Wie ich mit der Schüchternheit unserer Tochter umgehe
An einem Nachmittag im Freibad werden unserem Autor alle Nachteile der Schüchternheit seiner Tochter bewusst.
Vergangene Woche ist die Freibadsaison gestartet. Gleich am ersten Tag sind wir hin. Unser Sohn Theo (11), seine Schwester Frieda (9) und ich. Wir haben Jahreskarten. Meine Frau blieb zuhause. Sie ist nicht so der Freibadtyp.
Während Theo nach fünf Minuten nichts mehr mit uns am Hut hatte, blieb Frieda an meiner Seite. Wir gingen planschen, spielten Ball, tauchten und jagten die gelbe Rutsche zusammen hinunter. Nicht falsch verstehen, ich mache das gerne. Ich habe großen Spaß daran. Nach zehn Minuten wurde Frieda kalt. Wir trockneten uns ab. Theo raste mit ein paar Kumpels an uns vorbei. Sie hüpften ins Kinderbecken und spielten Ballhochhalten.
„Du kennst hier niemanden, oder?“, fragte ich Frieda, als wir auf der Decke lagen. „Doch,“ antwortete sie. „Dahinten, das blonde Mädchen, das ist bei uns in der Vierten. Und die beiden Mädchen beim Einer, die gleich springen, mit denen habe ich Tanzen.“ „Echt? Willst du nicht mal fragen, ob du mitmachen kannst?“ „Nein, Papa, du weißt ich bin schüchtern.“
Klammern und Flehen nicht zu gehen
Allerdings weiß ich das. Ich erinnerte mich an ihre Einschulung. In den ersten beiden Reihen saßen insgesamt 25 Kinder – und ich. Frieda kannte kein einziges Kind in der Klasse und hatte große Angst. Bis zu den Herbstferien habe ich sie jeden Tag bis zu ihrem Platz im Klassenraum gebracht. Ein-, zweimal hat sie sich an mich geklammert und mich angefleht, nicht zu gehen. Ich seufzte. Auf der anderen Seite hat sie in ihrer Klasse, sie ist in der Dritten, inzwischen viele Freundinnen und Freunde gefunden. Die Mädchen streiten sich manchmal darum, wer mit ihr spielen darf, was ihr unangenehm ist.
Diese Entwicklung zeigt, dass sie ihre Schüchternheit überwinden, abschütteln kann. Das macht mir Hoffnung. Frieda braucht eine Gemeinschaft, in der sie akzeptiert und wahrgenommen wird. Sie ist nicht der „Hoppla-hier-komm-ich-Typ“. Im Gegensatz zu ihrem Bruder, der gerade Rückwärtssaltos vom Dreier macht und dabei mit seinen Freunden über die richtige Technik diskutiert.
Frieda liebt es zu tanzen und aufzutreten. Weihnachten gab es eine Aufführung mit vierzig Mädchen in der Kirche. Sie war ungeheuer stolz hinterher. Seit einem Jahr ist sie in der Tanzgruppe. Eine Freundin hat sie noch nicht gefunden. Es gab noch keinen Besuch von einem der Mädchen. Sollte ich darüber mal mit der Tanzlehrerin sprechen? Oder ist das vielleicht zu helikopterig?
Kartenspielen statt Krimilesen
Frieda bekam Hunger. Nach einer kurzen Diskussion, ob ich mit zum Kiosk gehe oder nicht, machte sie sich allein auf den Weg, um sich die erste Freibad-Pommes des Jahres zu holen. Ich nutzte die Zeit und kramte meinen Krimi aus der Tasche. Nach etwa fünf Minuten war Frieda wieder da. Es war nicht allzu voll im Bad. Sie mümmelte ihre Pommes, ich probierte und stellte zum hundertfünfzigtausendsten Mal fest, dass Freibad-Pommes Freibad-unabhängig immer besser schmecken als irgendwo anders. Dann las ich weiter.
Frieda summte und mampfte. „Wir hätten Karten mitnehmen sollen, Uno oder Dobble“, sagte sie mit vollem Mund. Ich seufzte: „Ist dir langweilig?“ „Nein… naja, ein bisschen.“ Ich seufzte noch einmal, vielleicht etwas tiefer und klappte den Krimi zu. „Frieda, dann musst du dich halt verabreden. Oder über deinen Schatten springen und andere Kinder fragen, ob du mitspielen darfst.“ „Keine Lust. Ich habe Pia gefragt, die kann heute nicht.“
„Aber warum willst du dann ins Freibad? Du gehst fünf Minuten ins Wasser, dann willst du was essen und dann sitzt du hier rum und langweilst dich. Das ist doch nicht schön. Und auch für mich nicht. Ich wollte eigentlich mein Buch weiterlesen. Hast du eines dabei?“ „Papa, nein.“ Ich bin ehrlich gesagt nicht gut darin, meine Kinder zu kritisieren und gleichzeitig meine Emotionen zu verbergen. Aber ich bemühe mich, sachlich zu bleiben. Frieda kann nichts dafür, dass ich mir unseren Freibadbesuch anders ausgemalt habe als sie.
Nicht stören beim Bahnenschwimmen
Die nächste Zeit verbrachten wir mit einem Spiel, bei dem wir abwechselnd fleischfressende und pflanzenfressende Tiere sagten und uns dabei den Ball zuwarfen. Anschließend erzählte sie mir alles, was sie über den Wald weiß, weil sie darüber demnächst eine Probe schreibt. Dann gingen wir wieder ins Wasser.
Als ihr wieder kalt wurde, sagte ich, dass ich jetzt noch ein paar Bahnen schwimmen und dabei nicht gestört werden wolle. Es sei denn, jemand ertrinkt. Ich trainiere gerade für den ersten Triathlon, die kürzeste Distanz zwar, aber ich nehme schon die Zeit beim Training. Bei meiner fünften Wende sprach sie mich an. Da offensichtlich niemand ertrank, schwamm ich weiter. Zwei Wenden später war stand sie wieder am Beckenrand. Ich winkte energisch ab und schwamm weiter, bekam ein schlechtes Gewissen und brach ab.
„Was ist denn los?“ fragte ich ziemlich gereizt, als ich an unseren Platz kam. „Theo ist weg. Ich kann ihn nicht finden“, antwortete Frieda. Unser Sohn hatte das Wasser inzwischen verlassen und kickte mit seinen Jungs auf der Wiese. „Frieda, das geht nicht. Ich habe dich extra gebeten, mich in Ruhe meine paar Bahnen schwimmen zu lassen. Wo sollte Theo denn sein?“ Es gab noch ein Eis und dann gingen wir nach Hause. Theo blieb im Bad.
Noch fehlt ihr die die Fähigkeit, sich zu überwinden
Das Thema beschäftigt meine Frau und mich schon länger. Wir sind uns einig: Frieda sollte einen Mannschaftssport machen. Das würde ihr helfen, selbstbewusster zu werden. Am Wochenende waren wir beim „Tag der offenen Tür“ unseres Mädchen-Fußballvereins. Leider kannte sie wieder niemanden – zumindest nicht richtig. Die erste halbe Stunde standen wir am Spielfeldrand und sahen den Mädchen, die Hälfte von ihnen Anfängerinnen wie Frieda, beim Passen und Schießen zu. Als der Trainer auf unsere Tochter aufmerksam wurde, nahm er sie kurzentschlossen mit. Meine Frau und ich sahen ihr hoffnungsvoll zu.
Aber keine fünf Minuten später rannte sie heulend in meine Arme und wimmerte, dass sie nicht mehr mitmachen wolle. Was passiert ist, ob überhaupt etwas war, wissen wir nicht. Sie hat es einfach nicht geschafft, sich zu überwinden. Meine Frau ist über ein halbes Jahr gependelt und war nur an den Wochenenden da. Das hat Frieda, damals noch im Kindergarten, sehr geprägt. Noch heute leidet sie, wenn einer von uns ein paar Tage unterwegs ist und ist heilfroh, wenn sie ihr Nest wieder zusammen hat.
Im Sommer steht ein Zeltlager an. Theo fährt auf jeden Fall mit. Frieda würde auch gerne, wenn eine Freundin mitkommt. Ich bin dagegen. Für Frieda ist es noch zu früh. Wenn sie allzu großes Heimweh bekommt, ist das für sie und auch für Theo eine zu große Belastung. Sie würde sich an ihn kletten und er hätte keinen Spaß.
Erzwingen kann man nichts. Wie schon beschrieben, ihren Platz in der Schule hat sie nach Startschwierigkeiten allein gefunden. So wird es irgendwann auch an anderen Orten, in anderen, neuen Gemeinschaften im Leben sein. Sie wird klarkommen, auch wenn mir gerade der Weg dorthin verschleiert bleibt. Damit muss ich leben. Was ich selbst tun kann, ist unsere nächsten Freibadbesuche vorzubereiten: Ihr Buch und Spielkarten einpacken und darauf zu bestehen, dass sie sich mit jemandem verabredet.