Krankenkassenprämien bezahlen. Dies verlangt die Prämieninitiative der SP, über die am 9. Juni abgestimmt wird.
Bei einem Ja müssten Bund und Kantone im Vergleich zu heute zusätzliche Prämienverbilligungen ausrichten. Davon profitieren würden alle Haushalte, bei denen die Prämien die genannte Obergrenze von 10 Prozent überschreiten.
Was sind das genau für Haushalte? Wie gross ist deren Prämienlast heute? Und wer käme bei einer Annahme neu in den Genuss von Prämienverbilligungen?
Antworten darauf sind nicht ganz trivial: Das Berechnungssystem für die Prämienverbilligungen ist kompliziert – und unterscheidet sich obendrein je nach Kanton. Zudem ist offen, wie die Initiative im Detail umgesetzt würde.
In grossen Linien lässt sich trotzdem nachzeichnen, wer von der Initiative betroffen ist und was sich für die Betroffenen ändert.
Der Mittelstand liegt über der Schwelle
Zunächst zur generellen Einordnung. Den Begriff der Prämienverbilligungen verbindet man in der Regel mit Armut – mit staatlicher Hilfe für bedürftige Haushalte. Doch die Prämieninitiative ist kein Anliegen zugunsten der Unterschicht. Es ist ein Umverteilungsprojekt zugunsten des Mittelstands.
Das wird klar, wenn man sich vor Augen führt, welchen Anteil ihres Einkommens die Leute gegenwärtig für Krankenkassenprämien aufwenden.
Die Prämieninitiative entfaltet ihre Wirkung also nicht am unteren Rand der Einkommensverteilung, sondern in der Mitte – beim breiten Volk. Oder, um es noch präziser auszudrücken: in der unteren bis mittleren Mittelschicht.
Schauen wir diesen Einkommensbereich deshalb etwas genauer an.
Der Staat hilft dem Mittelstand nur begrenzt
Die folgende Grafik geht auf die Prämienbelastung für Einkommen von 35’000 bis 100’000 Franken ein. Berufsleute aus verschiedensten Branchen, von der Reinigung bis zum Innenausbau, verdienen in Teil- oder Vollzeit etwa so viel.
Die Grafik zeigt, inwiefern diese Menschen durch Prämienverbilligungen unterstützt werden. Bei den tieferen Einkommen ist die Hilfe beträchtlich: Sie reduziert die Prämienlast um ein Drittel. Doch man muss nur wenig mehr verdienen, und die Prämienverbilligung macht keinen grossen Unterschied mehr.
Dazu ein Beispiel: Wer ein Einkommen von 50’000 Franken erzielt, erhält eine Prämienverbilligung von gut 500 Franken. Damit sinkt die Prämienlast von 15 Prozent auf 13 bis 14 Prozent. Damit sie unter 10 Prozent fällt, so wie es die Initiative verlangt, müsste die Verbilligung aber rund 2000 Franken gross sein.
Beispielrechnungen wie diese verdeutlichen, warum die Prämieninitiative schweizweit eine Umverteilung von Geldern in Milliardenhöhe zur Folge hätte.
Davon wäre aber nicht jeder Kanton gleichermassen betroffen. Denn je nachdem, wo man in der Schweiz wohnt, wird man heute vom Staat ganz unterschiedlich beim Bezahlen der Krankenkassenprämien unterstützt.
Die Kantone haben grossen Spielraum
Der Kanton Zug ist mit seinen Leistungen zum Beispiel grosszügig. Hier erhält die Person mit einem Einkommen von 50’000 Franken, von der soeben die Rede war, eine Verbilligung von mehr als 2200 Franken. Das führt dazu, dass sie noch rund 7 Prozent des verfügbaren Einkommens für die Prämien ausgeben muss.
Ganz anders ist das in Basel-Stadt. Hier erhält dieselbe Person nur einen Betrag von 350 Franken. Weil gleichzeitig auch die unverbilligte Prämie in Basel höher ist als in Zug und obendrein mehr Steuern bezahlt werden müssen, ist die Last am Ende deutlich grösser. Sie beträgt 18 Prozent des verfügbaren Einkommens.
Solche Unterschiede gibt es auch bei besser Verdienenden. Auch mit einem Einkommen von 100’000 Franken kann es in manchen Kantonen passieren, dass man mehr als 10 Prozent für die Krankenkassenprämien aufwenden muss.
Wichtig zu wissen im Zusammenhang mit diesem Schwellenwert ist: Es gibt Jahr für Jahr mehr Haushalte, bei denen eine Standard-Krankenkassenprämie mehr als 10 Prozent des Einkommens ausmacht. Das liegt daran, dass die Gesundheitsausgaben über die Zeit schneller wachsen als die Einkommen.
Die Folgen dieser Entwicklung beschreibt der Bundesrat in seiner Botschaft zur Initiative so: Längerfristig sei davon auszugehen, dass die Prämienbelastung von 10 Prozent «bei fast allen Versicherten – mit Ausnahme der Bezügerinnen und Bezüger von sehr hohen Einkommen – überschritten wird».
Im Klartext heisst das: Die Initiative läuft auf einen Systemwechsel hinaus. Statt der heutigen Kopfprämie, die für die Ärmsten durch Verbilligungen abgefedert wird, gäbe es in der Schweiz künftig einkommensabhängige Prämien.
Den Grund dafür hat der Bundesrat benannt: Die meisten Haushalte werden die 10-Prozent-Schwelle künftig überschreiten. So wird die Obergrenze bald zum Regelfall: Man gibt 10 Prozent des Einkommens für die Prämien aus.
Auch viele Familien sind über der Schwelle
Das gilt für Einzelpersonen gleichermassen wie für Familien. Wie viel sie derzeit für die Krankenkassenprämien aufwenden müssen, geht aus der folgenden Grafik hervor. Sie zeigt die Prämienbelastung für Paare mit zwei Kindern in Abhängigkeit vom Einkommen – ohne und mit Verbilligung.
Auch hier liegen viele Mittelstandshaushalte über der kritischen Schwelle. So kommt etwa eine Durchschnittsfamilie mit einem Einkommen von 150’000 Franken heute auf eine Belastung von 12 Prozent. Die Prämienverbilligung hat hierauf nur einen minimalen Einfluss: Sie beträgt im landesweiten Mittel gerade einmal 300 Franken und fällt in zahlreichen Kantonen sogar ganz weg.
Um unter 10 Prozent zu kommen, müsste die Familie eine Prämienverbilligung von deutlich grösserem Umfang erhalten: 3000 Franken. Doch – und das ist eine der Eigenheiten der kommenden Abstimmung – es gibt keine Garantie dafür, dass dieses Geld selbst bei einem Ja zur Prämieninitiative tatsächlich fliesst.
Die Umsetzung der Initiative ist entscheidend
Der Grund dafür ist, dass die Initiative mehrere unscharfe Formulierungen aufweist. Eine davon hat diese Redaktion bereits beleuchtet: Es gibt zwei Prämientypen, die man für die Berechnung der Prämienlast verwenden kann.
Rechnet man mit der sogenannten Standardprämie, also mit der Prämie für eine Versicherung mit freier Arztwahl auf der tiefsten Franchisestufe, so fällt die Belastung höher aus, als wenn man mit der mittleren Prämie rechnet – also mit der tatsächlichen Prämie, die Personen auf verschiedenen Franchisestufen in verschiedenen Versicherungsmodellen durchschnittlich bezahlen.
Was das für die Prämienlast bedeutet, zeigt die folgende Grafik: Sie liegt, wenn man sie mit der mittleren Prämie berechnet, fast für alle Einkommen unter 10 Prozent. Umverteilt würde mit dieser Berechnungsvariante also fast nichts.
Doch es gibt noch einen weiteren Aspekt, der zu krassen Unterschieden führt: die Definition des Einkommens, das für die Berechnung herangezogen wird.
Im Initiativtext ist vom «verfügbaren Einkommen» die Rede. Darunter versteht man üblicherweise das Einkommen, das übrig bleibt, nachdem man die Steuern bezahlt hat. Diese Definition verwendet etwa das Bundesamt für Gesundheit, wenn es die Prämienbelastung alle paar Jahre in einem Monitoring ermittelt.
In ihrem Argumentarium schlagen die Initianten aber eine andere Definition vor. Man solle die Prämienlast im Verhältnis zum steuerbaren Einkommen für die direkte Bundessteuer berechnen, heisst es in dem Dokument mit dem Titel «Prämienwahnsinn stoppen!». Das klingt nach einer technischen Finesse, hat aber grosse Auswirkungen auf das Ergebnis.
So weist eine Familie mit einem Bruttoeinkommen von 150’000 Franken im schweizweiten Schnitt nach Abzug aller Steuern etwa ein verfügbares Einkommen von rund 122’000 Franken auf. Dagegen beläuft sich das steuerbare Einkommen wegen der diversen Abzüge, die man speziell als Familie in der Steuererklärung machen kann, nur auf knapp 96’000 Franken.
Vergleicht man die Prämienlast mit dem steuerbaren Einkommen, so fällt sie verhältnismässig grösser aus. Statt 12 Prozent beträgt sie 15 bis 16 Prozent. Und im Gegenzug steigt der Betrag, der nötig wäre, um die Prämienlast unter die Schwelle von 10 Prozent zu bringen: von 3000 Franken auf 5500 Franken.
Damit würde die Initiative noch mehr Umverteilung mit sich bringen. Denn der Staat müsste nicht nur grössere Verbilligungen ausrichten: Auch der Kreis der Haushalte, die Verbilligungen erhielten, würde deutlich ausgeweitet.
Wie die Initiative umgesetzt wird, bestimmt am Ende das Parlament. Je nachdem, für welche Berechnungsvariante es sich entscheidet, wären die finanziellen Folgen erheblich – oder, zumindest für eine Weile, nur minim.
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